Ottobrunn:Das Bild des Nazi-Malers

Ottobrunn: Der zweite Band der Ottobrunner Chronik trägt auf dem Umschlag ein Bild des Malers Willi Pietz, eines ehemaligen Nazis.

Der zweite Band der Ottobrunner Chronik trägt auf dem Umschlag ein Bild des Malers Willi Pietz, eines ehemaligen Nazis.

(Foto: SZ-Repro)

Auf dem zweiten Band über die Ottobrunner Gemeindegeschichte prangt ein Gemälde von Willi Pietz, einem überzeugten Nationalsozialisten. Die Kommune will nun dessen Rolle während der Diktatur aufarbeiten.

Von Martin Mühlfenzl, Ottobrunn

Im Garten blüht es merklich, neben dem kleinen Häuschen ragen hoch die Bäume auf, der Himmel strahlt in tiefem Blau und nur wenige Wolken hängen am Firmament. An einem gedeckten Tisch sitzen Friedrich, Margarete und Johann Igler in feinster Sonntagskleidung beim Nachmittagskaffee und blicken den Betrachter direkt an. Es ist eine Szenerie, wie sie gerade für diese Zeit, vermutlich die erste Hälfte der 1920er-Jahre, typisch gewesen sein muss in der Waldkolonie Ottobrunn, die damals noch zu Unterhaching gehörte - diesem Flecken Erde, den zum damaligen Zeitpunkt immer mehr Münchner für sich entdeckten und die hier Häuser, oftmals sogar prächtige Villen bauten, von denen einige auch heute noch stehen.

Auch wenn es das Igler-Anwesen in Ottobrunn schon lange nicht mehr gibt, hat es die Zeit gewissermaßen überdauert. Als Bild des Malers Willi Pietz, der den Augenblick des Nachmittagskaffees der Familie auf Leinwand festgehalten hat. Das Werk ziert den zweiten Band der von Roland Haase verfassten Ottobrunner Chronik mit dem Titel "Unser Ottobrunn und Riemerling. Menschen, Häuser, Geschichte(n) im Spiegel alter Fotografien".

Ottobrunn: Der Maler Willi Pietz im Alter von Mitte 40.

Der Maler Willi Pietz im Alter von Mitte 40.

(Foto: Ulrich Schneider/oh)

Es ist aber nicht die Tatsache, dass es keine alte Fotografie auf das Cover von "Band 2: Von 1909 bis zur Gegenwart" geschafft hat, die manch einen in der Gemeinde verstört. Sondern es ist die Biografie von Kunstmaler Willi Pietz, der 1881 in Frankfurt am Main geboren wurde. Denn der Künstler war während der NS-Zeit Mitglied der NSDAP, Mitgliedsnummer: 4823959, wie Haase darlegt. Und er gehörte sogar schon vor 1933 der berüchtigten Kampforganisation Sturmabteilung (SA) der Nazis an. Auch das erwähnt der Chronist in seinem Werk.

Grünen-Gemeinderätin Claudia Günther hat ihr Exemplar aus Protest zurückgegeben

Veröffentlicht hat der Ottobrunner Haase den zweiten Band bereits im Oktober, der erste umfasste den Zeitraum von der Gründung im Jahr 1902 bis zur Gemeindeerhebung im Jahr 1955. Auch den Gemeinderäten wurde jeweils ein Exemplar zuteil. Seitdem hatte Claudia Günther von den Grünen offenkundig ausgiebig Zeit, sich mit der Geschichte der Gemeinde zu befassen. In der Sitzung des Gemeinderates Anfang März gab sie ihr Buch nun an Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) zurück und begründete dies so: "Ich verstehe überhaupt nicht, wie man einen überzeugten Nationalsozialsten auf das Cover nehmen kann." Roland Haase, so Günther weiter, habe so viel Arbeit in das Werk gesteckt. Und dennoch: "Ich möchte meine Chronik zurückgeben."

Nun prangt freilich nicht der Maler Willi Pietz selbst auf dem Titel der Chronik, sondern eben eines seiner wenigen Werke, das einen Ausschnitt Ottobrunns - respektive der damaligen Waldkolonie - zeigt. Und auch sonst ist es dem Chronisten wieder gelungen, ein aufschlussreiches, detailversessenes und informatives Werk aufzulegen, das so viele Facetten der jüngsten Kommune im Landkreis München beleuchtet. Haase hat mit unzähligen Ottobrunnern gesprochen, darunter vielen Experten; sich durch Fotoalben und Archive gewühlt, aufwendig recherchiert und das ganze Vorhaben kenntnisreich und ansehnlich umgesetzt.

Ottobrunn: Eine Ansicht vom Ottobrunner Volksfest, das es längst nicht mehr gibt.

Eine Ansicht vom Ottobrunner Volksfest, das es längst nicht mehr gibt.

(Foto: Robert Hetz/privat)
Ottobrunn: Ottobrunn früher: Die ehemalige Baracke, in der es einen Windkanal gab.

