Pullach:Im Schatten der Scheinwerfer

Pullach: Bierbauch versus Buch: der pragmatische Hinterbühnen-Chef Ivan (links) kann mit Bernds Liebe zur Literatur wenig anfangen. Dabei würde auch er gern öfter mal in andere Welten fliehen.

Bierbauch versus Buch: der pragmatische Hinterbühnen-Chef Ivan (links) kann mit Bernds Liebe zur Literatur wenig anfangen. Dabei würde auch er gern öfter mal in andere Welten fliehen.

(Foto: Claus Schunk)

In "Teatro Delusio", das die Familie Flöz in Pullach zeigt, ereignet sich das turbulente Geschehen vornehmlich hinter der Bühne. Die Schauspieler präsentieren mit pantomimischer Kunst ein Spiel der Illusionen und die Vielfalt theatralischer Genres

Von Udo Watter, Pullach

Es sind nicht nur die großen theatralischen Auftritte, sondern noch mehr die kleinen, unaufdringlichen Momente, die schmerzhaft zärtlich ins Herz fahren: Wenn nach einer der vielen tumultuösen Szenen auf der Bühne ein Augenblick des Innehaltens einkehrt, das Licht zu wehmütiger Musik in ein warmes Orange wechselt, und Ivan, Chef der Hinterbühne, kurz und traurig auf seinen Bierbauch blickt. Es ist eine Sekunde des Erwachsens, des vollen Bewusstwerdens, wie nah er dran ist - hier hinten im Schatten der Schweinwerfer - und doch wie weit weg vom schönen Glanz des Ruhmes, wie weit davon entfernt, dass die verehrte Operndiva eine rote Rose von ihm annehmen würde.

Ivan und seine Mitarbeiter Bernd und Bob sind die drei Hauptfiguren in "Teatro Delusio", einem Projekt der Familie Flöz, welches das Pullacher Bürgerhaus am Mittwochabend in eine Arena der Illusionen und Träume verwandelt hat. Familie Flöz ist eine Gruppe internationaler Theatermacher aus Berlin, die mit einer Melange aus Schauspielkunst, Maskenspiel, Tanz oder Artistik eine ganz eigene Magie auf die Bühne zaubern. Es ist eine Auftritt ohne Worte, eingebettet in eine Schwellenwelt hinter den Kulissen. Der Clou ist, dass gerade mal drei Schauspieler - Johannes Stubenvoll, Dana Schmidt und Thomas von Ouverkerk - nicht nur die drei Bühnenarbeiter verkörpern, sondern quasi übergangslos in knapp 30 Rollen schlüpfen. Sie tragen dabei groß dimensionierte Masken und spielen auf so versierte wie komische Art unterschiedliche Theater-Archetypen. Diese tauchen immer wieder im Schattenreich der Hinterbühne auf, sind mal distinguiert, mal desorientiert, mal unbeholfen, mal arrogant. Es ist großartig zu sehen, wie die drei Akteure sich körpersprachlich an den jeweiligen Typ anverwandeln, wie gleichsam jedes choreografische Detail sitzt, wie aus fließender pantomimischer Kunst Komik und Drama im Wechsel entstehen.

Das raffinierte Spiel der Täuschungen und Illusionen gelingt auch mithilfe der Kulissen und Requisiten wie Truhe, Bretterwände, tragbare Türe, Kabel und Leiter, welche die Schauspieler versiert und überraschend nutzen. Auch die Licht- und Soundeffekte übernehmen einen wesentlichen Part in der Inszenierung, die gerade durch ihre Wortlosigkeit so anrührend wirkt. Immer wieder im Fokus sind die kleinen Sehnsüchte der Bühnenarbeiter, die inmitten des Panoptikums ständig hereinstürzender Theaterfiguren - ob zerstreuter Primgeiger, hochnäsiger Regisseur, schwuler Choreograf, verwirrter Triangel-Spieler, Operndiva oder Slapstick-Komiker - ihren Weg suchen, aus dem Verborgenen herauszutreten und Teil des Glanzes zu werden. Bernd ist dabei der sensible, ängstliche Bücherliebhaber, der sich heimlich in der Truhe ein Pelztierchen hält und sich später in eine ähnlich unbeholfene Ballerina verguckt. Bob ist der muskelbepackte, leicht reizbare Handwerkertyp, der sich nach Anerkennung sehnt, gerne vor anderen Leuten posiert und am Ende Amok läuft. Ivan, der seinen Job so professionell wie mürrisch erledigt, hat ganz normale Verlangen wie Essen und Fußball-Schauen, und doch wohnt in ihm eine Sehnsucht nach mehr, nach Romantik und großem Gefühl. Über dem Trio schwebt immer auch eine Melancholie, in ihrem Streben und Versagen sind sie liebenswerte Mängelwesen. Diese mitschwingende Wehmut wird freilich oft aufgelockert durch slapstickartige Szenen, Heiterkeit erregende Missgeschicke und fein durchkomponierte Turbulenzen. Dazu kommen Tanzauftritte, die mal elegant, mal herzerweichend linkisch sind oder Duelle wie in Mantel-und-Degen-Filmen. Musik flankiert und prägt das Geschehen entscheidend.

Ein Leitmotiv ist Samuel Barbers elegisches Adagio for Strings, das schon den poetischen Prolog untermalt und immer wiederkehrt. Händels Largo aus "Xerxes", Tschaikowskys Schwanensee oder Puccinis Arie "O mio babbino caro" geben dem Abend eine durchaus schwerblütige Note. Schön freilich auch, wie man aus dem Off das Orchester einspielen hört (auf der fiktiven anderen Seite), während sich auf der Hinterbühne ständig Orchestermitglieder verlaufen. Ein schöner Einfall dann auch, dass sich die drei Schauspieler am Ende in die andere Richtung - also hin zum fiktiven Publikum - verbeugen. Der Applaus des richtigen Publikums war freilich nicht nur echt, sondern geradezu stürmisch.

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