Ottobrunn:Rettenberger macht dicht

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(Foto: Claus Schunk)

Weil sich kein Nachfolger findet, teure Sanierungen anstünden und die Konkurrenz der Handelsketten zu groß ist, gibt das Familienunternehmen in Ottobrunn auf. Der Handwerkermarkt war anders als die üblichen Baumärkte.

Von Stefan Galler, Ottobrunn

Eine ältere Frau betritt den Laden, sie hat eine offenbar defekte Wasserhahn-Dichtung dabei und sucht Ersatz. Sofort kümmert sich ein Mitarbeiter um ihr Anliegen. Ein Mann in den Sechzigern folgt ihr, er braucht dringend Silikon, "transparent zum Verfugen", wie er nachdrücklich erklärt. Auch ihm wird rasch geholfen. Mit dieser Kundenfreundlichkeit hat sich der Werkmarkt Rettenberger in Ottobrunn in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur in der Gemeinde selbst, sondern auch in den Nachbarorten einen Namen gemacht und sich vor allem wohltuend abgehoben von den großen Baumärkten. Doch dieses Kleinod unter den Händlern für Heimwerkerbedarf wird nicht mehr lange existieren: Am Montag gaben die Geschäftsführer, die Zwillingsbrüder Klaus und Bernd Rettenberger, bekannt, dass ihr Laden an der Alten Landstraße Ende Juli seine Pforten für immer schließen wird.

Für diesen Schritt gebe es gleich mehrere Gründe, schreibt die Familie in einer Pressemitteilung: "Um unseren Laden für diese neuen Herausforderungen modern und konkurrenzfähig aufzustellen, wären große und langfristige Investitionen nötig, die wir aus Altersgründen nicht mehr erwirtschaften können", heißt es. Einen Nachfolger aus der Familie gebe es nicht. "Auch in der vielfältigen Baumarktbranche konnten wir keinen der Interessenten überzeugen, diese Investitionen zu riskieren."

Abschied vom Familienunternehmen: Bernd, Ingrid und Klaus Rettenberger. (Foto: Claus Schunk)

Ingrid Rettenberger, Ehefrau von Klaus und Schwägerin von Bernd Rettenberger, geht auf Nachfrage ins Detail: "Das Gebäude ist in die Jahre gekommen und optisch nicht auf dem neuesten Stand. Die Erwartungshaltung unserer Kunden ist höher", sagt sie. In der Tat stammt das Haupthaus aus den Siebzigerjahren, der Neubau hat auch bereits wieder 20 Jahre auf dem Buckel. Notausgänge und Brandschutz seien deshalb nicht mehr auf dem neuesten Stand, "auch das Dach ist nicht mehr an allen Stellen hundertprozentig dicht", sagt Ingrid Rettenberger. Hätte man nicht die Ladenfläche vorübergehend verkleinern und das Gebäude sanieren können? "So weit sind wir bei unseren Überlegungen gar nicht gekommen", sagt Ingrid Rettenberger.

Der Werkmarkt Rettenberger ist bei Kunden im Südosten Münchens beliebt. (Foto: Claus Schunk)

Investitionen im sechsstelligen Bereich wären für die Familie fällig geworden; da sich die beiden Zwillingsbrüder jedoch langsam dem Rentenalter nähern, hätte dafür ihre Altersversorgung aufgewendet werden müssen. Und es wäre noch nicht einmal gesichert gewesen, dass man weiterhin erfolgreich bleiben würde: Parkplatz, Lagerflächen und Markt wären nach einer Sanierung zu klein gewesen, sagt Bernd Rettenberger. "Der Online-Handel und die Konkurrenz durch die großen Märkte macht uns zu schaffen. Die hohen Investitionen und die langfristige Verschuldung können wir nicht mehr eingehen." Die nächste Generation - die zwei Brüder haben zusammengenommen eine Tochter und zwei Söhne - habe sich "beruflich anders orientiert", ergänzt Ingrid Rettenberger.

