Pflegemängel in Unterföhring:Alarmierende Einblicke

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Der schöne Schein trügt: Das Seniorenzentrum Unterföhring steht wegen Pflegemängeln in der Kritik. (Foto: sab)

Falsche Medikation, Bettlägrige in Exkrementen, Legionellen im Wasser: Beirat und Heimaufsicht dokumentieren gravierende Mängel im Seniorenzentrum. Die Gemeinde verspricht Besserung.

Von Vinzenz Neumaier, Unterföhring

Makellos fügt sich das Unterföhringer Seniorenzentrum ins Ortsbild: ein moderner Bau mit drei Stockwerken und großen Fensterfronten in guter Lage. Knapp 8,5 Millionen Euro hatte die Gemeinde 2009 in die Hand genommen, um ein würdiges Heim für ihre Senioren zu schaffen. Doch hinter der schmucken Fassade spielte sich in den vergangenen Jahren offenbar wenig Glänzendes ab: Egal ob bei Hygiene, Qualität des Essens oder Behandlung mit Medikamenten - in fast allen Bereichen sind Missstände in dem privat betriebenen Heim dokumentiert.

So viele, dass der Seniorenbeirat der Gemeinde in seiner nicht öffentlichen Sitzung am 15. Januar dieses Jahres zehn Seiten brauchte, um alle aufzulisten. Der Bericht liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Was darin steht, ist alarmierend: Menschen lagen demnach in ihren eigenen Ausscheidungen oder wurden zur Strafe für aufmüpfiges Verhalten vom Frühstück ausgeschlossen. Auch ist es in der Vergangenheit offenbar mehrfach zu Falschmedikationen gekommen. Der renommierte Pflegekritiker Claus Fussek hatte am Wochenende bei einer Diskussionsveranstaltung in Unterföhring die Missstände öffentlich gemacht.

Das Schreiben des Seniorenbeirats basiert auf Informationen zahlreicher Angehöriger. Diese hatten sich an den Beirat gewandt. Aus Furcht nur anonym. Denn es herrschte offensichtlich ein Klima der Angst im Heim. Viele Angehörige befürchteten dem Beirat zufolge, dass Beschwerden die Situation ihrer Mütter und Väter noch verschlimmert hätten. Kritik an Pflegekräften und Heimleitung wurden dem Bericht des Seniorenbeirats nach konsequent ignoriert und "ohne weiteren Kommentar als irrelevant und subjektiv motiviert klassifiziert und nicht weiterverfolgt". Eine Angehörige schildert der SZ Ähnliches: Pfleger hätten Druck ausgeübt, damit Familienangehörige Stillschweigen bewahren. Der Pflegedienstleiterin sei es zudem nicht recht gewesen, dass sie mit Pflegern geredet habe.

Neun Pflegekräfte innerhalb eines Jahres hätten gekündigt

Dass es Probleme mit Angestellten gab, zeigen die Zahlen der Personalabgänge. Innerhalb eines Jahres hätten neun Pflegefachkräfte gekündigt, heißt es im Bericht des Seniorenbeirats. Im Zeitraum von eineinhalb Jahren hätten insgesamt 26 Pflegekräfte das Seniorenzentrum verlassen. Die Heimleitung versuchte laut Beirat das Defizit mit Zeitarbeitskräften auszugleichen. Offenbar ohne Erfolg.

Auch die Heimaufsicht im Landratsamt stellte bei Kontrollen Mängel fest: So war in mindestens einer Nacht nur ein einziger Pfleger für alle Bewohner anwesend. Deshalb kommt die Heimaufsicht in ihrem Bericht, der der SZ ebenfalls vorliegt, zu dem Schluss, dass vonseiten der Einrichtung in Kauf genommen wurde, dass "Betreuungs- und Versorgungslücken" entstehen konnten.

