SZ-Serie: Wer wohnt denn da?:"Das ist schon ein Kommen und Gehen im Haus"

SZ-Serie: Wer wohnt denn da?: Helga Hervay und Ursula Adler (von links) leben schon seit 1968 im Ottobrunner Sternhaus und müssen sich jetzt auf eine längere Baustelle einstellen.

Helga Hervay und Ursula Adler (von links) leben schon seit 1968 im Ottobrunner Sternhaus und müssen sich jetzt auf eine längere Baustelle einstellen.

(Foto: Claus Schunk)

In den Sechzigerjahren lebte im Ottobrunner Sternhaus eine Gemeinschaft von Bundeswehrangehörigen. Doch von den alten Bewohnern und dem Zusammenhalt ist kaum noch etwas geblieben.

Von Martin Mühlfenzl, Ottobrunn

Ganz oben und ganz unten lässt sich erahnen, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Auf dem Dach des Ottobrunner Sternhauses fällt der Blick auf eine Mauer, von der sich der Putz nicht nur leicht löst, sondern ganze Klumpen herunterzufallen drohen. Sollte dies passieren, schützt ein bedachtes Gerüst die Bewohner 23 Meter tiefer direkt vor dem Hauseingang vor Steinschlag. Das hohe Haus - manche nennen es fälschlicherweise ein Hochhaus, aber dafür ist es einen Meter zu niedrig, weil die Feuerwehr das Dach mit der Drehleiter gerade noch erreichen kann - ist etwas heruntergekommen. Aber es ist auch ein Gebäude mit einem ganz besonderem Flair, das viel über die Geschichte eines Ortes erzählt, der noch vor 100 Jahren eine kleine Waldkolonie für Ausflügler war und heute mit seiner Entwicklung zur Kommune mit der zweithöchsten Bevölkerungsdichte in Deutschland zu kämpfen hat.

Helga Hervay wohnt im ersten Stock, in dem nach Süden gerichteten Flügel. Es ist einer von drei, die dem Haus seinen Namen gegeben haben: Sternhaus. Vom Balkon aus hat die 74-Jährige, die seit 1999 in dem Gebäude wohnt, einen schönen Blick auf viel Grün und einige weitaus niedrigere Nachbarhäuser. Beziehungsweise hat sie den Blick wieder, denn bis vor einigen Tagen versperrte ihr noch die meterhoch gewachsene Hecke die Sicht nach draußen; bis Gemeindemitarbeiter endlich mit den Heckenscheren anrückten.

Hervay wohnt schon seit Ewigkeiten im südöstlichen Landkreis München, erst in Unterhaching, dann in Ottobrunn. Sie hat die Entwicklung des Ortes mit seinen heute etwa 23 000 Einwohnern hautnah miterlebt; den immer stärker werdenden Siedlungsdruck, die fortschreitende Versiegelung, die Diskussionen, welche Flächen in einem Ort, in dem es kaum mehr freie Areale gibt, überhaupt noch zugebaut werden können. Etwa 23 000 Einwohner drängen sich auf nur etwas mehr als fünf Quadratkilometern Ortsfläche.

Nicht nur heute polarisiert in der Gemeinde die Diskussion darüber, wie der Gartenstadtcharakter in direkter Nähe zur Landeshauptstadt überhaupt noch erhalten werden kann. Schon in den Fünfziger- und Sechzigerjahren gab es heftige Debatten, als unter Bürgermeister Anton Wild erste Hochhäuser das Erscheinungsbild des Ortes gravierend veränderten. Im Jahr 1969 musste der damalige Rathauschef sogar zurücktreten, weil er das Projekt eines sogenannten Hochhaus-Kamms forcierte, der nie realisiert werden sollte. Der Gemeinderat entzog Wild dennoch das Vertrauen.

Neun Jahre zuvor war das Sternhaus errichtet worden, als gemeindeeigener Bau, der er noch heute ist - und manchem Gemeinderat auch etliche Kopfschmerzen bereitet. CSU-Mann Erwin Mühlbauer hat sich viel mit dem Sternhaus beschäftigt, vor allem in der jüngeren Vergangenheit. Denn es steht eine Generalsanierung an. Wie diese das Gebäude letztlich verändern könnte, lässt sich im Kern des Sternhauses beobachten - im Treppenhaus. Vor fünf Jahren wurde das Innerste des Gebäudes aufwendig saniert, seitdem spannen sich filigrane Edelstahlnetze, die an kaum sichtbaren Metallstangen angebracht sind, als Absturzsicherung vom Erdgeschoss bis in den neunten Stock; grell, aber nicht aufdringlich schimmern die Wände in Gelbtönen. Es ist eine hochmoderne Einrichtung, die in vollkommenem Kontrast zum Rest des Hauses steht; die aber auch einige Hunderttausend Euro gekostet hat. "Sieht schon gut aus, aber da hat sich auch ein Architekt ausgetobt", sagt Mühlbauer.

