Pflege:Betreten verboten

Demenzabteilung in Münchner Seniorenheim, 2010

Immer wieder kommt es vor, dass Angehörigen der Zutritt zu Heimen verwehrt wird. Doch diese Anwendung des Hausrechts ist umstritten.

(Foto: Catherina Hess)

Die Tochter einer Heimbewohnerin klagt wiederholt über Pflegemängel. Weil die Ismaninger Einrichtung sie nicht mehr zu ihrer Mutter lässt, zieht sie nun vor Gericht - kein Einzelfall. Ein Anwalt spricht von "Isolationsfolter".

Von Irmengard Gnau

Christine König klingt verzweifelt. Sie weiß nicht, was die kommenden Monate für sie bringen werden. Gern hätte die 53-Jährige die Faschingstage mit ihrer Mutter verbracht. Die lebt in einem Pflegeheim in Ismaning. Doch ihre Tochter darf sie dort nicht besuchen; sie hat Hausverbot in der Einrichtung. "Ich möchte meine Mutter gern sehen", sagt König. "Sie ist 81, ich weiß nicht, wie viel Zeit sie noch hat."

Christine Königs Mutter leidet an Demenz, seit dreieinhalb Jahren lebt sie in dem Ismaninger Pflegeheim, im beschützenden Wohnbereich für Bewohner mit besonderem Betreuungsbedarf. König besuchte die Mutter anfangs mehrmals die Woche, wusch, unterhielt und umsorgte sie. Und fand immer wieder Situationen vor, die sie nicht so belassen wollte.

Sie bemängelte Nachlässigkeiten bei der Versorgung der Mutter, zu laxe Sturzprophylaxe, aus ihrer Sicht unangemessene Kleidung. "Ich habe immer wieder Pflegemängel gerügt", sagt König, die selbst Pflegefachkraft ist. Die Beschwerden häuften sich, die Situation wurde angespannter, es kam immer wieder zu teils lautstarken Auseinandersetzungen mit der Einrichtungsleitung und Pflegekräften. Das Heim erließ schließlich ein Hausverbot gegen König.

"Für Heime ist die Unterstützung durch Angehörige wertvoll."

Das ist der Einrichtung laut Gesetz möglich, schließlich hat sie das Hausrecht. Allerdings setzt das Bayerische Pflege- und Wohnqualitätsgesetz dem enge Grenzen: In Artikel 5 heißt es dort ausdrücklich, der Träger oder die Leitung eines Pflegeheims dürfe gegen Besucher von Bewohnern ein Hausverbot "nur insoweit aussprechen, als dies unerlässlich ist, um eine unzumutbare Beeinträchtigung des Betriebs der stationären Einrichtung abzuwenden". Dieser Passus, der 2008 eingeführt wurde und nicht in allen Bundesländern in dieser Form existiert, sei eine wichtige Neuerung im bayerischen Pflegerecht gewesen, erklärt Alexander Frey.

Der Münchner Rechtsanwalt hat sich seit bald 40 Jahren auf Betreuungs- und Sozialrecht spezialisiert. Der Mitgründer des kritischen Arbeitskreises "Forum Pflege aktuell" fordert seit Jahren mit Nachdruck Verbesserungen im deutschen Pflegesystem und setzt sich für eine Stärkung der Rechte von Betreuten und Angehörigen ein. Schon vier Mal hat Frey dafür Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht, bislang jedoch immer vergeblich. Seine jüngste Klage lehnten die Karlsruher Richter im November 2016 ohne Begründung ab. Nun will der Anwalt mit seinem Anliegen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.

Nach Einführung des gesetzlichen Schutzes registrierte Frey zunächst eine gute Einhaltung, zuletzt beobachtet der Anwalt jedoch wieder vermehrt Fälle von Hausverboten. Diese würden von Einrichtungen häufig als Mittel gegen Angehörige eingesetzt, die sich über Mängel in der Pflege beschwerten, sagt er. Auch der Verein Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (Biva) zählte 2015 eine Zunahme von Hausverboten. Vor Gericht haben diese allerdings nicht immer Bestand, wie Beispielfälle zeigen. Angehörigenvertreter kritisieren die Maßnahme generell. "Eine Kontaktsperre zwischen Angehörigen und Betreuten herzustellen, ist für mich Isolationsfolter und unwürdig einer Demokratie", sagt Frey. "Für Heime ist die Unterstützung durch Angehörige sehr wertvoll. Wenn sich nicht so viele Angehörige um ihre Verwandten im Heim mitkümmern würden, würde unser Pflegesystem zusammenbrechen."

