Partnergemeinde:Wo Freundschaft endet

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Partnerschaft am Scheideweg? - Der Historiker Hermann Rumschöttel, die Ukrainerin Kateryna Stetsevych, Merith Niehuss, Präsidentin der Bundeswehr-Universität, sowie der Schriftsteller Alexander Estis (von links oben im Uhrzeigersinn) diskutierten in Neubiberg über den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. (Foto: Claus Schunk)

Neubiberg ringt mit der Frage, wie man angesichts des Kriegs in der Ukraine mit dem russischen Tschernogolowka umgehen soll. Eine Podiumsdiskussion zeigt: Einfache Antworten gibt es nicht.

Von Christian Dreßel, Neubiberg

Es sollte ein Festtag werden, dieser milde Frühlingstag Anfang Mai in der Gemeinde Neubiberg. Zum 30. Mal hätte sich da nämlich die Partnerschaft mit der russischen Mittelstadt Tschernogolowka, die rund 50 Kilometer nordöstlich von Moskau liegt, gejährt. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sorgte für die Absage der geplanten Jubiläumsfeierlichkeiten - stattdessen beschäftigte sich am Jahrestag in der Aula der Neubiberger Grundschule vor 75 Gästen eine Runde aus vier Experten mit der Frage, inwieweit wissenschaftliche, kulturelle und zwischenmenschliche Verbindungen nach Russland aufrechterhalten werden können. Die Moderation lag bei Florian Kührer-Wielach, Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München.

Die Ukrainerin Kateryna Stetsevych, die als Referentin für Mittel- und Osteuropa der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin arbeitet, sieht jahrzehntelange Versäumnisse, die nun in ein Dilemma münden. Beginnend mit Willy Brandts Neuer Ostpolitik habe sich der Westen fast ausschließlich auf eine Verständigung mit Russlands konzentriert - und andere Länder Osteuropas wie die Ukraine vergessen. Für Stetsevych ist ein weiterer Austausch mit russischen Wissenschaftlern und Künstlern kaum vorstellbar. "Denn die Verantwortung für diesen Krieg tragen Täter und Untäter." Sie sieht eine Mitschuld am Leid ihrer Landsleute auch bei untätigen russischen Intellektuellen.

Gerade die nehmen Alexander Estis, ein Schriftsteller mit russischen, ukrainischen und jüdischen Wurzeln, und die Präsidentin der Universität der Bundeswehr München, Merith Niehuss, zum Teil in Schutz. Estis berichtet von der Gleichschaltung der russischen Medien und den Repressalien gegen Oppositionelle. "Die Bevölkerung wird demoralisiert. Wer öffentlich Widerstand leistet, wird zensiert, weggesperrt oder geprügelt", sagt der gebürtige Moskauer. Grundsätzlich halte er mehr davon, Dinge zu verändern oder zu ersetzen, anstatt sie völlig zu löschen. Das gelte auch für die deutsch-russischen Beziehungen im kulturellen Bereich. Niehuss, die seit mehreren Dekaden im Austausch mit russischen Wissenschaftlern steht, erzählt von diversen Situationen, in denen das Regime Putin "persönlichen Druck" auf seine Intellektuellen ausgeübt hat. "Wer würde dann von uns auf die Straße gehen, wenn er Angst um sein Leben und seine Familie hat", fragt sie in die Runde. Putin schrecke nicht mal davor zurück, im Ausland Regimegegner zu ermorden.

"Es gibt auch ein anderes Russland", sagt Hermann Rumschöttel

Ähnlich bewertet Hermann Rumschöttel die Lage, der Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns war und vor 30 Jahren maßgeblich die Städtepartnerschaft zu Tschernogolowka aufgebaut hat. Dafür nimmt er die Meere zum Vergleich: am Meeresgrund befänden sich die kommunalen Partnerschaften zwischen Deutschland und Russland. Auf den Ebenen darüber lägen weitere kulturelle, wissenschaftliche und ökonomische Verflechtungen. Das wirklich Staatstragende sei dann erst an der Wasseroberfläche. "Wenn es oben unruhig wird, spürst du das in den ruhigen Tiefen der Kultur und Wissenschaft noch nicht gleich", sagt Rumschöttel. Doch spätestens nach Putins Rede bei der Sicherheitskonferenz 2007 habe er gewusst, dass eine problematische Entwicklung vonstatten gehe. Offizielle Kontakte zu Russland seien heute nicht akzeptabel - hier waren sich alle Experten einig - doch man dürfe nicht alle Russen in einen Topf werfen. "Hinter diesem Krieg stehen vielleicht 10 000 Menschen, aber es gibt auch ein anderes Russland", sagt er.

Dass selbst bereits lange verstorbene Künstler aus Russland nun in einem anderen Licht gesehen werden, zeigt das Beispiel von Fjodor Iwanowitsch Tjuttschew. Die Verse des Lieblingsdichters von Rumschöttel, der im 19. Jahrhundert gelebt und unter anderem Diplomat in München war, hat Putin zur Legitimation des Krieges zweckentfremdet. "Vor so einer Uminterpretation der russischen Kultur und Geschichte hat es mir immer gegraut", sagt der Historiker.

Welcher Propaganda die russische Bevölkerung gegenwärtig ausgesetzt ist, berichtet eine junge Frau aus dem Publikum. Elena, gebürtige Russin, lebt seit sieben Jahren in Deutschland. Seit kurzem häufen sich die Anrufe ihrer besorgten Mutter aus Russland. "Sie sagt, im Fernsehen sieht man, wie schrecklich der Zustand im Westen sein muss. Alle Russen würden diskriminiert werden. Ich solle unbedingt schnell nach Hause kommen", erzählt sie. Sie aber denkt nicht daran. Sie hat in Deutschland eine neue Heimat und Freunde gefunden.

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