Traditionelle Wirtshäuser:Sehnsuchtsort der Städter

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In der historischen Ansicht aus dem Jahr 1913 wird das Waldschlösschen dem Nachbarort Neubiberg zugeschlagen, da Ottobrunn damals noch keine offizielle Ortsbezeichnung war. (Foto: August Zerle)

Das Waldschlösschen in Ottobrunn ist das älteste Gebäude der sehr jungen Gemeinde und spiegelt deren wechselvolle Geschichte wider

Von Martin Mühlfenzl, Ottobrunn

Drei Kilometersteine standen bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts einst an der "RoLa", wie sie im Volksmund auch genannt wird. Drei Steine, gleich hoch und je einen Kilometer weit auseinander. Und doch überragt der Stein mit der Nummer zwölf an der Rosenheimer Landstraße auch heute noch gefühlt die beiden anderen, hat sich hier doch Geschichtsträchtiges abgespielt. Am 6. Dezember 1832 nimmt hier ein Wittelsbacher Prinz Abschied von seinem Vater, König Ludwig I. von Bayern. Es ist nicht überliefert, ob es ein herzliches Abschiednehmen war, für Prinz Otto war es eine Pflicht. Zwei Monate später, am 6. Februar 1833, trifft Otto in der damaligen griechischen Hauptstadt Nafplion ein und hat einen Auftrag der europäischen Großmächte im Gepäck: den Thron der Hellenen zu besteigen.

Zu behaupten, König Otto von Griechenland habe viele Berührungspunkte mit dem Ort, der seinen Namen trägt, wäre wahrlich übertrieben. Der Abschied vom Vater war sein einziger Besuch auf jener Flur, aus der 123 Jahre später die Gemeinde Ottobrunn werden sollte. Und doch ist der einstige Herrscher allgegenwärtig: Ottostraße, König-Otto-Museum, Ottohain, Ottosäule, Prinz-Otto-Straße.

Heute erstrahlt das Haus in neuem Glanz. (Foto: Angelika Bardehle)

In letzterer steht direkt an der Kreuzung zur RoLa das Waldschlösschen, ein Haus das so gar nicht in die sonst eher vorherrschende Tristesse aus Nachkriegsbauten passen will. Und auch eher von der Geschichte des Ortes vor dem Kriege erzählt. Im Jahr 1903 wurde das zweigeschossige Gebäude mit seinem Eckbau und dem markanten Turm vom Münchner Kaufmann Clemens Schöps als Wohnhaus gebaut - und von Anfang an beherbergte es auch ein Ausflugslokal, wie der Ottobrunner Ortschronist Roland Haase in seiner Chronik der Gemeinde dokumentiert hat, die 2017 veröffentlich wurde. Damals schrieb Bürgermeister Thomas Loderer in seinem Grußwort, man tue seiner Gemeinde wohl nicht unrecht, wenn touristische Qualitäten nicht zu ihren Stärken gezählt würden. Und dennoch existiert die Gemeinde heute wohl nur, weil es die Städter Anfang des vergangenen Jahrhunderts zur Entspannung aufs Land zog. Ottobrunn, beziehungsweise die Vorgängersiedlungen Parkkolonie, Ottokolonie, Ottohain, Waldlust und Hindenburgkolonie seien für die betuchten Münchner Sehnsuchtsorte gewesen, so Loderer. Schon deshalb sei Ottobrunn keine gesichts- oder geschichtslose Gemeinde - und schon gar keine geschichtenlose Gemeinde.

Das Waldschlösschen ist der steingewordene Beweis dafür.

Heute ist "das Schlößl", wie es auch genannt wird, das noch älteste bestehende Gebäude in Ottobrunn. Den etwas neuromantischen Namen Waldschlösschen hat der Erbauer Schöps dem Gebäude gegeben. Entscheidend für die Wahl des Standorts seien die Ruhe etwa zehn Kilometer vor der Stadt und die Lage an der Rosenheimer Landstraße gewesen, schreibt Chronist Haase. Gegenüber dem Schlösschen stand einst die Villa Amalie; als Ensemble sollten die beiden Villen wohl als Entree zu einer geplanten Villensiedlung fungieren, die aber - anders als in Nymphenburg oder Thalkirchen - nie realisiert wurde.