Die Heimaufsicht weiß von drei Fällen von Hausverboten

Die Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege, welche die Stadt München 1997 als Reaktion auf Missstände eingerichtet hat, verzeichnet keinen spürbaren Anstieg bei Anfragen zum Thema Hausverbote. Etwa zehn Fälle im Jahr würden an die Beratungsstelle herangetragen, heißt es, häufig bereits, wenn Angehörigen ein Hausverbot angedroht werde. Im Landkreis München weiß die Heimaufsicht von drei Fällen von Hausverboten in den vergangenen fünf Jahren. Allerdings sind die Einrichtungen auch nicht verpflichtet, solche Fälle der Behörde zur Prüfung vorzulegen. Die Heimaufsicht erfährt in der Regel durch Beschwerden von Angehörigen davon.

Auch Christine König beschwerte sich bei der Heimaufsicht des Landkreises gegen das gegen sie verhängte Hausverbot. Es gab Vermittlungsversuche, zu einer Lösung aber kam es nicht. Einigungsbemühungen mit der Einrichtung schlugen fehl, inzwischen wird die Angelegenheit von Anwälten verhandelt. Zusätzlich kompliziert macht den Fall, dass Königs Mutter wegen ihres gesundheitlichen Zustands und Uneinigkeiten zwischen den einzelnen Familienangehörigen seit mehr als zwei Jahren einen gesetzlichen Betreuer hat, der Entscheidungen wie etwa über ihren Aufenthaltsort für sie trifft. Dieser unterstützt die Position des Heims und hält die Mutter dort für gut versorgt, wie er bestätigt.

Als Begründung für das Hausverbot habe das Heim mitgeteilt, der Kontakt mit König sei zu anstrengend für die Mutter und sei dieser nicht zuzumuten, erklärt Königs Rechtsanwältin Elisabeth Aleiter. Hinzu komme: "Frau König ist vom Fach, sie sieht Mängel anders als Laien und beschwert sich dementsprechend viel."

"Wir müssen als Träger sicher stellen, dass der ruhige und harmonische tägliche Ablauf in der Einrichtung nicht gestört ist - für unsere Mitarbeiter, für die Betreuten und für andere Angehörige", sagt Martina Rosenberg, Sprecherin der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Oberbayern, die Trägerin des Pflegeheims ist. Die von König geäußerten Beschwerden seien haltlos und von allen Prüfstellen abgewiesen worden. Auch für die Mitarbeiter im Heim sei die Situation belastend, sagt Einrichtungsleiter Tobias Gruber. Bei Konflikten stehen die Pflegekräfte gewissermaßen zwischen den Fronten und werden oft zur Zielscheibe der Unzufriedenheit von Angehörigen. Dabei sagt selbst Aleiter: "Das Personal ist nicht zu beschuldigen; den Pflegekräften ist es unter den gegebenen Umständen gar nicht möglich, alle Aufgaben so zu erfüllen, wie es sich ein Angehöriger vielleicht wünschen würde."

"In erster Linie fehlen Pflegefachkräfte."

Das sieht Pflegerechtsexperte Frey ähnlich. Er fordert seit langem, der Staat müsse endlich mehr und mehr fachlich qualifizierte Pflegekräfte in den Einrichtungen vorschreiben. "Unser Personalschlüssel greift nicht. Wir haben überall zu wenig Personal. Und heute kommen die Menschen älter ins Heim als früher, viele sind bereits dement und brauchen dadurch mehr Betreuung." Doch Personal ist nicht zuletzt ein zentraler Kostenfaktor für die Heimbetreiber. Ein Strukturproblem in der Pflege, bemängeln Kritiker wie Frey; sie fordern mehr Transparenz, eine Pflicht für Pflegeeinrichtungen, ihre Bilanzen offenzulegen. "Natürlich wäre mehr Personal gut, aber in erster Linie fehlen Pflegefachkräfte", sagt Awo-Sprecherin Rosenberg. Ein weiteres Problem, mit dem die Branche zu kämpfen hat.

Im Fall von Christine König, betont Einrichtungsleiter Gruber, bestehe aktuell ein Hausverbot, kein komplettes Kontaktverbot. König könne ihre Mutter abholen und mit ihr Zeit außerhalb des Heims verbringen, wenn sie zuvor beim Heim den Termin anmelde und der gesetzliche Betreuer sein Einverständnis dazu gebe. Seit dem Jahreswechsel konnte die Tochter ihre Mutter auf diese Weise mehrmals sehen. Dennoch sieht Rechtsanwältin Aleiter ein grundsätzliches Problem bei Hausverboten: "Wenn die Einrichtung auf stur schaltet, hat der Angehörige eigentlich keine Handhabe mehr.

Er kann völlig ausgesperrt werden. Vor einem normalen Zivilgericht findet er oft wenig Verständnis, weil das Thema Pflege bei vielen Richtern nicht präsent ist."

Für Christine König zählt nur eines: Sie will ihre Mutter wieder uneingeschränkt besuchen und versorgen dürfen. Diese Zusicherung hofft sie, nun auf dem Klageweg zu erreichen. Einen anderen Weg zur Einigung sieht sie nicht mehr. Ein Verhandlungstermin ist für März angesetzt.

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