München: Plädoyers im Brunner-Prozess:"Die dachten, ihnen gehöre die Welt"

Im Prozess um den Tod von Dominik Brunner am S-Bahnhof München-Solln bleibt die Staatsanwältin beim Mordvorwurf gegen Markus Sch. Für beide Angeklagte fordert sie hohe Haftstrafen.

Tobias Dorfer

Es ist kurz nach zehn Uhr, als die beiden Angeklagten den Saal A101 vor der Jugendkammer des Landgerichts München I betreten. An Handschellen werden sie hereingeführt. Den Kopf haben Markus Sch. und Sebastian L. gesenkt. Es werden die Plädoyers gehalten in einem Fall, der ganz Deutschland bewegt.

Plädoyers im Brunner-Prozess

Plädoyers im Brunner-Prozess: Die Staatsanwaltschaft bleibt bei der Anklage wegen Mordes.

(Foto: dpa)

Die beiden jungen Männer sind angeklagt, am 12. September 2009 am S-Bahnhof in München-Solln den Geschäftsmann Dominik Brunner so brutal zusammengeschlagen zu haben, dass er wenig später an den Folgen starb.

Sebastian L. ist 18 Jahre alt und der jüngere der beiden. Er trägt ein weißes Hemd, das aus der Hose hängt, dazu weiße Turnschuhe. Er wirkt unscheinbar, fast schon schüchtern. Das Auffälligste an ihm ist noch das Armband in Regenbogenfarben, das er am Handgelenk trägt.

Markus Sch. hat die blonden Haare kurzgeschoren, er trägt ein schwarzes Hemd. Kaum haben die beiden an der Anklagebank Platz genommen, richten sie ihre Blicke stoisch auf die hellbraune Holzplatte vor ihnen. Es geht um die Frage, die auch über die Zukunft der Angeklagten entscheiden wird: Haben sich die beiden mit ihren Schlägen des Mordes schuldig gemacht oder nicht?

Für die Anklage ist die Antwort eindeutig: Dominik Brunner ist gestorben, "weil er Zivilcourage gezeigt hat", sagt Staatsanwältin Verena Käbisch. Dass Brunner den ersten Schlag geführt habe und letztendlich an Herzversagen gestorben sei, ändere nichts an der Schuld. Für den Tod von Brunner sei eindeutig der Kampf ursächlich. "Niemand hat Anspruch auf ein gesundes Opfer."

Sie fordert die höchstmögliche Jugendstrafe und plädiert auf zehn Jahre Haft für den 19 Jahre alten Markus Sch. wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen. Auch an der versuchten räuberischen Erpressung gegen vier Schüler hält sie fest. Für den ein Jahr jüngeren Sebastian L. fordert sie eine achtjährige Haftstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge. Ursprünglich war auch er wegen Mordes angeklagt worden. Bei beiden Angeklagten gilt das Jugendstrafrecht. Im Gegensatz zum Erwachsenenstrafrecht verfolgt das Jugendstrafrecht das Ziel, Verurteilte im Gefängnis so zu betreuen, dass sie später nicht mehr straffällig werden und ein neues Leben starten können.

In beißendem Ton hält Käbisch ihr Schlussplädoyer. Dabei zeichnet die Staatsanwältin das Bild einer organisierten Gewaltorgie. Markus Sch. und Sebastian L. seien wütend gewesen, weil Dominik Brunner ihren Plan, von einer Gruppe Jugendlicher Geld für Alkohol "abzuziehen", zunichte gemacht hatte. Vor allem Markus Sch. sei in seiner Ehre gekränkt gewesen, weil der Manager am Bahnsteig zuerst zugeschlagen und ihm dabei eine blutige Nase verpasst hatte.

"Völlig unbelehrbar"

Markus Sch. handelte mit Tötungsvorsatz, sagt Käbisch. Er habe Brunner bewusst gegen den Kopf getreten. Er habe den Schlüssel, den er sich vor der Tat zwischen die Hand klemmte, "bewusst eingesetzt" und den Plan verfolgt, Brunner "schwerstmöglich zu verletzen". Einen "Kampf ohne Grenzen" nennt die Staatsanwältin dies. Einen Kampf von "möchtegern-coolen Jungs", die dachten "ihnen gehöre die Welt". Das rechtfertige eine Verurteilung wegen Mordes.

