Pullach:Der Mensch hinter dem Jäger

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Mit acht Jahren hielt Achim von Draminski das erste Mal ein Gewehr in der Hand. Seither gehört das Töten von Tieren zu seinem Hobby. Richtig daran gewöhnt hat er sich trotzdem nicht.

Von Christina Hertel, Pullach

"Da", flüstert Achim von Draminski und greift nach seinem Feldstecher. Er hat ein Tier entdeckt, vielleicht muss es sterben. Neben ihm steht sein Gewehr, geladen mit langen, goldenen Patronen.

Zwei Stunden zuvor. In der Hütte des Jägerverbands ist es duster, ein bisschen muffig. Draminski ist Vorsitzender des Jägerverbands München, der im Forstenrieder Park sein Revier hat. Der 64-Jährige bildet dort auch Jäger aus, er lehrt das Jagen und alles, was damit zusammenhängt, zum Beispiel Jagdrecht. Vor ihm liegt ein Buch, eine Art Handbuch für Jäger.

Die Gedärme des Rehs sind bunt wie Darstellungen früher im Biologie-Unterricht. Draminski hat einen kleines Stück Geweihstange als Schlüsselanhänger. Mit dem fährt er das Bild entlang, erklärt Schritt für Schritt, wie man richtig ausweidet. Ein Schnitt durch die Bauchdecke, dann ein Schnitt an der Luftröhre, dann muss man die Innereien herausholen. Die Lunge, den Pansen, die Leber. Es ist eine blutige Angelegenheit. Für Achim von Draminski ist es die natürlichste Sache der Welt.

Unterricht zwischen präparierten Tieren und Geweihen

An der Wand hängen Tiere, die wohl so manchen Tierschützer blass werden lassen würden. Ein Biber steht ausgestopft herum, ein Bärenfell samt Kopf hängt an der Wand. Dutzende Geweihe sind nebeneinander aufgehängt. Draminski ist stolz auf sein Reich im Wald, das merkt man schnell.

Er rollt eine Leinwand aus und greift nach einem Laserpointer. "So halte ich dann meine Vorträge", sagt er und stellt sich hin, wie man sich nur hinstellt, wenn ein Publikum vor einem sitzt. Um die 30 Schüler hören ihm normalerweise zu. Jetzt sind die Stühle leer. "Da sind zum Beispiel Polizisten, Studenten, sogar Tierärzte."

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Gejagt hat Draminski im Prinzip schon sein ganzen Leben. Mit acht drückte ihm sein Vater das erste Mal ein Gewehr in die Hand, zum Geburtstag. "Da waren die Zeiten noch anders." Er sagt das nicht bedauernd, es klingt eher glücklich, dass er auch andere Zeiten erleben durfte. Seit den Amokläufen in Erfurt und in Winnenden sind die Waffengesetze immer strenger geworden. Draminski muss die Tasche, in der er sein Gewehr transportiert, jetzt zum Beispiel mit einem Vorhängeschloss sichern. "Als ob das jemanden abhalten würde. Aber gut, Gesetz ist Gesetz."

Alles korrekt zu machen, ist ihm wichtig. In Oberammergau wurden vergangenes Jahr 68 Hirsche zu viel erschossen. Achim von Draminski erzählt die Geschichte gleich zweimal, ziemlich empört. Wie viel Rot- und Rehwild geschossen werden darf, ist genau festgelegt, ebenso die Schonzeiten. Momentan darf Reh-, Rot- und Schwarzwild gejagt werden. Draminski sagt, die Jagd sei notwendig, damit Ordnung im Wald herrscht. Damit die Tiere nicht die Bäume und die Felder um den Wald herum kaputt machen. Aber mindestens genauso wichtig ist es, sich um die Tiere zu kümmern. "Hege und pflege, sag' ich immer. Das ist das A und O." Und dazu gehört, die Tiere zu füttern.

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Aber wieso füttert man Tiere, die man eigentlich erschießen will? Für Draminski sind solche Fragen "Blödsinn". Der Wald, sagt er, sei eine Kulturlandschaft, vom Menschen geformt. Das Futter, das die Rehe im Winter brauchen, wächst da schon lange nicht mehr.

Oben im Hochsitz packt er seinen Feldstecher aus. Er blickt über die Wiese, aber es passiert nichts. Man hört Autos vorbeirauschen, neben dem Jagdgebiet liegt gleich die Autobahn. Aber von einem Tier keine Spur. "Na, warten wir doch mal ab," sagt er, lehnt sich zurück und faltet seine Hände über dem Bauch. Das Warten kennt Draminski. In der Zeit liest er sonst immer. Mehr als 20 000 Bücher stehen bei ihm Zuhause herum, schätzungsweise.

"Ein seltsames Gefühl"

Draminski ist nicht verheiratet und hat keine Kinder. Seine große Liebe, "ach das ist Jahre her". Sie haben sich getrennt, weil beide keine Zeit hatten. Draminski ist nämlich nicht nur Jäger, er hat bei MAN Karriere gemacht. Als Prüfer und Personalchef, jetzt ist er Datenschützer. 16-Stunden-Tage. Bald geht er in Ruhestand. Angst vor der Langeweile? Achim von Draminski zieht sein Portemonnaie aus der Hosentasche. Darin: Mitgliederausweise seiner Vereine. Er ist bei den Gebirgsjägern, den Reservisten und bei den Schlaraffen, einem Männerbund, außerdem bei noch drei, vier Vereinen mehr. Fast überall hat er eine Aufgabe.

Plötzlich schreckt Draminski hoch. "Da", flüstert er und greift nach seinem Feldstecher. Guckt, wartet. Aber kein Tier muss sterben. Und dann wird es schon duster. Draminski wirkt langsam ein bisschen enttäuscht. Das Jagen macht ihm Spaß, klar, sonst würde er es wohl nicht tun. Das Töten nicht so sehr. "Ich habe auch Mitleid. Man tötet ja ein Lebewesen. Das ist gar nicht so einfach." Draminski überlegt ein bisschen. "Aber es ist auch befriedigend. Ein seltsames Gefühl."

Die Sonne ist längst untergegangen. Achim von Draminski leuchtet den Weg zum Auto mit der Taschenlampe. "Morgen", sagt er, "morgen könnte man es noch mal versuchen."

© SZ vom 15.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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