Meine zweite Heimat:Ein kleines Rädchen in Deutschland sein

Anna Lahodyuk aus der Ukraine ist froh, dass sie hier Arbeit gefunden hat.

Von Rainer Rutz, Planegg

Meine zweite Heimat: Anna Lahodyuk aus der Ukraine kümmert sich im Auftrag der Gemeinde Planegg um ihre geflüchteten Landsleute.

Anna Lahodyuk aus der Ukraine kümmert sich im Auftrag der Gemeinde Planegg um ihre geflüchteten Landsleute.

(Foto: Catherina Hess)

Anna Lahodyuk teilt das Schicksal vieler ukrainischer Landsleute, die dem Krieg in ihrer Heimat entflohen sind. Kurz nach dem russischen Angriff kam die 34-Jährige aus Lwiw nach Deutschland. Aber anders als die meisten anderen Ukrainerinnen und Ukrainer kennt sie sich hier aus: Nach einem Studium in Geomorphologie in Lwiw arbeitete sie zwölf Jahre lang als Reiseleiterin, besuchte viele europäische Länder und war auch oft in München und sogar im Würmtal, das ihr nun zur zweiten Heimat geworden ist.

Als sie mit wenig Gepäck und ihrem damals elf Monate alten Sohn Vasyl auf dem Arm im März vergangenen Jahres zunächst bei Bekannten in Germering unterkam, sei ihr schon klar gewesen, dass sie in der Ukraine nicht mehr normal leben könne. "Dort ist keine Zukunft für mich und meine Familie", sagt sie. Ihren Ehemann - er heißt auch Vasyl - musste sie zurücklassen. Er ist bei der Armee und kämpft seit Monaten an der Front im Osten des Landes. Einmal hat Anna Lahodyuk ihn seither gesehen - für vier Stunden. Auch ihre Eltern, Geschwister, die meisten Freunde und ihre geliebte Mischlingshündin Bailey ließ die 34-Jährige zurück.

Vier Monate lebte sie in Germering, hatte "viel Arbeit mit Dokumenten", wie sie sagt: "Das war die schwierigste Zeit, aber mit der Unterstützung von Freunden wurden alle Dokumente erstellt." Und sie hatte auch Glück: Sie fand einen Krippenplatz für ihren Sohn in Martinsried und nach einer langen Bewerbungstour einen Job als "Kümmerin" bei der Gemeinde Planegg. Sie betreut nun rund 100 ukrainische Flüchtlinge in der Gemeinde und ist Ansprechpartnerin in nahezu allen Bereichen des täglichen Lebens. Als Angestellte der Kommune bekam sie eine Gemeindewohnung zur Miete. Lahodyuk ist froh, dass sie arbeiten kann, und betont immer wieder, dass sie für sich und ihren höchst lebhaften Sohn keine Sonderrechte möchte: "Nur so fühle ich mich wohl. Die europäische Kultur ist für mich sehr nah."

Anna Lahodyuk fühlt sich in Deutschland freundlich aufgenommen. "Die Leute hier sind sehr ruhig, die meisten leben ohne große Ansprüche und sind sehr bescheiden", findet sie. Das gefällt ihr. Aber sie sagt auch: "Meine Gefühle sind wie Achterbahnen, einerseits bin ich sehr froh, dass mein Sohn in Frieden leben kann, andererseits ist mein Mann an vorderster Front und ich habe keine normale Nacht in Ruhe." Nur die Arbeit vertreibe die bösen Gedanken, dafür sei sie sehr dankbar. "Ich fühle mich sehr wohl, wenn ich ein kleines Rädchen in Deutschland sein kann." Anna Lahodyuk träumt von einer Zukunft mit Mann und Sohn hier nach Kriegsende, sie möchte sich weiterbilden und ihre Sprachkenntnisse perfektionieren. Und sie will vor allem ihrem Sohn eine friedliche Lebensperspektive bieten.

In einer früheren Version dieses Artikels war der Name der Protagonistin falsch geschrieben.

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