Süddeutsche Zeitung

Ottobrunn:Im unterschiedlichen Glauben vereint

Christen und Muslime suchen bei einem Gesprächsabend in der Ottobrunner Pfarrei Sankt Albertus Magnus nach Gemeinsamkeiten - und finden erstaunlich viele

Von Christina Jackson, Ottobrunn

Mit diesem Publikumsinteresse hatten selbst die Veranstalter nicht gerechnet. In der Ottobrunner Pfarrei Sankt Albertus Magnus erwarteten mehr als 100 Gäste ein Gespräch zwischen dem evangelischen Pfarrer Rainer Oechslen und Ahmad Al-Khalifa, der das Islamische Zentrum in München leitet. Dabei machte der evangelische Dekan Mathis Steinbauer als Moderator von Anfang an klar, dass die Veranstaltung nicht nur auf dem Podium, sondern auch unter den Zuschauern stattfindet.

In jeweils zwölfköpfigen Gesprächsgruppen widmeten sich die Besucher der "wertschätzenden Begegnung" mit der fremden Religion. Der Veranstaltungstitel "Erzähl mir von deinem Glauben" hatte die Vorgehensweise bereits angedeutet. Als einzige Richtlinie für die Diskussion zwischen Christen und Muslimen gab Steinbauer eine wohlwollende Haltung gegenüber der jeweils anderen Konfession vor. Dabei kam in den Zuschauergruppen sowohl die Angst vor Islamisten als auch die Bewunderung für den im Alltag zelebrierten Glauben friedliebender Muslime zur Sprache.

Zum Auftakt schilderte Al-Khalifa, was er am Christentum schätzt. "Ich habe eine katholische Schule besucht und kann sagen, dass mir diese Konfession nicht fremd ist." Barmherzigkeit und Nächstenliebe seien wichtige Aspekte im Christentum, die in weltweit agierenden karitativen Organisationen ihren Ausdruck fänden. "Kommt es in abgelegenen Regionen zu einer Katastrophe, sind die straff organisierten Hilfsangebote prompt abrufbar." Er verbinde mit dem Christentum außerdem das Engagement für Aus- und Weiterbildung sowie für die Wissenschaften. "In den Klöstern spielte die Wissensvermittlung eine große Rolle. Heute vergeben kirchliche Organisationen Stipendien und bieten Fortbildungen an." Der hierarchische Aufbau im Christentum sorge für eine klare Verteilung der Verantwortung von oben nach unten. "Das vermisse ich in anderen Organisationen." Die fünf Grundsäulen des Islam gebe es auch im Christentum. Dazu zählen der Glaube, das Beten und Fasten, die Almosen sowie das Pilgern.

Pfarrer Oechslen zeigte sich vom Gottvertrauen der muslimischen Gläubigen begeistert. "Ein Schicksal, das zunächst unverständlich erscheint, kann auf diese Weise angenommen werden. Denn zu einem späteren Zeitpunkt und im Glauben an Gott erscheint auch die Sinnhaftigkeit des Unverständlichen." In diesem Sinne sei die häufig verwendete Redewendung "Inschallah" (So Gott will) im Arabischen zu verstehen. Anerkennend sprach Oechslen von der Alltagsstruktur, die das Gebet den muslimischen Gläubigen vorgibt. "Fünf Mal täglich beten die Menschen zu einer bestimmten Zeit. Diese Struktur und Regelmäßigkeit ist ein ausgesprochen schöner Aspekt des Islam." Das Gebet sei dabei kein rein geistiger Akt, sondern eine körperliche Gebärde. "Dieses Ritual lässt sich nicht verbergen." Mit der Ausrichtung des Gebetsteppichs nach Mekka werde die Andacht für jeden sichtbar. Nicht zuletzt dürfe der Islam als egalitäre Religion verstanden werden, bei der alle Muslime gleich seien. "Er ist zwar nach Nationen und Sprachgruppen einzeln strukturiert, es gibt aber keinen Papst, der einzelne Gruppierungen exkommunizieren könnte."

In den Zuschauergruppen brachten Gäste ihre Angst vor radikalen Islamisten zum Ausdruck. Eine von vielen subjektiv empfundene Furcht, die anwesende Muslime nachvollziehen konnten. Ein Besucher, der einst aus Mazedonien nach Deutschland kam, sagte: "Wenn ich heute im Fernsehen Berichte über meine Religion sehe, käme ich auch nicht auf die Idee, zum Islam zu konvertieren." Erst der lebhafte Austausch zwischen den Menschen unterschiedlicher Religionen vermittle ein realistisches Bild gelebten Glaubens. Man dürfe auch die Leidensgeschichte zahlreicher Muslime nicht vergessen, die letztlich zu Konflikten geführt habe. Ein Besucher, der sich im Helferkreis für Asylbewerber in Ottobrunn engagiert, wies auf die zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen hin. "Ich habe festgestellt, dass sich die zentralen Werte der verschiedenen Konfessionen nicht sehr unterscheiden." Gemeinschaft, Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft seien wichtige Bestandteile aller Religionen, die in den Flüchtlingsunterkünften gelebt werden.

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SZ vom 11.06.2015
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