Ottobrunn:Geschichten über Flucht und Glück

Pierre Jarawan bei Lesung in München, 2016

Nicht über die Flüchtlinge sprechen, sondern ihnen selbst eine Stimme geben, das möchte Autor und VHS-Dozent Pierre Jarawan.

(Foto: Robert Haas)

In einer Schreibwerkstatt mit Bühnenpoet Pierre Jarawan fassen Flüchtlinge ihr Erfahrungen in Worte.

Deutschland rieche wie Blumen, schmecke wie Apfelkuchen, klinge wie Beethoven-Musik und fühle sich an wie ein Tor in der 90. Minuten: Das sind die Assoziationen des Syrers Majid Alali, mit welchen er die Zuhörer am Freitagabend in Ottobrunn bei einer Lesung in der Gemeindebibliothek zum Schmunzeln brachte. Wie viele andere verließ er vor etwa zwei Jahren sein Heimatland Syrien, floh vor Krieg und Terror. Seine Eindrücke von Deutschland, seinem Leben und dem Traum Krankenpfleger zu werden, hielt er im Rahmen einer Schreibwerkstatt der VHS Süd-Ost fest, an der sechs weitere Menschen mit Fluchterfahrung teilnahmen. Am Freitag präsentierten sie die Ergebnisse, gemeinsam mit Autoren des Projekt "Zeitschreiber" des Evangelischen Bildungswerkes.

In den Texten geht es um die Bedeutung von Glück, Liebe und Leidenschaft

Die zweitägige Schreibwerkstatt für Flüchtlinge leitete der Autor, Slam Poet und Bühnenliterat Pierre Jarawan. Sie schrieben auf Deutsch, aber auch in ihrer Muttersprache. Voraussetzung für die Teilnahme waren lediglich Vorkenntnisse in Deutsch. Die sechs Teilnehmer stammten aus Syrien, Nigeria, Afghanistan, Sierra Leone und Gambia. Mit den Schreibkursen soll die Integration von Flüchtlingen unterstützt werden. Dabei sollen die oft schmerzhaften Erfahrungen von Krieg, Flucht und dem Leben in einem fremden Land durch das Schreiben in der Gruppe verarbeitet werden.

Am Freitagabend präsentierten die Autoren jetzt ihre Geschichten, in denen es allerdings zunächst gar nicht so sehr um ihre Fluchterfahrung ging, sondern vielmehr um die Bedeutung von Glück, Liebe und Leidenschaft in ihrem Leben.

"Mit dem Projekt wird diesen Menschen eine Stimme gegeben. Sie können zu Wort kommen, und wie wir sehen, wollen alle Menschen das gleiche, wenn es beispielsweise um Glück geht", sagte Pierre Jarawan. Bereits in der Vergangenheit arbeitete er an einem anderen Projekt mit Flüchtlingen. Jarawan sagte, es sei wichtig, nicht über die Menschen zu sprechen, sondern ihnen eine Plattform zu bieten, um selbst in Dialog mit anderen zu treten.

Ganz nebenbei verbessert das Schreiben auch ihre Sprachkenntnisse

Dass Nationalität und Religionszugehörigkeit bei der Definition von Glück keine Rolle spielen, wurde deutlich: So empfindet es der leidenschaftliche Kicker Majid Alali als Glück, wenn Bayern München ein Spiel gewinnt, wenn er selbst ein gutes Fußballspiel abliefert, indem er ein Tor schießt, aber auch, wenn er seine Familie wieder sieht. Mohammad aus Afghanistan ist glücklich, wenn er mit seinen Kindern spazieren geht und darüber, dass diese hier einen Abschluss machen dürfen. Majid Alali lebt heute in Höhenkirchen und will demnächst eine Ausbildung zum Pfleger beginnen - auch dieses Ziel hat er erreicht. Das Schreiben hat ganz nebenbei auch ihre Sprachkenntnisse verbessert. "Es ist unglaublich, wie die Teilnehmer des Kurses innerhalb kurzer Zeit schon so gut Deutsch gelernt haben", sagt VHS-Lehrerin Irene Martius.

Neben den kürzeren Vorträgen über das Glück erhielten die Zuschauer aber auch Einblick in die Fluchtgeschichten von Majid Alali und einem weiteren Schreibwerkstatt-Teilnehmer, der ebenfalls aus Syrien stammt: Sie erzählen von ihrer dramatischen Bootsfahrt nach Europa, einer Übernachtung auf dem Friedhof und von einer überfüllten Truckfahrt mit 80 Leuten. Auch vier Autoren vom Zeitschreiber Projekt des evangelischen Bildungswerkes lasen an diesem Abend eigene Texte zum Thema Flucht. Von einer Begegnung mit einem afghanischen Flüchtling in einer Unterkunft erzählte eine Geschichte, ein Umzug von Westendeutschland in den Süden nach München war Thema einer anderen. Die Geschichte von der Versorgung in einem Zug von München nach Passau rief noch einmal die Bilder aus dem vergangenen Spätsommer ins Gedächtnis. Ziel war, diese beiden Projekte zusammenzubringen, einen Ort des kulturellen Austausches zu schaffen und durch das Erlernen der deutschen Sprache die Integration der Geflüchteten zu fördern.

"Ich will die Teilnehmer ermutigen zu sprechen, denn trotz weniger Deutschkenntnisse, werden sie verstanden", erklärt Muriel Hensch-Coulon, VHS-Fachbereichsleiterin für Kulturelle Bildung. Die ehemalige Deutschlehrerin initiierte die Schreibwerkstatt vor etwa einem Jahr und fand unter anderem Unterstützung vom Lichterketten Verein.

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