Zudem habe sie "kein Wort des Bedauerns" von dem zur Tatzeit 18-jährigen Markus Sch. gehört. Im Gegenteil. Er habe sogar gelacht, als die Prozessteilnehmer am Richtertisch Bilder des Opfers angeschaut haben. "Dies ist völlig deplatziert, geschmacklos und eine Verhöhnung des Opfers", sagt Käbisch.

"Völlig unbelehrbar"

Annette von Stetten, die Vertreterin der Nebenklage, beschreibt, wie Markus Sch. fast zwei Verhandlungstage lang Rap-Texte auf einen Zettel gekritzelt hätte: "Das hat gezeigt, dass ihm die Veranstaltung hier am Arsch vorbeigeht." Zudem habe Sch. im Gefängnis bereits Pläne gemacht, wie er seine eigene Geschichte vermarkten könne, sagt die Staatsanwältin. Ihr Fazit: Markus Sch. sei "völlig unbelehrbar".

Obwohl Markus Sch. zur Tatzeit schon volljährig war, soll er nach Jugendstrafrecht verurteilt werden. Die Anklage attestiert ihm eine "Reifeverzögerung". Markus Sch. habe zuhause gelebt, keine Berufsausbildung absolviert, würde stark an seinem älteren Bruder hängen.

Auch mit Sebastian L. geht die Staatsanwältin nicht zimperlich um. Er habe ebenfalls auf das Opfer eingetreten und eingeschlagen. Auch er habe aus niederen Beweggründen gehandelt, sagt Käbisch. Und doch sei er weniger aggressiv gewesen. Am Ende habe er versucht, seinen Kumpel von dem am Boden liegenden Brunner wegzuziehen. Für den Mitangeklagten Sebastian L. sprächen zudem seine schwierigen persönlichen Umstände. Außerdem habe er sich selbst bei der Verhandlung geäußert. Im Gegensatz zu Markus Sch. lasse sein Verhalten darauf schließen, dass er seine Tat ehrlich bereue. Dennoch sei er mitverantwortlich für den Tod des 50-jährigen Managers und nur "einen Zentimeter vom Tötungsansatz entfernt".

Deshalb fordert Käbisch auch bei dem zur Tatzeit 17-jährigen Sebastian L. eine überraschend hohe Strafe: eine Jugendstrafe von acht Jahren wegen Körpferverletzung mit Todesfolge. Der Grund: Er gilt als Mittäter und die Tat seines Freundes sei demnach wie seine eigene zu werten.

"Jede Lebensfreude ist ihnen genommen"

Besonders emotional wird es, als die Vertreterin der Nebenklage das Wort ergreift. Auch Annette von Stetten fordert hohe Haftstrafen für die Angeklagten. Dann wird sie persönlich, erzählt von den Eltern von Dominik Brunner: Felicitas Brunner, die Mutter, sei bettlägrig und ein Pflegefall. Sie bekomme starke Schmerzmittel, die erhebliche Nebenwirkungen hervorrufen würden.

Oskar Brunner, der Vater, leide unter einer schweren Depression. Er habe Herzbeschwerden, Magenbeschwerden und könne nur schwer schlafen. "Jede Lebensfreude ist ihnen genommen", sagt von Stetten - und richtet sich dann an die Angeklagten: "Sie haben neben Dominik Brunner auch seine Eltern auf dem Gewissen." In den Gesichtern von Markus Sch. und Sebastian L. zeigt sich keine Regung - wie schon den gesamten Prozesstag über.

Derzeit haben die Anwälte der Angeklagten das Wort. Derzeit versuchen sie vor allem, die Glaubwürdigkeit der meisten Zeugen zu erschüttern. Sie suchten die Ursache für Brunners Tod auch in dessen Herzkrankheit: "Hätte Herr Dominik Brunner die Herzkrankheit nicht gehabt, würde er heute noch leben", sagt einer der Anwälte. Wie die Strafe gegen Markus Sch. und Sebastian L. aussehen wird und wem das Gericht glaubt, zeigt sich am 6. September. Dann wird das Urteil gesprochen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: