Ottobrunn:Bildungspolitik ist mehr als G 8 oder G 9

Ottobrunn: Landesschülersprecher Philipp Krömer diskutierte mit Simone Fleischmann vom Lehrerinnen- und Lehrerverband, Moderatorin Annette Gansmüller-Maluche und Martin Löwe vom Landeselternverband (v.l).

Landesschülersprecher Philipp Krömer diskutierte mit Simone Fleischmann vom Lehrerinnen- und Lehrerverband, Moderatorin Annette Gansmüller-Maluche und Martin Löwe vom Landeselternverband (v.l).

(Foto: Claus Schunk)

Eltern-, Lehrer- und Schülervertreter diskutieren bei der SPD über Bulimie-Lernen, Kuschelpädagogik und Mittelschul-Bashing

Von Nadja Tausche, Ottobrunn

Die Diskussion um das G 8 und das G 9 reißt nicht ab. Aber warum wird eigentlich immer nur über das Gymnasium geredet, wo sind die anderen Schularten im öffentlichen Diskurs? Diese Frage, den schlechten Ruf der Mittelschule und welche Probleme es im bayerischen Schulsystem sonst noch gibt, hat am Mittwochabend die stellvertretende Landrätin Annette Ganssmüller-Maluche (SPD) mit den Gästen ihrer Podiumsdiskussion diskutiert. Zum Thema "So geht Schule?! Mehr Bildungsgerechtigkeit und Lernfreude" waren die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands Simone Fleischmann und Martin Löwe als Landesvorsitzender des Bayerischen Elternverbandes ins Wolf-Ferrari-Haus eingeladen. Philipp Krömer vertrat als Landesschülersprecher der bayerischen Mittelschulen diejenigen, um die es eigentlich geht: die Schüler.

Für die Schüler die pädagogisch sinnvollste Lösung zu finden, sei bei der Diskussion um das G 8 aus dem Fokus gerückt, sagte Fleischmann zum Auftakt. "Wir haben es mit einer Entscheidung zu tun, die rein politisch ist", meint Fleischmann. Was das G8 befördere, man aber bekämpfen müsse, sei das Bulimie-Lernen: Also kurz vor der Prüfung viel Stoff auswendig lernen zu lassen, den die Schüler danach vergessen könnten. Außerdem müsse man Schüler individuell fördern. Einig waren sich die Redner, dass die Anzahl der Schuljahre nicht entscheidend sei. "Wenn das neue Gymnasium eure Bedingungen erfüllt, ist es egal, ob es sieben, acht oder neun Jahre dauert", sagte Fleischmann zu Philipp Krömer. Der bezweifelt, dass diese Bedingungen mit dem G 8 erfüllt werden können. Der 17-Jährige ist vom Gymnasium auf die Mittelschule gewechselt, die Zeit von der achten bis zur zehnten Klasse auf dem Gymnasium nennt er einen "Überlebenskampf". Trotzdem halte sie sogenannte "Kuschelpädagogik" für keine Alternative zum G 8, erklärte Fleischmann, denn Leistung sei wichtig.

Abseits der Gymnasien seien die Probleme des Schulsystems noch gravierender. "Die Bildungsgerechtigkeit war in den Siebzigern besser, als heute", sagte Moderatorin Ganssmüller-Maluche. Der sozioökonomische Hintergrund des Elternhauses spiele für das Fortkommen der Kinder heute eine größere Rolle, als zuvor. Außerdem seien an Grund- und Hauptschulen in Bayern rund 100 Stellen unbesetzt - während zu viele Lehrer für Realschulen und Gymnasien ausgebildet würden. Wenn die auf Grund- oder Hauptschullehramt umsattelten, dann sei das nicht mehr als "Löcher stopfen". Dabei wäre das Geld für neue Lehrer da: Jeder dritte Euro im Bayerischen Haushalt gehe in die Bildung, sagte Fleischmann.

Für Martin Löwe vom Bayerischen Elternverband ist unverständlich, warum keine Lösungen gefunden werden. "Wenn sich alle Experten einig sind, warum wird dann nichts getan?", fragte er. Der Bayerische Elternverband ist ein privater Verband und keiner Schulart zugeordnet. Er soll Eltern an den Schulen stark machen und unterstützt dafür Elternbeiräte. Denn Eltern könnten einen wertvollen Beitrag für das Schulleben leisten, meint Löwe. "Früher waren die Eltern außen vor, aber jetzt gibt es immer mehr Eltern, die sich für die Schule engagieren."

Schließlich sprach eine Frau im Publikum noch ein Gespräch an, das mit Reformen und Geld allein wohl kaum gelöst werden kann: Warum muss es immer das Gymnasium sein? Das Bild der Mittelschule in der Gesellschaft sei katastrophal. Davon konnte Schüler Krömer aus eigener Erfahrung erzählen. Er war auf dem Gymnasium und geht jetzt im zweiten Jahr auf die Mittelschule. Die Stereotype von außen ebenso wie das schwierige Selbstbild von Mittelschülern fallen ihm stark auf, sagte Krömer. In seiner Schule im oberbayerischen Trostberg müssten die Grund- und Mittelschüler über eine Brücke gehen, während die Gymnasiasten auf der anderen Seite des Flusses blieben, erzählte Krömer. Wenn seine Mitschüler die Brücke überquerten, kramten sie oft in ihren Taschen, Blick gesenkt, um nicht als Mittelschüler erkannt zu werden. Auch er selbst habe sich schon dabei ertappt, deswegen auf sein Handy zu schauen, erzählt der Schülersprecher. Als die Schule T-Shirts druckte, hätten die Schüler sie wegen des Aufdrucks "Mittelschule" nicht anziehen wollen. Krömer geht in die zehnte Klasse. Wenn er im Unterricht mal ausführlicher antworte, hieße es manchmal: Ah ja, der Gymnasiast. Das sei nicht böse gemeint, sagte Krömer, aber doch auffallend. Immerhin: "Wir lachen dann gemeinsam darüber."

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