Ottobrunn:Der tägliche Dreikampf

In Ottobrunn steigen immer mehr Menschen aufs Fahrrad um. Sie konkurrieren beim Platzangebot mit den meist bevorzugten Autos und auch mit Fußgängern. Ausnahme ist die Rosenheimer Landstraße

Von Martin Mühlfenzl, Ottobrunn

Der Minister wird natürlich so weit es geht an den Ort des späteren Geschehens herangefahren in seinem schwarzen Schlachtschiff, das gerade noch so als Auto bezeichnet werden kann. Das Auto von Bayerns Staatsminister des Inneren, Joachim Herrmann, parkt also nur wenige Meter vom Ottobrunner Wolf-Ferrari-Haus entfernt, in dem Herrmann gleich eine Rede halten soll, am Rand der Rathausstraße, auf der in diesem Moment kein Durchkommen mehr ist. Der Minister steigt aus, wird von seinem Parteispezl Ernst Weidenbusch in Empfang genommen, Hände werden geschüttelt, Fotos gemacht, kleine Witzchen gerissen - und das alles auf dem Radweg, der irgendwie auch der Gehweg vor dem Rathaus ist.

Es ist eng in der flächenmäßig kleinsten Kommune des Landkreises. Und wenn ein Minister in seiner Dienstlimousine vorrollt, wird es gleich noch ein wenig enger in einer Gemeinde, in der sich Autofahrer, Radler und Fußgänger sehr nahe kommen können.

Nun ist in Ottobrunn nicht jeden Tag ein Mitglied des Kabinetts zu Gast, und doch ist die Szene symptomatisch für die manchmal angespannte Situation im Straßenverkehr. Tanja Campbell, ÖDP-Gemeinderätin in Ottobrunn und passionierte Radfahrerin, steht an der Kreuzung der Rosenheimer Landstraße mit der Unterhachinger und Putzbrunner Straße, die der verkehrstechnische Hotspot in der Kommune ist. "Eigentlich funktioniert in Ottobrunn der Radlverkehr an vielen Stellen schon sehr gut", sagt Campbell, die erstens selbst kein Auto besitzt und auch nie eins besitzen wollte. "Als wir hierher gezogen sind, haben sich unsere Nachbarn angeschaut und sicher gedacht: Was sind das denn für welche. Haben kein Auto?", sagt Campbell und ihr Lachen vermischt sich mit dem Verkehrslärm an der Kreuzung. Zweitens nutzt sie ihr Fahrrad, beziehungsweise ihre Fahrräder vom City- über das Mountainbike bis zum Rennrad, nahezu täglich. Auf dem Weg in die Arbeit nach München, wenn sie Kilometer auf dem Land sammelt oder beim Einkaufen im Ort.

Ottobrunn: Wer gehen kann, fährt auch Fahrrad: bereits die Kleinsten sind auf Rädern unterwegs.

Wer gehen kann, fährt auch Fahrrad: bereits die Kleinsten sind auf Rädern unterwegs.

(Foto: Claus Schunk)

Letzteres gestaltet sich zwar nicht schwierig, liegt doch zum Beispiel das Isarcenter relativ günstig am westlichen Ortsausgang Richtung Unterhaching; wer dort mit dem Radl über die Unterhachinger Straße hin will, muss den Lenker aber mit beiden Händen festhalten. Den sogenannten Radweg von der Kreuzung aus teilen sich Fahrradfahrer und Fußgänger - breit ist er gerade mal einen Meter, wenn überhaupt, und an vielen Stellen von Sträuchern und Hecken zugewuchert. "Das ist schon ein Ärgernis und sollte auch verändert werden", sagt Radlaktivistin Campbell - auch mit Blick auf die baulichen Maßnahmen, die da am Isarcenter noch kommen werden.

Das stark frequentierte Einkaufszentrum wird komplett saniert, ausgebaut, aufgehübscht - und daher künftig sicher noch mehr Verkehr anziehen. An Radfahrer, kritisiert, Campbell, werde aber nur am Rande gedacht. "Die Zufahrt wird großzügig für Autofahrer ausgebaut, aber es gibt kaum Raum für die Radler, auch aus Süden vom Haidgraben her", sagt sie.

Es ist auch ein Kampf um Ressourcen, der in Ottobrunn teilweise geführt wird - wo der Raum eng ist, müssen Kompromisse gefunden werden.