Und so geht es mit einem Traditionsbetrieb zu Ende, der vielen Ottobrunnern seit so vielen Jahren als Anlaufpunkt gedient hatte, wenn es um alle möglichen Dinge in Haus und Garten ging: Von Werkzeugen, Rasenmähern, Batterien und Glühbirnen über individuelle Holzzuschnitte in der eigenen Schreinerei, das Anmischen von Farben bis hin zur Möglichkeit, Schrauben, Muttern und Nägel jeder Form und Länge auch einzeln zu beziehen, reicht das Angebot der Rettenbergers. Kaum ein Handwerker aus dem Landkreis, der nicht spontan von einem Reparaturtermin direkt den Laden in der Alten Landstraße ansteuerte, wenn mal ein Ersatzteil fehlte.

"Es ist unser Lebenswerk", sagt Seniorchef Hans Rettenberger

Die ersten Rückmeldungen von Stammkunden, die am Sonntagabend über die bevorstehende Schließung informiert worden waren, haben Ingrid Rettenberger bereits erreicht. Tenor: "Wo sollen wir denn dann hin, wenn wir etwas brauchen?", erzählt sie mit traurigem Blick. Am härtesten trifft diese Entwicklung jedoch Seniorchef Hans Rettenberger, der auch mit 90 Jahren noch jeden Tag ins Geschäft kommt und mithilft. Er gründete mit seiner 2012 gestorbenen Frau Anni 1955 den "Einzelhandelsbetrieb für Nutzholz", wie es damals hieß. Zuerst in der Rosenheimer Landstraße 31 ½ und später am heutigen Standort in der Alten Landstraße 1 konnten die beiden die damals entstehende Do-it-yourself-Welle für ihr Geschäft nutzen.

In Ottobrunn bekommt man Schrauben noch einzeln. Im Bild: Mitarbeiterin Franziska Obermaier. (Foto: Claus Schunk)

Aus dem Holzhandel entstand im Lauf der Jahre der Heimwerkerladen. Gerade in den Sechzigerjahren bauten viele Leute in Waldperlach, aber auch in Neubiberg und Ottobrunn ihre Häuser abends und an den Wochenenden selbst. Und holten sich dazu das Material bei Hans Rettenberger. "Es ist unser Lebenswerk", sagt er. Seine Frau und er hätten damals "mit fast nichts angefangen und all unsere Kraft in den Aufbau der Firma gesteckt".

Vor 40 Jahren übernahmen dann die Zwillingssöhne, der Schreinermeister Bernd und der Betriebswirtschafter Klaus, die Führung des Geschäfts. 1997 schloss man sich dem europäischen Netzwerk der "Werkmärkte" an, mehrere hundert inhaberbetriebene Heimwerkergeschäfte sind hier miteinander verbunden, um mit gemeinsamen Werbemaßnahmen günstige Preise bieten zu können.

In den nächsten Monaten steht nun der Räumungsverkauf an, jede Woche sollen verschiedene Artikel aus dem riesigen Sortiment mit Rabatten angeboten werden. Was aus der Immobilie wird, sei noch nicht geklärt, sagt Bernd Rettenberger. Priorität habe, die Zukunft der rund 20 Mitarbeiter abzusichern. "Viele von ihnen sind schon Jahrzehnte lang bei uns. Ohne Ihre tatkräftige Mitarbeit wäre unser Erfolg nicht möglich gewesen", sagt der Geschäftsführer und verweist auf deren gute Ausbildung. "Deshalb sind sie gefragt auf dem Arbeitsmarkt", so Bernd Rettenberger. Seine Schwägerin Ingrid ergänzt, dass bereits zwei der Kollegen bei ortsansässigen Betrieben untergekommen seien. Zwei oder drei ältere Kollegen werden wohl in den vorzeitigen Ruhestand gehen - mit dem Markt.

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