Ottobrunn:Dem Jüdischen in Deutschland Bedeutung geben

Ottobrunn: Zwei Jahre hatte Ruth Eder (links) gebohrt, bis Rachel Salamander zum Kulturstammtisch kam.

Zwei Jahre hatte Ruth Eder (links) gebohrt, bis Rachel Salamander zum Kulturstammtisch kam.

(Foto: Claus Schunk)

Rachel Salamander ist zu Gast bei Ruth Eders Kulturstammtisch in Ottobrunn und ruft nach der Bürgergesellschaft

Von Daniela Bode, Ottobrunn

Zwei Jahre lang hat Autorin und Journalistin Ruth Eder nicht locker gelassen. Zur 76. Ausgabe ihres wie stets gut besuchten "Ottobrunner Kulturstammtischs" am Donnerstagabend im Gasthaus Ayinger im Wolf-Ferrari-Haus hat sie es geschafft. Die Literaturwissenschaftlerin, Buchhändlerin und Schriftstellerin Rachel Salamander, die sich seit 40 Jahren unermüdlich für die Vermittlung zwischen Juden und Nichtjuden einsetzt, sitzt ihr als Talkgast gegenüber. "Ich kenne niemanden, der zwei Jahre so gebohrt hat", lobt die Interviewte.

Salamander eröffnete 1982 in München die Literaturhandlung, eine auf jüdische Bücher und Bücher zum Judentum spezialisierte Buchhandlung. Damals war es ein Novum, heute hat sie mehrere Filialen. All jene, die von den Nazis vertrieben oder ermordet worden waren, sollten dort 50 Jahre nach der Bücherverbrennung und der folgenden Arisierung des deutschen Buchhandels wieder eingebürgert werden und eine Heimat finden, so Salamander über ihre Fachbuchhandlung.

Seitdem sprach und spricht die promovierte Germanistin bei Veranstaltungen mit Klarheit über jüdische Themen, aber nie unversöhnlich. Sie selbst wuchs im Lager für Displaced Persons, also Juden, die den Holocaust überlebten, in Föhrenwald auf - heute Waldram in Wolfratshausen - und zog dann mit Vater und Bruder nach München. Eine Ausreise nach Israel war der Familie wegen der Krankheit der Mutter untersagt worden, sie starb 1953.

Eder gelingt es nun mit ihrer engagierten und Anteil nehmenden Art Salamander Berührendes und auch Mahnendes zu entlocken, ohne aufdringlich zu sein. Zur Literaturhandlung befragt, sagt Salamander, mit dem Gemisch aus Emigranten, Israelis und anderen sei es stets "eine intellektuelle Herausforderung" gewesen. "Ich war 40 Jahre lang eine Lernende", sagt sie. Auf die Anmerkung Eders hin, dass die Literaturhandlung immer auch eine Begegnungsstätte gewesen sei, schildert sie wie sie anfangs Anlaufstelle für verschiedenste Anliegen und Menschen war, nicht nur Juden. Irgendwann sei eine Frau zu ihr gekommen und habe erzählt, ihr Vater sei Landstreicher geworden, weil er nach den Erlebnissen als SS-Mann nicht mehr in das normale Leben zurückkehren konnte.

Bei der belastenden Vergangenheit Salamanders drängt sich bestimmt nicht nur Eder die Frage auf: "Woher kam diese enorme Kraft, gerade in der Hauptstadt der Bewegung?" Unter anderem erklärt sie ihren Antrieb damit, dass sie als Kind mit sehr klaren Gefühlen aufgewachsen sei. "Alle Liebe, die die Leute im Lager geben konnten, gaben sie den Kindern - wir waren die Hoffnung und die Zukunft", sagt sie. Salamander schildert auch eine Art Schlüsselmoment mit 14 Jahren, als sie wieder einmal bitterlich weinte und sich sagte: "Entweder wirst du jetzt daran zugrunde gehen oder du machst das Beste draus". Das hat sie dann auch getan.

"Fremdheiten abbauen und dem Jüdischen in Deutschland eine Bedeutung geben", darum sei es ihr immer gegangen. So hielt sie von den Vorschlägen, die einmal im Raum standen, Kulturreferentin der Stadt München zu werden oder als Bundespräsidentin zu kandidieren, wenig. Dafür, die Literaturbeilage der Zeitung "Die Welt" zu verantworten, dafür hatte sie sich bis 2013 gewinnen lassen. "Und das neben all dem Netzwerken", staunt Eder. Das habe sich an ihre Tätigkeit mit den Buchhandlungen "organisch angebaut", sie sei ja mit den Autoren ohnehin in Verbindung gestanden, beschreibt Salamander. Und ja, wie Eder wissen will, sie konnte auch einfach Marcel Reich-Ranicki anrufen, dass er ihr etwas schreiben solle.

Zu den immer häufiger auftretenden Anfeindungen gegen Juden, wie zuletzt in Halle, von Eder befragt, äußert sich Salamander besorgt. "Wir sind noch nicht einmal mit der Aufarbeitung fertig, haben aber jetzt ein massives Antisemitismusproblem", sagt sie. Das liege an einem großen Demokratiedefizit. "Wo ist die Bürgergesellschaft, die auf die Straße geht und sagt, wir wollen den Schmuddelkram nicht mehr?" Für das Plädoyer gab es viel Applaus von den Gästen.

Wie auch sonst beim Kulturstammtisch bittet Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) um Spenden für ein vom Interviewten gewähltes Projekt. Salamander wünschte sich einen Zuschuss für den von ihr gegründeten Verein zur Renovierung der Synagoge in der Reichenbachstraße 27 in München. Sie bedauert, dass das Gebäude bis heute nicht wieder hergerichtet ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: