OttobrunnWas der Krieg hervorbringt

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Volodymyr Ivanov schöpft aus der griechischen Mythologie Kraft. Die Geschichte des Helden Achill ist mit den Kriegsereignissen auf der Schlangeninsel in der Ukraine verbunden.
Volodymyr Ivanov schöpft aus der griechischen Mythologie Kraft. Die Geschichte des Helden Achill ist mit den Kriegsereignissen auf der Schlangeninsel in der Ukraine verbunden. (Foto: Claus Schunk)

Die ukrainischen Künstler Volodymyr Ivanov und Denys Kovalenko verarbeiten den Überfall Russlands auf ihr Heimatland. Die Ausstellung ihrer Werke beim Treffpunkt Kunst ist bedrückend, spiegelt aber auch die Widerstandskraft der Ukraine wider.

Von Irmengard Gnau, Ottobrunn

Leicht und behutsam balanciert Achilles das Stück Land auf seiner Handfläche. Es ist ein Geschenk des Meeresgottes Poseidon, eine Insel, auf der der griechische Held seine letzte Ruhestätte finden soll, nachdem er im Kampf um Troja durch einen Pfeil an der einzig verwundbaren Stelle seines Körpers, die berühmte Sehne am rechten Fuß, tödlich getroffen worden war. Der Achill-Mythos inspiriert Volodymyr Ivanov seit Jahrzehnten. Mehrere Motive hat der Bildhauer dem griechischen Helden gewidmet. Ein besonderes Band verbindet Ivanov mit der sogenannten Schlangeninsel, die in der Sprache seines Heimatlandes, Ukrainisch, „Zmiiny“ heißt.

Das kleine, felsige Eiland im Schwarzen Meer hat eine bewegte Geschichte. In der Antike wurde sie als eben jene letzte Ruhestätte Achills verehrt. In der Neuzeit war die Insel ob ihrer strategisch nützlichen Lage vor der Küste begehrt und wechselte mehrfach den Besitzer, nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde sie schließlich der Ukraine zugesprochen. Zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine im Februar 2022 erlangte die Schlangeninsel erneut Berühmtheit: Die dort stationierten ukrainischen Grenzsoldaten wollten sich einem angreifenden russischen Kriegsschiff nicht ergeben und schickten die Angreifer verbal zum Teufel. Die Szene sprach so vielen Ukrainern aus der Seele, dass sie sogar auf einer Briefmarke verewigt wurde. Russische Soldaten nahmen die Insel ein, später aber gelang es der Ukraine, das Kriegsschiff zu versenken und die Insel zurückzugewinnen. Eine moderne Heldengeschichte im Mantel der Antike.

Der Angriff auf die Schlangeninsel sei für ihn wie der Treffer in die Ferse des Achill gewesen, sagt Ivanov. Der Schmerz sitzt tief. Der Künstler, geboren 1957 in Kiew, ausgebildet an der staatlichen Kunst- und Industrieuniversität Moskau, hat 1989 erstmals einige seiner eindrücklichen Stahlskulpturen in Deutschland ausgestellt. Seit drei Jahren lebt er als Kriegsflüchtling im Saarland.

Denys Kovalenko musste angesichts der Schreckensmeldungen aus seiner Heimat wieder künstlisch tätig werden.
Denys Kovalenko musste angesichts der Schreckensmeldungen aus seiner Heimat wieder künstlisch tätig werden. (Foto: Claus Schunk)

Der Kunstverein Ottobrunn zeigt nun im März einige Skulpturen aus Ivanovs Achilles-Serie in einer Doppelausstellung mit dem Titel „Zeitgemäß - Na tschasi“. Trotz ihres wuchtigen Materials - Edelstahl und Stahl - entwickeln Ivanovs Arbeiten eine ungeheure Dynamik. Leichtfüßig scheint Achilles zu laufen, elegant schreitet er in seiner metallenen Rüstung. Selbst den Gesichtszügen vermag der Künstler eine feine Lebendigkeit zu verleihen, wie man es sich mit einem Elektroschweißgerät kaum vorstellen kann. Dabei sind gerade die Pferdeskulpturen - ebenfalls ein beliebtes Motiv Ivanovs - archaisch in ihrer Wirkung. Die stählernen Rösser strotzen vor Kraft, man meint, den heißen Atem aus ihren Nüstern im Nacken zu spüren.

Dem Blick in die Antike gegenüber stehen die Arbeiten von Denys Kovalenko im Untergeschoss der Galerie. Kovalenko stammt aus der Stadt Chornomorsk unweit Odessa und lebt seit 13 Jahren im Saarland, der gelernte Architekt arbeitet bei der Stadt Saarbrücken im Bereich Stadtplanung. Seine Leidenschaft aber gilt seit jeher dem Zeichnen, Graphic Novels und Comics haben es ihm angetan. Unter anderen Umständen hätte er vielleicht den Weg des hauptberuflichen Künstlers eingeschlagen, so verdient er sein Geld in einem sichereren Job. Doch der Krieg in seinem Heimatland, sagt Kovalenko, habe ihn motiviert, zu seiner Kunst zurückzukehren. „Ich habe gespürt, dass ich unbedingt etwas machen muss“, sagt er.

Als russische Soldaten im Februar 2022 die ersten ukrainischen Städte beschießen, erfährt Kovalenko per Handynachricht davon. „Diese ganzen Emotionen, die mich überkamen, als ich von den Angriffen erfahren habe, musste ich irgendwie verarbeiten“, sagt er. Der 43-Jährige griff zum Stift und zeichnete einen Comic. „Drei Tage Krieg“ überschreibt er ihn. Die entstandenen Bilder sind eindrücklich, sie dokumentieren die Momente der ersten russischen Attacken auf die ukrainische Hauptstadt aus Kovalenkos Sicht, des zum Zusehen aus der Ferne Verdammten.

Die Ohnmacht, das Starren auf den Handybildschirm, immer in Erwartung der nächsten, furchtbaren Neuigkeiten von Freunden und Verwandten aus der Heimat, all das lässt Kovalenko mit seinem feinen Strich in wenigen Bildern spürbar werden. Auf diese Weise ist eine Art graphisches Tagebuch entstanden, mit dem Kovalenko die Betrachter an seinem Alltag überschattet vom Krieg teilhaben lässt. Einen positiven Effekt habe der Krieg vielleicht zumindest für die Kunst gehabt, meint Kovalenko. Die Ukraine mit ihren Künstlerinnen und Künstlern werde endlich als eigenständiges Land wahrgenommen, sie sei aus dem Schatten Russlands getreten.

Mit ihren stilistisch so unterschiedlichen Arbeiten erzählen die beiden ukrainischen Künstler in Ottobrunn eine gemeinsame Geschichte ihrer Heimat aus verschiedenen Blickwinkeln. Sie treten gewissermaßen in einen visuellen Dialog über Zeit, Erinnerungskultur und Identität. Der Existenzkampf eines Volkes über verschiedene Epochen hin, heroisiert von der Geschichte, zugespitzt durch die Grausamkeit der Gegenwart. Jetzt ist die Zeit.

Die Ausstellung „Zeitgemäß - Na tschasi“ mit Arbeiten von Volodymyr Ivanov und Denys Kovalenko ist bis zum 29. März in der Galerie Treffpunkt Kunst in Ottobrunn zu sehen, immer donnerstags und freitags von 15 bis 18 Uhr sowie samstags von 10 bis 13 Uhr. Am Samstag, 8. März, 15 Uhr ist Vernissage. Der Eintritt ist frei.

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