Ottobrunn früher: Die ehemalige Baracke, in der es einen Windkanal gab.

(Foto: Reinelt/privat)

Es wird erzählt, dass es in Ottobrunn, wo Jüngere heute nur noch das Ottostraßenfest kennen - auch vor der "Ottobrunner Wiesn" in der jüngeren Vergangenheit - schon ein großes Volksfest gab: Auf der Gabrielwiese habe das stattgefunden, deren Namen längst in Vergessenheit geraten ist. Wer noch nie von einer Dekaturanstalt gehört hat, erfährt, dass es genau eine solche in der Grasmückenstraße gab. Bei der Firma Böck wurden Stoffe derart veredelt, dass sie ihre physikalischen Eigenschaften wie Länge, Breite und Glanz behielten - also dekatiert. Es geht in der Chronik aber nicht nur um Villen, den Otto-Filmpalast, die Bahnhofskneipe Gonska, das Hofbräustüberl, die ehemalige Baracke, in der ein Windkanal stand, oder modernere Bauten wie das KWA Brunneck und das Hanns-Seidel-Haus. Es geht vor allem auch um Menschen, also auch um den Kunstmaler Willi Pietz.

Dem widmet Chronist Haase gleich mehrere Seiten, genau genommen nahezu 20. Aufwändig illustriert mit Fotos des Malers selbst, aber auch mit einer Vielzahl seiner Werke, von denen immer noch einige in Ottobrunner oder Unterhachinger Wohnzimmern hängen dürften. Präzise wird der Werdegang des gebürtigen Frankfurters beschrieben, seine Schulzeit und sein damals schon erkennbares Talent für die Malerei, der Beginn seiner Lehre in einer lithografischen Kunstanstalt, der Weg an eine Kunstgewerbeschule, sein Wegzug nach München im Jahr 1909 und die Aufnahme an der Akademie der Bildenden Künste.

Was folgt sind seine Erfahrungen im Ersten Weltkrieg, für den er 1915 eingezogen wird. Nicht hart an der Front, vielmehr im Hintergrund als Kriegsmaler, der seine Eindrücke aus fremden Ländern und dem Kampf auf die Leinwand bringt. Und Haase schildert auch Pietz' erste Tendenzen der Radikalisierung nach dem verlorenen Krieg mit dem Eintritt in die Ortsgruppe Neubiberg des "republik- und demokratiefeindlichen Veteranenvereins ,Der Stahlhelm - Bund der Frontsoldaten'" , wie der Chronist schreibt.

Auch Einblicke ins private Umfeld werden gewährt, in seine Ehe mit Ludmilla, die Geburt der Tochter, den Kauf des Hauses in Ottobrunn - und natürlich immer wieder in die Malerei, in sein berufliches Wirken, sein Talent.

"Ich finde es gut, das historisch bewerten zu lassen"

Und die NS-Zeit, der Zweite Weltkrieg, die Verbrechen? Ottobrunn war ja keine Insel der Glückseligen, hier gab es sogar ein Außenlager des Konzentrationslagers Dachau. Über einen Absatz hinweg beschäftigt sich Haase mit der NS-Vergangenheit des Malers, der die Niederlage im Ersten Weltkrieg nie verwunden habe; daher habe es auch wenig überrascht, dass er sich den radikalen rechten Kräften zuwandte. Dann werden seine Mitgliedschaften aufgelistet: NSDAP, SA, Deutsche Arbeitsfront, Reichsluftschutzbund, Kyffhäuserbund, Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung, Reichskammer der bildenden Künste. Deren "verlängerter Arm" auf Ortsebene sei Pietz als Kulturstellenleiter in Ottobrunn gewesen, als solcher habe er darauf geachtet, dass das kulturelle Leben, etwa Theateraufführungen, linientreu blieb.

"Trotz seiner engen Einbindung in den NS-Apparat war Pietz in allen Organisationen nur einfaches Mitglied. Auch gibt es keinen Hinweis darauf, dass er als Künstler Aufträge für NS-Organisationen ausgeführt hat", so das Fazit des Ottobrunner Ortschronisten Haase. Prangt da also nicht das Werk eines strammen Nationalsozialisten auf dem zweiten Band der Chronik?

Das soll nun untersucht werden, sagt Ottobrunns Bürgermeister Loderer. "Ich finde es gut, das historisch bewerten zu lassen", so der Rathauschef. "Herr Haase ist ein sehr nüchterner Chronist, sonst hätte er das nicht so dargestellt." Dennoch, so Loderer, sei er mit dem Chronisten so verblieben, dass das Leben von Pietz noch einmal beleuchtet werden soll. Und was wird aus Band 2 der Chronik, von denen noch zahlreiche Exemplare im Rathaus lagern? Einmotten, einstampfen, weiter verkaufen? "Wie wir dann damit umgehen, werden wir sehen", sagt der Bürgermeister.

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