SZ-Serie: Wer wohnt denn da?: Das mit einem Stahlnetz gesicherte Treppenhaus gibt schon einen Vorgeschmack darauf, wie das im Besitz der Gemeinde befindliche Gebäude nach der Sanierung aussehen könnte.

Das mit einem Stahlnetz gesicherte Treppenhaus gibt schon einen Vorgeschmack darauf, wie das im Besitz der Gemeinde befindliche Gebäude nach der Sanierung aussehen könnte.

(Foto: Claus Schunk)

Helga Hervay führt mit ihrer Nachbarin Ursula Adler, die schon seit 1968 im Sternhaus wohnt, in ihre Wohnung. Überall hat sie Pflanzen aufgestellt, die ihre Leidenschaft sind, wie sie sagt. Auf 58 Quadratmetern wohnt Hervay hier zu vergünstigten Konditionen, die von der Gemeinde gewährt werden. Der Quadratmeter kostet weniger als zehn Euro - ein Schnäppchen im vom Mietwahnsinn geprägten Landkreis München. Und das soll auch trotz der Sanierung so bleiben, obwohl diese Kosten von bis zu 14 Millionen Euro verursachen könnte. "Wir als Gemeinderat schauen genau darauf, dass die Mieten nicht steigen", sagt Mühlbauer.

Bei Helga Hervay soll unter anderem das Bad, das noch aus den Sechzigerjahren stammt, komplett neu gemacht werden, die Böden müssen ausgetauscht werden. Das riesige Fenster zum Balkon soll weichen und durch drei kleinere ersetzt werden. "Da hätte ich es auch beim Putzen leichter", sagt Hervay und lacht. Doch was passiert mit ihr und ihrer Nachbarin während der Sanierung? "Es gibt die Möglichkeit, dass die Bewohner quasi während des laufenden Betriebs hier wohnen bleiben", sagt Mühlbauer. Hervay und Adler betonen, sie wollten keinesfalls während der Bauarbeiten ausziehen. "Wo sollen wir denn auch hin?", fragt Adler.

Für die 74-jährige Hervay und die 75-jährige Adler ist das Sternhaus zur Heimat geworden, auch wenn es heute in dem Gebäude sehr viel anonymer sei als in früheren Zeiten, so Adler. Als sie 1968 mit ihrem Mann hier einzog, sagt sie, habe man sich gekannt, die Bewohner im Haus und auch rundherum hatten ja fast alle etwas gemeinsam: den Bezug zur Bundeswehr. Noch in den Sechziger- und Siebzigerjahren wurde das Areal rund um das Sternhaus "Bundeswehrsiedlung" genannt, weil hier fast ausnahmslos Beschäftigte des nahen Standortes in Neubiberg untergebracht waren. Das aber ist lange vorbei. Heute ist in Neubiberg nur noch die Universität der Bundeswehr angesiedelt, und die Studierenden, Soldaten und Lehrenden wohnen mittlerweile in modernen Appartements auf dem Campus im Nachbarort - und im Sternhaus kennen sich die Bewohner fast nur noch auf der eigenen Etage. "Das ist schon ein Kommen und Gehen im Haus", sagt Hervay. "Früher war es schöner, persönlicher. Ich weiß nicht, ob ich heute noch einmal einziehen würde."

Vom bröckelnden Dach des Hauses aus hat der Betrachter einen weitläufigen Blick - am Horizont ist der Olympiaturm zu sehen, das moderne Hochhaus in Haar, die Trabantensiedlungen in Neuperlach und Taufkirchen. Und rundherum viel Grün. Die Ottobrunner sind ja nach wie vor stolz auf den Gartenstadtcharakter ihrer Gemeinde, der auch noch direkt vor dem Sternhaus spürbar ist. "Auch wenn bei uns in der Gemeinde immer weiter nachverdichtet wird. Vor allem in den Neunzigerjahren wurde massiv gebaut", sagt Mühlbauer. Hervay bestätigt das und zeigt auf Häuser in der ehemaligen Bundeswehrsiedlung: "Das Haus war anfangs noch nicht da, das wurde vor einigen Jahren gebaut. Es verändert sich alles."

Nur in ihrer Wohnung ist bisher alles beim Alten geblieben. Noch. Denn schon bald rücken die Bauarbeiter an. Wo Helga Hervay dann sein wird? "Ich bleibe hier", sagt sie - und blickt vom Dach in die Ferne.

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