Programm für Familien:Willkommene Hilfe

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Junge Eltern sind mit ihren Kindern manchmal überfordert. Das Projekt "Wellcome" vermittelt Ehrenamtliche, die ihnen im ersten Jahr nach der Geburt gelegentlich zur Hand gehen. Im Landkreis sind das bisher ausschließlich Frauen.

Von Julia Weller, Landkreis

Die Tür geht auf und der kleine Victor beginnt zu strahlen. Er hat Daniela Roth erspäht, die auch bereits freudig von seiner Mutter begrüßt wird. Roth engagiert sich als Ehrenamtliche für die Wellcome-Initiative und hat Victor in Ottobrunn ab und zu betreut, seit er fünf Monate alt war. "Er war immer ganz brav bei mir", erzählt Roth und nimmt den Einjährigen in die Arme. "Als Victor kleiner war, hat er sehr viel geschrien", sagt seine Mutter Isabelle Canchila. "Ich hätte gerne schon früher von Wellcome erfahren, das wäre eine große Hilfe gewesen."

Als Mutter einer kleinen Tochter kann Katrin Greiner das nachvollziehen: "Weil einfach alles ein bisschen aus den Fugen gerät, wenn ein Baby zur Welt kommt. Das ist einfach so, neben allem Schönen", sagt die Sozialpädagogin, die seit vergangenen Dezember ehrenamtliche Helfer wie Roth an Familien vermittelt, die gerade Zuwachs bekommen haben. "Wellcome - Praktische Hilfe nach der Geburt" lautet der volle Name des Projekts, das der Trägerverein Lotse im Landkreis München anbietet.

Nach seinem erstem Geburtstag muss sich Mutter Isabelle Conchila wieder alleine um Victor kümmern. Mit der Helferin von Wellcome hält sie Kontakt. (Foto: Claus Schunk)

"Ein normaler Wellcome-Standort in Deutschland hat im Schnitt 15 Ehrenamtliche", erzählt Iris Kühnel, Vorsitzende der Lotse Kinder- und Jugendhilfe. "Wir haben 44 aktive Helfer." Natürlich sei der Speckgürtel um München herum sehr groß und die Zahl deswegen nicht direkt mit anderen vergleichbar. Trotzdem findet Kühnel den Wert "gigantisch". Vor drei Jahren hörte sie zum ersten Mal von der Wellcome-Initiative, die 2002 in Hamburg als moderne Nachbarschaftshilfe entstanden ist. "Auf dem Land ist es für junge Eltern oft schwierig, Unterstützung zu bekommen und Einrichtungen zu finden", sagt Kühnel. Bei Wellcome kommen Freiwillige wie Daniela Roth für ein paar Stunden pro Woche in die Familien, um bei alltäglichen Aufgaben mit anzupacken. Sie versorgen den Säugling, beschäftigen sich mit Geschwisterkindern oder sind einfach für die Mutter da. Die Bedürfnisse der Familien und die Vorstellungen der Helfer seien ganz unterschiedlich, erzählt Wellcome-Koordinator Daniel Becker-Freyseng. "Wir klären in einem Erstgespräch ganz genau die Erwartungen beider Seiten ab, um wirklich passende Ehrenamtliche zu vermitteln." Manchmal meldeten sich ältere Frauen, die ihre eigenen Enkel vermissen und sich deswegen unbedingt um Kinder kümmern möchten. Andere Helfer seien kurzfristig arbeitslos und wollten ihre Zeit sinnvoll nutzen, aber vielleicht nicht gleich ein Neugeborenes betreuen.

Wenn sie von Helfern reden, meinen die Koordinatoren bislang ausschließlich Helferinnen. "Wir haben im Moment nur Frauen, obwohl jeder mitmachen kann", erklärt Becker-Freyseng. Er ist selbst einer der wenigen Männer im Projekt Wellcome, trotzdem fühlt er sich im weiblichen Arbeitsumfeld wohl. "Er muss nur die ganzen Vordrucke umändern", erzählt Katrin Greiner. Gemeinsam mit ihrem Kollegen versorgt und betreut sie die Ansprechpartner, Familien und Ehrenamtlichen in den 29 Landkreisgemeinden. Für interessierte Helfer, die sich vorstellen können, eine junge Familie zu unterstützen, bieten sie Sprechstunden an wie bald in Grasbrunn. "Dabei ist es auch unsere Aufgabe, die Freiwilligen zu schützen, damit sie sich nicht als Arbeitskraft ausnutzen lassen." Zwar habe man in dieser Hinsicht noch keine schlechten Erfahrungen machen müssen, jedoch sei es wichtig, dass beiden Seiten die Grenzen des Angebots bewusst sind. "Wir vermitteln keine professionellen Pädagogen, aber auch keine Haushaltshilfen", erklärt Katrin Greiner. "Wenn eine Helferin eine volle Waschmaschine sieht und sie anschaltet, darf das natürlich sein. Aber es wäre komisch, wenn sie in die Familie kommt und dort schon der Putzeimer bereitsteht."

