Ottobrunn:Unsittenbild eines Mittelstandes

Ottobrunn: Das Gegenteil eines Feel-Good-Stücks: "Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos" ist am nächsten Wochenende in Ottobrunn zu sehen.

Das Gegenteil eines Feel-Good-Stücks: "Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos" ist am nächsten Wochenende in Ottobrunn zu sehen.

(Foto: privat)

Die Radikalkomödie "Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos" des Schriftstellers Werner Schwab feiert unter der Regie von Bernd Seidel im Wolf-Ferrari-Haus Premiere. Gefälliges Mainstream-Theater ist nicht zu erwarten

Von Udo Watter, Ottobrunn

Wer den Alkohol jenseits gesellschaftlicher Rituale wie Pausensekt oder Feierabendbier in seiner metaphysisch-exzessiven Variante betrachtet, wird auf mächtige Ambivalenzen stoßen: Die einen sehen in ihm ein Existenzverhütungsmittel, die anderen einen Intensitätssteigerer, der uns von unnötigen Hemmungen befreit. Die einen ein berauschendes Hilfsmittel, das Ängste löst und die Welt erträglicher macht, die anderen ein Teufelszeug, das uns zivilisatorischer Hemmungen entkleidet und zu dummen, tierischen Handlungen animiert. "Das Leben ist eine Illusion, hervorgerufen durch Alkoholmangel", hat Charles Bukowski seine Sicht der Dinge auf den Punkt gebracht.

Der österreichische Schriftsteller Werner Schwab, 1958 in Graz geboren, war ein (Bukowski ebenbürtiger) Trinker vor dem Herrn. Der Mann, der die deutschsprachige Theaterszene in den Neunzigern als "Genie" und "Monster" aufwirbelte, starb zum Jahreswechsel 1993/94 an einer durch eine Alkoholvergiftung hervorgerufenen Atemlähmung, er soll 4,1 Promille Alkohol im Blut gehabt haben.

Schwabs Durchbruchsstück "Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos" wird am Samstag, 23. Oktober, im Ottobrunner Wolf-Ferrari-Haus in der Inszenierung von Regisseur Bernd Seidel Premiere haben. Den Theatermacher hat dieses als "Radikalkomödie" firmierende Werk - uraufgeführt 1991 an den Münchner Kammerspielen - in vielerlei Hinsicht gereizt. "Etwas Komödiantisches, das aber auch Tiefgang hat", habe er gesucht. Ein aufwühlendes, tragikomisches, brutales, allzu menschliches Stück, dem er seine eigene Handschrift - vom Bewegungstheater über poetische, fantasievolle Szenen jenseits von plattem Naturalismus sowie Elemente des Volkstheaters - zu verleihen beabsichtigte. Dazu kommt die eindrückliche Sprache des Autors: derb, unmittelbar, eigenwillig, obszön, brutal-poetisch. Sie ist inklusive ihrer Kombination aus Neuwortschöpfungen und Vulgarismen als "Schwabisch" in die Theatergeschichte eingegangen. Für Seidel ist es wichtig, dass die "Sprache natürlich rüberkommt" und nicht zum provokativ-ordinären Selbstzweck degradiert wird. Im Idealfall fällt es dann gar nicht mehr auf, wenn das Wort "Ficken" oder andere vulgäre Ausdrücke ständig benutzt werden.

Die Handlung, die auch autobiografische Züge trägt, spielt in einem Grazer Mietshaus und liefert das "Unsittenbild eines Mittelstandes", in dem den Menschen alle Freiheiten, ihr Leben zu verwirklichen, gegeben werden, sie sie aber nicht nutzen können. "Die Figuren scheitern an ihrer Dummheit, Borniertheit und Engstirnigkeit." Es ist natürlich das Gegenteil eines Feel-Good-Stücks, aber trotz des grotesk-bösen Charakters bietet die Radikalkomödie in Seidels Inszenierung wohl auch zahlreiche anrührende und lustige Momente. "Die Figuren sind witzig und frech", so der Regisseur, "aber sie sind auch alle gebrochene Persönlichkeiten, die Sehnsucht nach Liebe und Befreiung haben".

Die individuellen Träume auszuleben, gelingt keinem der Hausgemeinschaft - die Flucht in den Alkohol, in andere Drogen, in Gewalt oder Apathie sind die Folge. "Natürlich knallen sich die die Birne zu." Trunksucht, Kleinkariertheit, psychische wie physische Verkrüppelung, Spießigkeit, intellektuelle Arroganz - eine unschöne Gemengelage bestimmt das Fluidum des Hauses. Aber Seidel betont, dass die Inszenierung "erfrischend und spannend" gestaltet sei. Also offenbar keine Gefahr, komplett deprimiert nach Hause zu gehen. Wichtig sei es, so Seidel, dass die Figuren nicht karikaturhaft rüber kämen. "Ich habe mir die Freiheit herausgenommen, manche Dinge zu straffen und Abstraktionsmöglichkeiten zu nutzen." Letztlich münde alles in ein verrücktes Fest.

Geprobt hat Seidel, der künstlerischer Berater des Wolf-Ferrari-Hauses ist, in Südspanien, wo er seit etlichen Jahren nahe Málaga lebt. Zur insgesamt sechsköpfigen Darstellerriege gehören wieder Patrick Gabriel, den das Publikum in Ottobrunn schon lange kennt, sowie Caroline Betz und Marc-Andree Bartelt, die vor zwei Jahren in der von der Presse gelobten Seidel-Inszenierung "Der große Fall der Lady Macbeth und Macbeth" mitwirkten.

Seidel, bald 68 Jahre alt und Alt-68er, ist ein Regisseur, der auch als Künstler mit Faible für Fantasie und Schönheit stets das Politische und Gesellschaftliche mitdenkt. Auf welche Weise ein Stück wie Schwabs "Volksvernichtung" funktioniert, das quasi lauter kaputte und teil-kaputte Menschen zeigt, die letztlich alle symbolisch nach Liebe schreien, dürfte besonders interessant sein. Gefälliges Mainstream-Theater wird es nicht werden, das Lachen wird manchem Zuschauer wohl häufiger im Halse stecken bleiben - man kann es ja dann eventuell mit einem Pausensekt oder Premiere-Bierchen hinunter schlucken.

Die Vorstellung am Samstag, 23. Oktober, beginnt um 19.30 Uhr. Karten gibt es unter https://wfh-ottobrunn.de/programm/ respektive Reservix oder an der Theaterkasse im Wolf-Ferrari-Haus (Telefon: 089/60 80 83 01). Von Mittwoch, 27. Oktober, an gibt das Ensemble mehrere Vorstellungen von "Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos" im Münchner "Theater...und so fort", weitere Informationen unter https://www.undsofort.de/spielplan.

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