Ottobrunn:Literarische Wurzelsuche

Ottobrunn: In einem Selbstporträt hat Ruth Eders Vater sich und seine Frau verewigt. Es hängt in ihrem Wohnzimmer und ziert das Cover ihres Buches.

In einem Selbstporträt hat Ruth Eders Vater sich und seine Frau verewigt. Es hängt in ihrem Wohnzimmer und ziert das Cover ihres Buches.

(Foto: Claus Schunk)

In "Die Glocken von Kronstadt" beleuchtet die in Ottobrunn lebende Schriftstellerin Ruth Eder ihre Familiengeschichte. Weil die Herkunftsfrage heute besonders aktuell sei, ließ sie das Buch neu auflegen

Von Christina Hertel Von Christina Hertel, Ottobrunn

Sie lehnt an seiner Schulter, kuschelt sich von hinten an ihn, während er malt, Pinsel in der einen, Farbpalette in der anderen Hand. Ihr Blick ist gesenkt, seiner geht selbstbewusst in die Welt hinaus. Alles an dem Ölgemälde im expressionistischer Stil schreit einen an: Er ist der Herr im Haus, sie die Frau an seiner Seite, die stumm erträgt, schützt, wärmt. Das Selbstporträt, das der Maler Hans Eder vor fast 100 Jahren anfertigte, hängt heute über der roten Couch in dem Wohnzimmer seiner Enkelin. Ruth Eder ist Schriftstellerin, lebt in Ottobrunn und für die Neuauflage ihrer Familiensaga "Die Glocken von Kronstadt" wählte sie dieses Bild als Cover. Ausgerechnet. Denn ihr Roman setzt eigentlich die Frauen der Familie, ihre beiden Großmütter ins Zentrum: die unterwürfige Malergattin und Pfarrerstochter Ida und die schöne, selbstbewusste Malvine, Frau eines Offiziers. Beide Frauen werden von ihren Männern betrogen. Die eine setzt den Gatten vor die Tür, die andere schweigt. Beide Frauen stammen aus Siebenbürgen, das erst zur Habsburger Monarchie und schließlich zu Rumänien gehörte, beide erlebten zwei Kriege und schließlich den Verlust ihrer Heimat.

Ruth Eder lernt diese erst mit 40 Jahren kennen. Sie wird 1947 in Stuttgart geboren. Dass sie anders ist als andere Kinder, sei ihr immer bewusst gewesen, sagt sie. Die Jungs in der Schule hänselten sie wegen ihrer dunklen Haare. Der Akzent ihrer Großmutter, das rollende "R" waren ihr unangenehm. Und dass die Oma ständig das alte Siebenbürgener Lied "Blau und rot, bis in den Tod" sang auch. Heute ist der Einband von Eders Familienroman in diesen Farben gestaltet.

Ruth Eder befasste sich erst mit ihrer Familiengeschichte, als langsam alle, die etwas erzählen könnten, zu sterben begannen. "Die Oma war über 90. Die Mutter hatte Krebs und meine Tochter stellte immer mehr Fragen", sagt Eder. 1989 reiste sie schließlich mit der kranken Mutter, der Tochter und dem Hund im Wohnwagen nach Siebenbürgen und forschte nach ihrer Familie. Sie stand am Grab ihres Großvaters, sah die alte Villa und erahnte, wie schwierig es für ihre Vorfahren gewesen sein muss, die Heimat zurückzulassen und in der Fremde ein Zuhause werden zu lassen. In Siebenbürgen war ihr Vater Diplomat, in Deutschland Tennislehrer.

Ein Jahr lang recherchierte Eder, bevor das Buch 1991 zum ersten Mal erschien. Zu der Zeit arbeitete sie als Journalistin, war Fragen stellen gewohnt, einen hunderte Seiten langen Roman zu schreiben, allerdings nicht. Das hat sich inzwischen geändert: Im Laufe ihrer Karriere brachte Eder mehr als 20 Bücher heraus. "Die Glocken von Kronstadt" bleibt eines ihrer persönlichsten Werke - es beleuchtet fast 50 Jahre Familiengeschichte vom Ausbruch des ersten Weltkriegs bis zum Umzug nach Deutschland. Sie habe ihrer Familie damit ein Denkmal gesetzt, sagt Eder.

Neu auflegen ließ sie das Buch auch deshalb, weil die Suche nach den Wurzeln und die Frage nach der Herkunft heute eine besonders aktuelle sei. Schriftsteller Saša Stanišić verkauft mit der Spurensuche in seiner bosnischen Heimat Tausende Bücher und gewann dafür vor kurzem den Deutschen Buchpreis. Einen ähnlichen Erfolg kann Eder wohl nicht erwarten - zu vollgepackt mit Details, zu chronistisch ist das Werk an der einen oder anderen Stelle. Doch es gelingt ihr, den Leser in eine Welt eintauchen zu lassen, die er sonst wohl nicht zu sehen bekäme: in das versunkene Kronstadt in Siebenbürgen, das heute Braşov heißt, und in Rumänien liegt.

"Die Glocken von Kronstadt" (394 Seiten, 16,80 Euro, ISBN 978-3-86813-092-8) erscheint im Berliner Verlag Edition Noack & Block. Es kann unter www.noack-block.de bestellt werden.

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