Ottobrunn:Hunde, die Jesus anbellen

Die Ausstellung "Spurensuche: Christliche Botschaften von Chagall bis Beuys" zeigt in Lithografien, Holzschnitten, Siebdrucken und Radierungen bekannter Künstler die Vielfalt biblischer Motive - und auch Abseitiges und Provokantes

Von Franziska Gerlach, Ottobrunn

Die Auferstehung, die könnte nun wirklich nicht unterschiedlicher vonstatten gehen, als es bei Max Slevogt und Max Beckmann der Fall ist. Der eine hat sich dem biblischen Motiv auf die klassische Art angenommen, mit einem gen Himmel strebenden Jesus, der andere, Beckmann, hat eine geradezu apokalyptische Darstellung mit einer dunklen Sonne geschaffen. Dekan Mathis Steinbauer findet das erstaunlich. Schließlich hätten beide als Soldaten im Ersten Weltkrieg dasselbe Leid erfahren müssen. Aber der Umgang mit solchen Erlebnissen ist eben ein ganz individueller, und zu keiner Zeit gleich.

Das an einem heißen Julitag aber eigentlich Erstaunliche ist, dass die Arbeiten der beiden bedeutenden deutschen Künstler in der Michaelskirche in Ottobrunn hängen. "Spurensuche: Christliche Botschaften von Chagall bis Beuys", lautet der Titel der Ausstellung, die noch bis zum 30. Juli zu sehen ist. Noch mehr zugkräftige Namen gefällig? Aber gerne doch: Die Schau vereint Arbeiten von Keith Haring, Otto Dix, Georges Rouault, Pablo Picasso, Emil Nolde und Franz Marc, die meisten der 42 Bilder sind freilich Drucke, die großen Künstler des 20. Jahrhunderts wirken dennoch wie liebevoll verhätschelte Stargäste in dieser dann doch nicht übermäßig großen Kirche. "Wir haben hier einen Chagall, und dort einen Chagall", sagt Steinbauer und breitet die Arme aus zwischen den Backsteinwänden des lichtdurchfluteten Gotteshauses. Die Werke sind Leihgaben der Stiftung Christlicher Kunst der Lutherstadt Wittenberg, so wertvoll, dass sie eigens mit einem Kunsttransport nach Ottobrunn gebracht werden mussten.

Ottobrunn: Keith Harings charakteristische Darstellung des Gekreuzigten ist eines der modernsten Werke in der Ausstellung.

Keith Harings charakteristische Darstellung des Gekreuzigten ist eines der modernsten Werke in der Ausstellung.

(Foto: Claus Schunk)

Es ist bereits die fünfte Ausstellung in der Michaelskirche, und sicher hat sich die Kunst hier wie andernorts längst als probates Mittel erwiesen, neue Schäfchen anzulocken. Anders als in einem Museum, wo gerne alle Arbeiten eines Künstlers in schöner Eintracht nebeneinander gezeigt werden, hat Steinbauer die Lithografien, Holzschnitte, Radierungen und Siebdrucke nach biblischen Motiven geordnet. Hinter dem Altar setzen sich etwa Otto Dix und Kurt Mühlenhaupt mit dem Abendmahl auseinander, Oskar Kokoschka und James Ensor thematisieren die Flucht nach Ägypten. Der Betrachter begegnet der Schöpfung, der Versuchung und dem Schweißtuch der Veronika, das in der Bibel zwar gar nicht vorkommt, aber eben doch einige Bekanntheit erlangt hat als Anekdote. Dass bei der Auferstehung dann also so gegensätzliche, künstlerische Zugänge wie jene von Beckmann und Slevogt aufeinander prallen, ist dem Konzept geschuldet, das ganz nebenbei auch noch die Vielfalt christlicher Kunst zu Tage fördert.

Es gibt eine Themengruppe zum Erzvater Jakob, zur Gefangennahme, und wer nicht ausreichend bewandert ist in der Heiligen Schrift, der schnappt sich einfach die Mappe, in der die entsprechenden Bibeltexte zusammengetragen sind. Das Auge bleibt an einem Keith Haring von 1982 hängen, der sich auf die ihm eigene naiv-comicartige Art der Kreuzigung angenommen hat. Die dichten Strahlen, die von Jesus abgehen, mag man als Aura deuten, was allerdings die Hunde bedeuten sollen, die den Gekreuzigten anbellen, nun, dazu hätte man Haring, der 1990 an Aids starb, vermutlich selbst befragen müssen.

Ottobrunn: Dekan Mathis Steinbauer wird am Sonntag über Otto Dix' "Taufe Jesu" sprechen.

Dekan Mathis Steinbauer wird am Sonntag über Otto Dix' "Taufe Jesu" sprechen.

(Foto: Claus Schunk)

Das Leiden als solches, das zieht sich dann doch als beliebtes Motiv durch die Ausstellung. Dann wiederum darf die Kunst in der Michaelskirche ihr kritisches und provokantes Wesen entfalten, etwa bei dem deutsch-amerikanischen Maler, Grafiker und Karikaturisten George Grosz, der 1921 einen Geistlichen ans Kreuz nagelte, zumindest auf Papier. Das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt, bläkt ein kahlköpfiger Pfarrer sein Leid in die Welt hinaus - haarscharf an der Grenze zum Blasphemischen. Freilich geht es auch erfreulicher: Wenn an diesem Sonntag drei Kinder getauft werden, will Steinbauer sich in seiner Predigt auf eine Arbeit von Otto Dix von 1961 beziehen, wie genau, das will er noch nicht verraten. Johannes der Täufer, ein Wüstenbewohner, der sich der Bibel zufolge von wildem Honig und Heuschrecken ernährt haben soll, wie Steinbauer sagt, hält in diesem Bild seine grobe, unverhältnismäßig große Hand über das Haupt Jesu. Schutz? Abwehr? Letztlich ist es dem Betrachter selbst überlassen, was er in einer Arbeit sieht.

"Die Kunst kann das Unsichtbare sichtbar machen", sagt Steinbauer, und wer dann noch anfällig ist für Interpretationen, der ist da schnell bei den Propheten, deren Aufgabe ja ebenfalls die von Vermittlern ist, die Mensch und Gott zusammen bringen. Und genau das tut in Ottobrunn gerade auch die Kunst: Die Ausstellung werde nämlich gut angenommen, sagt Steinbauer, allein 20 Schulklassen wollen sie besichtigen. Die Michaelskirche als Ort der Begegnung, aufgeladen mit einem Selbstverständnis, das sich an blanken Brüsten - von Chagall in seinem Werk "David und Bathseba" natürlich sehr ästhetisch dargestellte Exemplare - schon lange nicht mehr stört. Schön ist das. Und wird eigentlich nur noch von dem Umstand übertroffen, dass sich sage und schreibe 105 Bürger der Gemeinde bereit erklärt haben, die Ausstellung täglich von 9 bis 20 Uhr zu bewachen. Alle drei Stunden im Wechsel.

Am Sonntag, 23. Juli, von 10 Uhr an findet in der Michaelskirche ein Gottesdienst mit Taufen und einer Predigt zum Bild "Taufe Jesu" von Otto Dix statt.

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