Silvia Horn, Claudia Sperling, Sissy Limpert und ihre Kundinnen verbindet eines: Sie tauchen gerne ab in andere Welten. Ein besonders schönes Erlebnis für alle Beteiligten ist es, wenn sie sich quasi in diesen Welten begegnen. So wie eines Tages in der Buchhandlung an der Schlossstraße 14 in Grünwald: Herein schneite eine Kundin, die gerade "Herz auf Eis" gelesen hatte, einen Abenteuerroman um ein Liebespaar, das bei einer Weltumseglung auf einer unbewohnten Insel vor Kap Horn strandet und dort gegen Hunger, Kälte und einem Psychodrama zwischen ihnen kämpft. "Noch drei Stück davon, bitte!", orderte sie bei Inhaberin Horn. "Für drei verschiedene Freundinnen." Ein andere Kundin, die dies mithörte, mischte sich ins Gespräch ein. "Das ist doch die Geschichte, in der sie Pinguine essen", sagte sie. "Genau", antwortete die andere. "Einfach schrecklich. Aber ein so spannendes Buch."
"Lese-Erlebnisse" - so nennt Silvia Horn dies im "Leitbild" ihrer Buchhandlung, das sicher einen guten Teil dazu beigetragen hat, dass das Geschäft jetzt beim Deutschen Buchhandlungspreis unter die 108 besten deutschen Buchhandlungen gewählt wurde. Der Preis samt Preisgeld wird am 31. August in Hannover überreicht. Die Auszeichnung, die ins Leben gerufen wurde, um kleine, inhabergeführte Buchhandlungen zu unterstützen, gibt es seit drei Jahren. Auf den Preis sind die insgesamt fünf Buchhändlerinnen, die das Geschäft am Laufen halten, sehr stolz.
Womit haben sie wohl die Jury überzeugt? "Unsere Stärken liegen zum einen darin, dass wir zwei Drittel der Bücher in unserem Laden selbst gelesen haben", sagt Silvia Horn. "Das ist ein wahnsinniger Freizeitaufwand, und das kann man nur mit Herzblut schaffen." Davon zeugt beispielsweise der "Favoritentisch". Auf diesem sind stapelweise Bücher ausgelegt, an denen kleine Zettelchen angebracht sind. Auf diesen stehen die Lese-Eindrücke der drei Mitarbeiterinnen oder auch einmal einer Praktikantin. Auch Leserinnen und Leser würden die Buchhändlerinnen gerne einbeziehen, doch bisher haben sich noch keine gefunden.
Dabei ist die Sache ganz einfach. Man schreibt einfach ein paar Sätze als ganz persönliche kleine Rezension, etwa: "Wenn Sie den Rosamunde-Pilcher-Film verpasst haben, ist das ein guter Ersatz." Denn das möchten die Damen auch betonen: Lesen muss nicht immer gleich Bildung und schwere Kost bedeuten. Ganz im Gegenteil. "Wer einen Liebesroman will, kriegt einen", sagt Silvia Horn. Lesen soll auch einfach nur Spaß sein. Trotzdem lernt sie selbst beispielsweise sehr gern "nebenbei" aus Büchern, etwa aus einem Titel, der zu den "Top Twenty meines Herzens" gehört: "Das geheime Leben der Sarah Voss" handelt von einer Malerin zur Rembrandt Zeit, spielt aber teilweise auch im Jahr 2012. "Ich habe darin so viel über Farben gelernt und über Licht", sagt Horn. Auch eine beeindruckende Szene geht ihr nicht mehr aus dem Sinn: "Ein Wal wurde an Land gespült und alle Maler kamen von weit her dorthin, um ihn zu malen." Damals gab es eben noch keinen Fotoapparat. "Diesen Wal werde ich mein Leben lang nicht vergessen", sagt Silvia Horn.
Denselben Satz hat sie eben schon mal gesagt, über die Hauptperson in dem Buch "Ein irischer Dorfpolizist" von Graham Norton, einem Bestseller in Irland und jetzt auf Deutsch erschienen. "Der Polizist ist ziemlich dick", verrät Horn. "Und das hat ihn mir so sympathisch gemacht. Aber dann wird er natürlich noch in Liebe verwickelt."
Jetzt aber zurück zur Jury und den weiteren Stärken der siegreichen Grünwalder Buchhandlung: "Wir gehen nach draußen", sagt die Inhaberin. "Wir warten nicht, bis die Leute zu uns kommen." Vor allem auf Kinder geht die Buchhandlung aktiv zu, und zwar in Person von Claudia Sperling. Die Leiterin der Kinder- und Jugendbuchabteilung hat ihren Terminplan zur Bewerbung um den Preis mit eingereicht und damit wohl die Jury beeindruckt. Denn darauf stehen 26 Veranstaltungen vom Besuch in Kindertagesstätten über ein "Benefiz Literatur Brunch" mit Kindern bis zum Sommer-Lese-Club "Schock deine Eltern, lies ein Buch", den sie gemeinsam mit der Gemeindebibliothek machen. Claudia Sperling, die bei Veranstaltungen mit Kindern meist eine Kasperl-Handpuppe dabei hat, hört auf der Straße in Grünwald oft von Kindern: "Das ist die Frau vom Kasperl!"
Und es gibt noch mehr Angebote der Buchhandlung: Private Literaturzirkel dürfen für einen Abend in die Buchhandlung zu Besuch kommen, man kann dort Geburtstage und andere Feste feiern und darf dann auf Vertrauensbasis sogar die Kasse selbst bedienen. Das geht, weil die meisten Kunden Stammkunden sind, man kennt und vertraut sich. Es gebe übrigens auch eine "erkleckliche Anzahl männlicher Kunden", möchte Horn noch betonen. Die mögen vor allem Sachbücher und Krimis und kommen vor allem samstags mit den Kindern vorbei, von der Gattin geschickt. In der Mehrheit aber sind es Frauen, die gemeinsam mit den Frauen von der Buchhandlung in andere Welten eintauchen wollen.