Es müssen gleichermaßen ausgelassene und entschleunigte Zeiten Anfang des vergangenen Jahrhunderts gewesen sein. Auf Abbildungen, die Haase zusammengetragen hat, sind um 1910 Ausflügler, Automobile mit offenem Verdeck, Bedienungen auf der Veranda und spielende Buben zu sehen. Auf einer Postkarte wird das Waldschlösschen dem Nachbarort Neubiberg zugeschlagen, was schlichtweg daran liegt, dass es Ottobrunn damals als Ortsbezeichnung offiziell noch gar nicht gab.

Seit Beginn des Jahres bewirtet hier Giuseppe Cammalleri mit seiner Familie in der Osteria Vita Bella Gäste. (Foto: Angelika Bardehle)

Lange Zeit geprägt hat die Münchner Hoteliers-Familie Kempf das Leben im Waldschlösschen. Peter und Sophie kauften das Haus im Frühjahr 1911, zuvor waren sie Besitzer des Hotel-Restaurant-Cafés am Stachus. Doch auch dem Ehepaar wurde das Leben in der Stadt wohl zu viel und zog in die beschauliche Gegend. Bis 1984 blieb das Waldschlösschen drei Generationen lang in Familienbesitz. "Das Leben im Waldschlösschen war ausgesprochen spartanisch. Im Parterre und im ersten Stock gab es nur Etagentoiletten, im Dachgeschoss anfangs nicht mal diese. An Duschen oder Badewannen war jahrzehntelang nicht zu denken", schreibt Haase. Von 1958 an gab es aber die Möglichkeit, sich im sogenannten Tannen-Bad gegenüber dem Schlösschen zu reinigen; für Ehepaare sogar in Doppelkabinen mit zwei Badewannen, die anfangs ein "ziemlicher Aufreger" in Ottobrunn gewesen sein müssen.

In der "Restauration Waldschlößl" gab es in den Dreißigerjahren laut Eigenanzeige "gutbürgerliche Küche" und ein schönes, geräumiges Nebenzimmer auch für Vereine sowie einen "schönen,schattigen Garten". Das ist auch heute noch so. Auch ein Metzger und ein Friseur waren vor dem Krieg im Haus untergebracht. Im Jahr 1927 wurde auf dem Dach ein Bosch-Horn als Einsatzsignal für die Freiwillige Feuerwehr montiert, das aber so leise war, dass sich das damalige Feuerwehrmitglied Jakob Kohlhuber lieber aufs Radl schwang, um die Kameraden zu informieren.

Im Waldschlösschen war in all der Zeit Gastronomie untergebracht, auch wenn die Besitzer häufig wechselten. In den Achtzigerjahren, schreibt Haase, habe das Haus aber einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck gemacht und sei zu einer "Allerweltskneipe" geworden. Heute steht es wieder so an der RoLa, wie es sich der Erbauer Schöps wohl vorgestellt hat - als strahlendes Entree in die Gemeinde mit ihrer so kurzen aber wechselvollen Geschichte. Eine große Villenkolonie ist Ottobrunn nie geworden, dafür fehlt der flächenmäßig kleinsten Kommune im Landkreis München mit der zweithöchsten Bevölkerungsdichte der Republik auch schlichtweg der Platz. Als sich Ottobrunn 1955 von Unterhaching loslöste und eine eigenständige Gemeinde wurde, haben die Verantwortlichen dem Ort einfach zu wenig Platz zugeschlagen.

Leben lässt es sich hier aber dennoch gut, in einer Gemeinde mit viel Grün und ihrem Gartenstadtcharakter. Und so steht heute nicht umsonst am Waldschlösschen der Name: Vita Bella.

© SZ vom 10.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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