Süddeutsche Zeitung

Puerto Giesing: Eine Bilanz:Hier zieht Subkultur. Weg.

Lesezeit: 3 min

Der Ausstieg ist beschlossen: Ende Oktober läuft das Partygeschäft im Puerto Giesing aus. Frontfrau Zehra Spindler über die Exit-Strategie der Kreativen - und über die Hassliebe der Münchner zur Subkultur.

Kathrin Haimerl

Ein sinkendes Schiff sieht anders aus. Es ist früh am Abend und die Vorbereitungen für die nächsten Tage sind im Gange. Vor den Fenstern des ehemaligen Hertie-Kaufhauses an der Tegernseer Landstraße sitzen drei junge Burschen und machen das Gegenteil von Sprayen: Sie kratzen Farbe ab, die sie vorher großflächig auf die Fenster aufgetragen haben. So entstehen Buchstaben. Im Speziellen den Schriftzug "UAMO" - unter diesem Label läuft die Ausstellung von Künstlern aus mehr als acht Ländern, die an diesem Wochenende startet.

Zehra Spindler, die Frau, die hier im Gebäude alle Kreativen kennt, schaut zu, hält das Geschehen mit ihrer Handy-Kamera fest und postet es auf Facebook. So läuft das hier, im Puerto Giesing. Die Kreativen schaffen. Spindler, die sie hier alle nur Zehra nennen, kommuniziert, organisiert, vernetzt. Das macht sie nun seit sieben Monaten. Erst hieß es, Ende August sei Schluss mit der kreativen Plattform. Dann haben die Künstler eine Laufzeitverlängerung bis Ende September beantragt.

Nun neigt sich der Oktober dem Ende zu. Und Spindler bat den Eigentümer des maroden Gebäudes, Bucher Properties, um eine Exit-Strategie. Das heißt, sie bat um eine Frist, bis zu der die Künstler raus müssen. "Wir müssen hier weg", sagt sie. "Das wird langsam zu viel für die Gegend."

Sie beschreibt Giesing als "das toleranteste Viertel der Stadt", spricht von der "Open-Mindedness" seiner Bewohner, vom "wesentlich entspannteren München". Dazu wiederum passt, dass es in den vergangenen sieben Monaten kaum Anwohnerbeschwerden gegeben habe - obwohl sich an den Wochenenden die Besucher vor den Türen drängten, obwohl wegen des Rauchverbots zum Teil bis fünf Uhr morgens Feiernde draußen standen.

Eine "Handvoll" Beschwerden

Lediglich ein Nachbar war den Künstlern weniger wohlgesonnen und hat eine Unterschriftenaktion gestartet - 18 haben unterschrieben. Das Münchner Kreisverwaltungsreferat spricht von einer "Handvoll" Beschwerden: "Für das, was dort stattgefunden hat, ist die Beschwerdelage nicht der Rede wert", sagt ein Sprecher.

Nun also soll das Projekt auslaufen. Im Januar 2011 kommt die Abrissbirne. Und danach soll an dieser Stelle in der Tegernseer Landstraße wieder ein Kaufhaus entstehen.

Der Exit-Plan sieht nun folgendermaßen aus: Ende Oktober fällt der Club im Keller für Parties weg. Am 30. Oktober soll es eine kleine Abschiedsfeier geben. Am 25./26. November wollen sich die Kreativen selbst feiern. Mit einer Yum-Yum-Party und "mit DJs, die zwar nicht perfekt sind, aber die wir mögen und gerne haben", erklärt Spindler. Und die Abrissparty? Da hält sich Spindler noch bedeckt. Doch im Internet auf Facebook, wo die Veranstaltungshinweise nur so durchrauschen und die Fangemeinde auf inzwischen mehr als 9000 Nutzer angewachsen ist, macht das Profil mit dem lachenden Totenkopf Andeutungen für den 31.12.

Giesing, Münchens unbekanntes Viertel - das ist nun vorbei. Der Name der Künstlerplattform hat sich bis nach Hamburg herumgesprochen. "Auch der Münchner schmückt sich gerne mit uns", sagt Spindler. Trotzdem mäkeln sie hier im Süden gerne an der eigenen Szene herum. Zum Beispiel, dass der Münchner "Underground" ganz schön teuer sei.

Das hat seinen Grund. Die Nebenkosten des maroden Gebäudes bewegen sich monatlich in vierstelliger Höhe. Erst seit Mitte August schreib das Team um Spindler schwarze Zahlen. Das liegt zum einen daran, dass sich die Arbeitsabläufe inzwischen eingespielt haben. Und am Partygeschäft, mit dem der Hafen Ende Juli verstärkt begonnen hat.

Einen kleinen Höhepunkt gab es in dieser Oktoberwoche: Spindler und ihre Kreativen konnten den Londoner Musikproduzenten Mark Ronson zusammen mit der New Yorker Sängerin Kelis nach Giesing holen. "Da waren zum ersten Mal auch Agenturen beteiligt", erzählt sie. Schon komisch, fügt sie hinzu. "Wir werden hier abgerissen und nach Obergiasing kommt noch der Ronson Mark."

Das Puerto Giesing also hat sich in der Szene etabliert. Und damit werden auch die Stimmen lauter, die das Team um Spindler als "Gentrifizierer" beschimpfen. Lautstärke ist hier nicht das Problem. Hier stört eher die innerstädtische Völkerwanderung, die nach den Künstlern gut verdienende Kreative ins Viertel zieht, was wiederum das Stadtviertel für die bisherigen Bewohner zu teuer macht.

"Willkommen im Viertel, ihr Arschlöcher!"

Als sie das Wort "Gentrifizierer" ausspricht, rümpft Spindler die Nase, ihre Gesten werden hektischer. Gegen den Vorwurf setzt sie sich vehement zur Wehr. Ebenso wie gegenüber nörgelnden Nutzern, die sich auf der Facebook-Seite des Projekts über die behelfsmäßig eingerichteten Toiletten im Keller beschweren. Überhaupt hat sich in der kreativen Szene der Münchner Subkultur jede Menge Ärger aufgestaut - siehe die Anwohnerbeschwerden über X-Cess, Blumenbar oder auch das Theatron-Festival.

Im vergangenen Jahr sorgte eine Stickeraktion im Glockenbachviertel für Aufsehen: "Willkommen im Viertel, ihr Arschlöcher!" war darauf zu lesen - als wenig charmanter Gruß an die Szenegänger. Es gibt also viel zu reden über das Verhältnis der Münchner zu ihrer Szene, über die Gewichtung von Kultur gegenüber den Auflagen der Behörden. Und deshalb stellt sich das Puerto Giesing in Vertretung von Patrick Gruban am kommenden Montag einer Diskussion. Das Thema: "Achtung. Hier entsteht Subkultur. Nicht."

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