Schoah:Das Leid der Überlebenden

Schoah: Geschichtslehrer Matthias Weigert, Filmemacherin Tanja Cummings, Protagonistin Brigitte Bukszpan und Geschichtslehrerin Steffanie Eder sprechen nach der Vorführung mit Schülern.

Geschichtslehrer Matthias Weigert, Filmemacherin Tanja Cummings, Protagonistin Brigitte Bukszpan und Geschichtslehrerin Steffanie Eder sprechen nach der Vorführung mit Schülern.

(Foto: Sebastian Gabriel/)

Ottobrunner Schüler diskutieren nach dem Film "Das Zelig" mit einer Protagonistin und überraschen mit klugen Fragen.

Von Angela Boschert, Ottobrunn

Eine engagierte Diskussion über die Shoah haben Elftklässler des Gymnasiums Ottobrunn mit einer Tochter von Überlebenden des Nazi-Terrors geführt. Ausgangspunkt war "Das Zelig", ein Dokumentarfilm von Tanja Cummings über ein Café in München, in dem sich seit April 2016 Holocaust-Überlebende treffen können. Cummings hat das Café in den Jahren 2017 und 2018 besucht, war bei Überlebenden eingeladen und ist mit zweien von ihnen in deren polnische Heimat gereist. Sie hat beobachtet und zugehört und ihre Eindrücke eindringlich und sensibel in 96 Minuten Dokumentation gebannt.

"Es ist ein sehr intensiver Film", urteilt die Gymnasiastin Ella Christmann nach der Vorführung im Kino Ottobrunn. Sophia Baumgartner ergänzt, es sei "schön, dass man das Geschehene mit den Überlebenden aufbereitet" und der Film "lange Schnitte" habe. Einer davon zeigt Salo Wolf, der in sechs Konzentrationslagern war, in seinem Wohnzimmer vor Familienfotos, wie er auf ein Foto mit seinen Eltern und Brüdern weist und plötzlich in den Raum hinein fragt: "Warum? Warum habe ich überlebt? Warum hat der SS-Mann mich ausgewählt, nicht aber meinen Bruder?" Das weiß Wolf bis heute nicht. Er ist der einzige Überlebende einer großen Textilfabrikantenfamilie. So wie er erzählt, stockend, hadernd, mit gedanklichen Sprüngen, bleibt beim Zuschauer Betroffenheit, Leere und - seine verzweifelte Frage.

Die Schüler haben sich im Geschichtsunterricht thematisch auf die Filmvorführung vorbereitet und überraschen Cummings und die anwesende Protagonistin Brigitte Bukszpan bei der Diskussion in der Schule mit klugen Fragen - "die besten, die jemals kamen, die haben mich geflasht", wie Bukszpan später sagen wird.

Ausführlich erklärt Cummings, was sie zu dem Film veranlasst hat und ob es im Café Vorbehalte gegeben habe. Sie habe mit dem 94 Jahre alten Natan Grossmann den Film "Linie 41" über das Lodzer Ghetto gedreht, der die Geschichte und Psychologie im komplexen Dreieck von Tätern, Zuschauenden ("bystanders") und Opfern der Shoah beleuchtet. Grossmann habe ihr vom Café Zelig erzählt. Es ist der einzige Treffpunkt für Shoah-Überlebende in München und nicht öffentlich. Bei ihren Besuchen im Café durfte Cummings keinesfalls das dortige Geschehen beeinflussen. Man erlebt Erinnerungen an Grausamkeiten in den KZs ebenso wie, dass politisch gestritten, miteinander gesungen, geredet, gefeiert und gelacht wird. Wer nichts sagen will, schweigt. Der Zuschauer sieht in Gesichter hochbetagter Menschen, sieht Glanz in deren Augen ebenso wie leere Blicke oder ein verschmitztes Lächeln. Und doch liegt über allem ein Schleier von Traurigkeit.

Viele sind unfreiwillig in Deutschland geblieben

Das empfinden auch die Schüler, die wissen wollen, ob Cummings das Filmen dort belastet habe. Jeder Besuch im Café sei überraschend gewesen, sagt die Berliner Filmemacherin. Wer was erzählt, habe sie nie vorab gewusst und auch nicht vorgegeben. Salo Wolf etwa habe sie ausdrücklich zu sich in seine Wohnung eingeladen. Er habe dort schreckliche Geschichten erzählt, bei denen sie und ihr Kameramann nie gewusst hätten, wie man reagieren soll. Das sei schwierig gewesen. Warum Überlebende in Deutschland geblieben sind, habe viele, auch unschöne Gründe. "Nach der Tortur des Holocaust bestand keine Freiheit für die Überlebenden, sich irgendwo niederzulassen", sagt Bukszpan. Versehrte hätten nicht auswandern dürfen. Man musste sich ein Visum beschaffen, was Jahre dauern konnte. Ob Juden nach dem Krieg diskriminiert wurden, beantwortet die Mitte der Sechzigerjahre geborene so: Wo bei den Mitschülern im Zeugnis "kath." oder "ev." als Religionszugehörigkeit im Zeugnis steht, habe bei ihr bis 1985 "isr." (für israelitisch) neben ihrem Namen gestanden: "Die Blicke der Lehrer...", sie hält inne. Die Schüler spüren, wie sie sich das angefühlt haben muss.

Zweimal spricht im Film jemand das Wort "Rache" aus. Wer wollte wie Rache nehmen, will ein Schüler wissen. "Rachegedanken gab es schon, aber nicht in großem Maße", so Cummings. Vielleicht wären Insassen der "Displaced Persons"-Lager, also der Sammellager der Alliierten für jüdische Holocaust-Überlebende in angrenzende Dörfer gezogen, wenn sie Waffen gehabt hätten. Das in Föhrenwald, so der frühere Name des Wolfratshauser Ortsteils Waldram, habe bis 1957 bestanden. Dort lebten Bukszpans Eltern. Es habe insgesamt keine Hilfe durch Psychologen gegeben, keine Anlaufstellen. "Man hat nichts erzählt", sagen auch Henry Rotmensch und Natan Grossmann im Film. Mit beiden ist die Filmemacherin auf deren Bitte hin nach Polen gefahren, wo sie auf ein Elternhaus, Gräber oder auch völlig veränderte Städte trafen. Kindheitserinnerungen mischen sich mit dem Gefühl des Verlusts. Es sind bewegende Szenen, die deutlich machen, wie schwer es war und ist, wieder zurück ins Leben zu finden.

Weitere Aufführungstermine gibt es unter www.daszelig-film.de.

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