Energieversorgung:Plötzlich stehen alle hinter dem Geothermie-Ausbau

Energieversorgung: Die Suche nach Heißwasservorkommen durch Vibro-Trucks südlich von Pullach 2018 war erfolgreich. Nun sollen sie erschlossen werden.

Die Suche nach Heißwasservorkommen durch Vibro-Trucks südlich von Pullach 2018 war erfolgreich. Nun sollen sie erschlossen werden.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Der Pullacher Gemeinderat beschließt Millionen-Investitionen in den Ausbau des Netzes und ein Joint Venture mit den Münchner Stadtwerken. Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine und der gestiegenen Nachfrage ziehen auch die bisherigen Kritiker mit.

Von Michael Morosow, Pullach

Die Gemeinde Pullach steuert mit Riesenschritten einer kompletten Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern für ihre Wärmeversorgung entgegen. Am Dienstag hat der Gemeinderat zugestimmt, für den Ausbau des Fernwärmenetzes und das dazu bereits beschlossene Joint Venture mit den Münchner Stadtwerken das Eigenkapital der gemeindeeigenen Geothermie-Gesellschaft Innovative Energie für Pullach (IEP) um 12,5 Millionen auf 30 Millionen Euro zu erhöhen. Noch in diesem Jahr soll dazu außerdem mit den Stadtwerken München eine Geothermie Isartal GmbH gegründet werden, in die beide Partner je 30 Millionen Euro einzahlen. Mit dem Geld werden unter anderem drei Bohrdubletten auf dem Claim "Pullach Süd" auf Baierbrunner Flur finanziert, von dem sich IEP-Geschäftsführer Helmut Mangold eine Leistung von 77 Megawatt verspricht, eine Verdreifachung der bisherigen Energieleistung der Pullacher Geothermie. Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund (Grüne) sprach von einer "historischen Entscheidung für ein bahnbrechendes Projekt zur Daseinsfürsorge", und nachdem das Gremium einstimmig dem Antrag der IEP stattgegeben hatte, gab es Applaus von allen Fraktionen.

Pullach decke heute schon 46 Prozent seines privaten und gewerblichen Wärmebedarfs mit Geothermie ab, nicht eingerechnet die vom Chemiekonzern United Initiators benötigte Prozesswärme. Mit dem Ausbau des Projektes könnten es 100 Prozent werden, sagte Mangold in seinem Vortrag zu Beginn der Debatte. Der IEP-Geschäftsführer legte am Mittwoch im Gespräch mit der SZ aber Wert auf die Feststellung, dass das gesamte Vorhaben abhängig ist von einer staatlichen Unterstützung im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze sowie behördlichen Genehmigungen. Ohne Förderung werde es bundesweit keine neuen Geothermieprojekte geben, mit Förderung viele, so Mangold. In dieser Hinsicht sei er aber zuversichtlich, zumal angesichts der aktuellen Weltlage. "Der Ukraine-Krieg ist der Fukushima-Moment der fossilen Energieträger", eine Energieversorgung mit ökologischer Signatur sei unabdingbarer Bestandteil der nationalen Sicherheit, sagte der IEP-Geschäftsführer.

In fünf Jahren sollen mehr als 1600 Objekte in der Gemeinde versorgt werden

Offenbar sehen das auch viele Pullacherinnen und Pullacher genauso, jedenfalls berichtete Mangold von einem regelrechten Ansturm auf die Geothermie, auch von Leuten, die zuvor einen Anschluss abgelehnt hätten. Heuer könnten noch 100 Gebäude angeschlossen werden, auf der Warteliste für 2023 stünden aber schon 200 weitere Namen. Entsprechend schnell soll der Ausbau des Fernwärmenetzes vorangehen, der bereits 2027 erledigt sein soll, vier Jahre früher als ursprünglich geplant. Aktuell hat die Fernwärmetrasse eine Gesamtlänge von rund von 50 Kilometern, sie versorgt 1119 Objekte mit einer Anschlussleistung von 30 Megawatt. In fünf Jahren soll die Trasse 60 Kilometer lang sein und 1641 Objekte mit 59 Megawatt versorgen.

Enorme Nachfrage in der Bevölkerung und ein gesichertes Vorkommen von ergiebigem Tiefenwasser - das Investitionsrisiko ist in den Augen der IEP-Verantwortlichen sehr gering, viel geringer sogar als zum Start der Pullacher Geothermie vor 20 Jahren. Damals habe der Gemeinderat im Blindflug entschieden, heute könne man dank der 3D-Technik davon ausgehen, dass die Bohrungen fündig würden, sagte Gemeinderat Andreas Most (Pullach plus), der IEP-Aufsichtsratsvorsitzender ist.

Alexander Betz von der FDP sagte, er sei bislang ein kritischer Begleiter der IEP-Vorhaben gewesen und habe sich stets gefragt, ob es Aufgabe der Gemeinde Pullach sei, in Baierbrunn für die Wärmeversorgung der Stadt München zu bohren. Nun aber habe sich auch bezüglich der Energiepreise die Lage verändert, und da das Konzept auch der Versorgung der Gemeinde diene, stimme er zu. Allerdings wolle er sichergestellt wissen, dass die Gemeinde weiter die Hand drauf halte. Sebastian Westenthanner (CSU) sprach von dem "größten Schatz, auf dem wir in Bayern sitzen", und Johannes Schuster (Wir in Pullach) erklärte, es gehe vor dem Hintergrund des Angriffskrieges Putins nicht mehr nur um die Umwelt, sondern auch um die energetische Unabhängigkeit. Seit dem 24. Februar seien die Zeiten vorbei, da man Überlegungen nur bis zur Gemeindegrenze anstelle.

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