Iris Kühnel ist Vorsitzende der Lotse Kinder- und Jugendhilfe, die den Wellcome-Standort für den Landkreis betreut. (Foto: Angelika Bardehle)

Im Turnus von sechs bis acht Wochen rufen die Wellcome-Betreuer bei ihren Schützlingen an und erkundigen sich, ob alles in Ordnung ist. "Die Familien kennen wir selbst nur telefonisch, wir sind auch beim ersten Treffen von Eltern und Ehrenamtlichen nicht dabei", erklärt Greiner. Nach der Vermittlung dürfen sich beide Seiten bei einem ersten gemeinsamen Termin zunächst ganz unverbindlich beschnuppern. "Da lege ich den Familien und Helfern ans Herz, dass die Chemie stimmen muss. Und es ist auch in Ordnung, wenn sie nicht stimmt. Dann kann die Ehrenamtliche in diesem Haus eben nicht arbeiten", sagt Greiner. In dem Fall gebe es Wartelisten und die Möglichkeit einer Neuvermittlung. "Unsere Helfer können schließlich nur ihre Zeit schenken, wenn sie sich wohlfühlen. Und die Familie gibt ihren größten Schatz nur in die Hände von jemandem, dem sie vertraut." Die meisten Einsätze seien jedoch so erfolgreich, dass sie die Mindestdauer von drei Monaten weit überschreiten. "Natürlich geben die Familien ihre Ehrenamtlichen selten gerne wieder her", so Greiner.

Als der Trägerverein Lotse 2013 den offiziellen Wellcome-Standort für den Landkreis München eröffnete, befürchtete die Vorsitzende noch, nicht ausreichend Ehrenamtliche akquirieren zu können. "Am Anfang dachte ich, wir finden überhaupt niemanden", sagt Iris Kühnel. "Aber jetzt finde ich es erstaunlich, wie viele Menschen sich engagieren." Wie ihre Kollegin Greiner sagt, liegt der Altersdurchschnitt der Helfer bei etwa 50 Jahren. "Aber wir haben auch ein paar sehr junge Frauen, im Moment betreue ich vier Helferinnen zwischen 20 und 25 Jahren." Man müsse keine eigenen Kinder haben, um Wellcome-Helfer zu werden, Erfahrung in der Kinderbetreuung ist aber Voraussetzung.

Daniela Roth ist 45 Jahre alt und hat zwei Kinder, die bereits erwachsen sind. Ihre Freizeit wollte die Hausfrau sinnvoll nutzen. "Also habe ich mich bei verschiedenen Projekten beworben", erzählt sie. "Wellcome war einfach am schnellsten." Auch die Annäherung zwischen Familie und Ehrenamtlicher ging in diesem Fall sehr schnell: Die beiden Frauen waren sich schon beim ersten Treffen sympathisch, ein Vertrauensverhältnis war schnell aufgebaut. "Nach drei oder vier Terminen zu dritt bin ich schon allein mit Victor spazieren gegangen."

Mutter Isabelle Canchila nutzte die Zeit zum Bügeln, Aufräumen und Entspannen. "Man kann sich ja sonst nie auf eine Sache konzentrieren", weiß auch Daniela Roth. "Ich kenne das von der Zeit, als meine Kinder noch jung waren." Und Canchila fügt hinzu: "Früher war es normal, viel Familie in der Nähe zu haben. Wir haben das nicht, und mein Mann ist voll berufstätig. Ich kann nicht immer ein Auge auf Victor haben, und er ist sehr wuselig." Wie auf Kommando krabbelt der Kleine um den Tisch, öffnet ein Regalfach und greift nach einer schweren Vase. Daniela Roth kann gerade noch eingreifen.

Der Wellcome-Einsatz bei Isabelle Canchila endete kurz nach Victors erstem Geburtstag. "Aber ich werde noch ab und zu auf einen Kaffee vorbeikommen", sagt Roth. Und man habe ja Whatsapp, um in Kontakt zu bleiben. "Es ist schon schade, dass es jetzt vorbei ist", findet auch Canchila. "Aber vielleicht ist das erste Lebensjahr auch genau der richtige Zeitraum, denn es ist das schwierigste." Falls Canchila noch einmal schwanger werden sollte, will sie sich auf jeden Fall wieder bewerben. "Aber dann früher, am besten schon während der Schwangerschaft."

© SZ vom 25.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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