Auch zum Umgang der Pflegekräfte mit den Bewohnern liefern die Berichte der Heimaufsicht und des Seniorenbeirats erschreckende Einblicke: Eine Angehörige soll ihre Mutter "komplett nass und total verkotet" auf ihrem Zimmer gefunden haben. Die Tochter wählte die Notfallklingel. Der einzige anwesende Pfleger soll aber nicht gekommen sein. Er musste das Essen austeilen. Erst nach einer halben Stunde und einer "persönlichen Intervention" der Angehörigen soll die Pflegekraft eingegriffen haben.

Bei einer "direkten Inaugenscheinnahme" im September 2017 stellte die Heimaufsicht fest, dass ein Bewohner seit mehr als einer Woche nicht geduscht worden war. Unter den langen Fingernägeln eines anderen Bewohners klebten vermutlich Exkremente. Beschwerden der Angehörigen hätten keine Wirkung gezeigt, steht im Papier des Seniorenbeirats. Auch bei der technischen Ausstattung mangelte es. Bewohner konnten nicht mehr baden, weil Pfleger sie nach Aussage von Angehörigen ohne Lifter nicht in die Badewanne hieven konnten. Vertreter der Einrichtung erklärten dem Landratsamt, dass für technisches Gerät zu wenig Lagerraum vorhanden sei. Essenswagen hatten keinen Stromanschluss, deshalb seien die Mahlzeiten nur lauwarm serviert worden.

Es sollen falsche Medikamente verabreicht worden sein

Gesundheitlicher Schaden drohte den Bewohnern den Berichten zufolge im Jahr 2016. Eine mikrobiologische Untersuchung ergab 8700 Legionellen pro 100 Milliliter im Duschwasser des hauseigenen "Erlebnisbades". Ab einer Konzentration von 10 000 Legionellen pro 100 Milliliter dreht das Gesundheitsamt den Hahn zu. Auch Duschen im Zimmer 2.04 und der Damenumkleide waren stark belastet. Die Bakterien können eine lebensgefährliche Lungenentzündung verursachen. Besonders gefährdet: Alte und Kranke.

In mindestens vier Fällen haben Pflegekräfte laut Bericht des Seniorenbeirats Bewohnern falsche Medikamente verabreicht. Auch mit Betäubungsmitteln hätten die Angestellten fahrlässig hantiert. Indikationen, wann ein Schmerzmittel verabreicht wird, waren in einem Fall ungenau formuliert. Das erwähnt die Heimaufsicht in ihrem Prüfbericht. Dies hätte zu lebensbedrohlichen Falschmedikationen führen können. Die Temperatur des Medikamentenkühlschranks sei außerdem nicht kontrolliert worden. Dadurch hätten Medikamente an Wirkung verlieren können. Ein Bewohner sollte Kompressionsstrümpfe tragen. Als die Heimaufsicht das Seniorenzentrum kontrollierte, waren sie nicht angelegt. Ein nicht mehr zurechnungsfähiger Patient durfte aufgrund eines richterlichen Beschlusses mit einem Gurt fixiert werden. Wie lange er festgebunden wurde, hätte genau dokumentiert werden müssen. In mindestens drei Fällen hätten Pfleger diese Dokumentationspflicht laut Heimaufsicht missachtet.

Für eine Stellungnahme standen am Donnerstag weder Geschäftsführer Bernd Meurer, der das Seniorenzentrum im Auftrag der Gemeinde betreibt, noch Heimleiterin Dorothea Homann zur Verfügung. Man prüfe noch Akten, so die Antwort. Mittlerweile hat sich auch der Gemeinderat Unterföhring der Probleme im Seniorenzentrum angenommen. In Zukunft soll die Gemeindeverwaltung regelmäßig in Austausch mit Heimleitung, Heimaufsicht und Heimbeirat treten. Bürgermeister Andreas Kemmelmeyer teilte am Donnerstag auf Anfrage mit, dass die Gemeinde die Situation im Seniorenzentrum verbessern wolle. Ansonsten gebe er aus nicht-öffentlichen Sitzungen keine Informationen preis.

© SZ vom 16.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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