Ottobrunn: Hin und wieder müssen Radfahrer noch immer auf den Gehsteig ausweichen.

Hin und wieder müssen Radfahrer noch immer auf den Gehsteig ausweichen.

(Foto: Claus Schunk)

Die Gemeinde ist etwa von Neuperlach Süd über Neubiberg gut mit dem Fahrrad zu erreichen. Und früh morgens und am Abend ist zu beobachten, dass viele mit dem Rad zum U-Bahnhof in Neuperlach pendeln und dort in die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen. Auch viele Studenten sind hier auf dem Radl unterwegs, die Universität der Bundeswehr liegt ja auf halber Strecke. Dass diese Verbindung von Radlern verstärkt genutzt wird, liegt selbstverständlich auch am weiter zunehmenden Autoverkehr auf der Verbindung nach Neuperlach, auf der auch der von Ottobrunns Bürgermeister viel gelobte 210er Bus verkehrt. Stehen aber die Autos im Stau, kommt auch die bald zum Expressbus umfunktionierte Linie nicht voran.

Dann läuft der Verkehr auf der Rosenheimer Landstraße neben der eigentlichen Straße auf Hochtouren. Die beiden Radwege neben der Trasse bezeichnet Tanja Campbell als "vorbildhaft"; eigene Spuren für die Fahrräder bewegten immer mehr Bürger zum Umstieg aufs Radl, glaubt die Gemeinderätin.

Dennoch gibt es in der Gemeinde mit der zweithöchsten Bevölkerungsdichte der Republik Abschnitte, auf denen sich Autofahrer und Radler immer wieder in die Quere kommen. Auf der Putzbrunner Straße etwa. Dort gibt es keine eigene Spuren für Fahrradfahrer; und geht es nach der CSU im Gemeinderat wird dies auch so bleiben. FDP-Gemeinderat Axel Keller hatte beantragt, Fahrradspuren mit Markierungen setzen zu lassen - das aber wollte eine Mehrheit im Gemeinderat nicht. "Weil sonst zu viele Parkplätze weggefallen wären", sagt Tanja Campbell und deutet von der Kreuzung auf in Richtung Putzbrunner Straße und die Seitenstraßen. "Wenn sie da reinfahren, wird es für Radler total unübersichtlich und auch gefährlich", sagt sie. "Da steht Auto an Auto, selbst Fußgänger haben es schwer durchzukommen."

Ottobrunn: Tanja Campbell ist immer ohne Helm unterwegs. Auch an den neuralgischen Punkten in Ottobrunn.

Tanja Campbell ist immer ohne Helm unterwegs. Auch an den neuralgischen Punkten in Ottobrunn.

(Foto: Claus Schunk)

Das Spannungsfeld in Ottobrunn besteht darin, es vielen recht machen zu müssen - und dafür nur eingeschränkte Möglichkeiten zu haben. Die Gemeinde setzt aber immer wieder wichtige Akzente und hat die Förderung des Radverkehrs durchaus auf der Agenda. Bei der Ausgestaltung der Neubauten mit gemeindeeigenen Wohnungen an der Hochacker- und Gartenstraße wurde penibel darauf geachtet, die Zahl der Radständer zu erhöhen; wenn auch die Frage der Stellplätze für Autos leidenschaftlich diskutiert wurde. Auf die radikale Lösung, die von der ÖDP und den Grünen ins Spiel gebracht wurde, wollte sich der Gemeinderat aber noch nicht einlassen: Wohnungen nur noch an Mieter ohne Autos zu vergeben.

Wenn immer mehr Radler auf Ottobrunns Straßen unterwegs sind - was auch gewollt ist -, steigt natürlich auch das Gefahrenpotenzial, sagt Tanja Campbell. Und dieses gehe auf engem Raum auch allzu oft von den Radlern selber aus. "Vor allem von Geisterfahrern, die in falscher Richtung unterwegs sind", sagt Campbell.

Dann macht sie sich auf in Richtung Isarcenter auf dem schmalen Geh-/Radweg - zum Einkaufen. Ohne Helm übrigens. Auf den verzichtet die Radlerin Campbell immer. "Wenn etwas passiert, hilft der Helm auch nicht mehr", sagt sie. Etwa wenn man gegen einen Minister prallt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: