Süddeutsche Zeitung

Asylhelfer in Ottobrunn:Alle im Blick

Die Ehrenamtlichen tragen die Hauptlast der Integrationsarbeit. Dabei erreichen sie oft die Grenze der Belastbarkeit - eine Supervision soll ihnen helfen, sich nicht zu übernehmen.

Von Martin Mühlfenzl, Ottobrunn

Supervision ist ein großes Wort - und heißt doch aus dem Lateinischen übersetzt nichts anderes als "Überblick". Den wiederzufinden ist eine der zentralen Aufgaben der Beratung, die mittlerweile auch der Helferkreis Asyl Ottobrunn/ Hohenbrunn anbietet. Allerdings nicht für die Flüchtlinge, sondern für die eigenen Helfer.

Drei dieser Helfer, die eben auch Helfern helfen, sind Claudia Bernadoni, Daniela Graser und Diakon Karl Stocker. Drei Ehrenamtliche, die all die Facetten des ältesten privat getragenen Helferkreises im Landkreis München repräsentieren. Die Initiative, die seit Juli 2012 besteht, wird vor allem von Frauen getragen, sie wirkt in zwei Gemeinden - Hohenbrunn und Ottobrunn. Und der Helferkreis bildet gewissermaßen das Dach über den Vereinen und Initiativen, deren Mitglieder ihre ganz speziellen Fähigkeiten und Erfahrungen einbringen, um ein Ziel zu verwirklichen: Im Alltag den Asylbewerbern zur Seite zu stehen, ihnen den Einstieg in die Gemeinschaft zu erleichtern und Brücken zu schlagen zwischen den bereits hier Wohnenden und den Neuankömmlingen.

Die Aufgabe kostet viel Kraft

Diese Aufgabe kostet Kraft. Sie verlangt den Asylbewerbern und Helfern gleichermaßen viel ab. Bernadoni, Graser und Stocker ist es gerade in diesen Tagen ein Anliegen, beim Blick auf die zu stemmende Integrationsleistung die vielen Ehrenamtlichen nicht aus dem Blick zu verlieren. Im Pfarrsaal St. Magdalena sitzen sie an den in Kirchengemeinden so typischen hellbraunen und massiven Tischen, die den Charme der Siebzigerjahre versprühen. Die Türen sind geöffnet, es ist draußen wieder etwas wärmer - und die Helfer wollen die Türen auch symbolisch offen halten. Gerade jetzt, wo die Stimmung in der Gemeinde Ottobrunn angespannt ist, ein Riss durch die Gemeinschaft zu verlaufen droht: Die Entscheidung des Gemeinderats am Kathi-Weidner-Weg eine Siedlung für bis zu 320 Schutzsuchende bauen zu wollen, ist bei dortigen Anwohnern mehr als umstritten. Sie hat viele Ängste, aber auch Ressentiments offenbart.

Und sie betrifft den Asylhelferkreis unmittelbar. Denn, das sagt Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer (CSU), ohne die vielen Ehrenamtlichen werde weder die Integration im Allgemeinen noch am Kathi-Weidner-Weg im Besonderen zu schaffen sein. "Wir sind dazu auch bereit. Aber gerade die Politik muss wissen, dass es Grenzen der Belastbarkeit für die Helfer gibt", warnt Diakon Stocker. "Die Gemeinden und der Landkreis dürfen uns nicht alleine lassen. Wir brauchen Hilfe vor allem bei der Organisation und der Koordination." Etwa mit einem eigenen Büro im Rathaus oder einem Asylbeauftragten in Vollzeit. Ob es dennoch möglich sei, bis zu 320 Menschen an einem Ort zu betreuen? "Wir sind momentan um die 90 aktive Helfer", sagt Claudia Bernadoni. "Und wir haben eine Reserve von etwa hundert Freiwilligen. Ja, wir schaffen das. Aber man darf uns nicht überfordern."

"Es kommt vor, dass Helfer auch aus Pflichtgefühl die Grenze der Belastbarkeit überschreiten"

Die Supervision soll dabei helfen. Denn viele Ehrenamtliche investierten viel in die Arbeit mit Flüchtlingen. In Deutschkurse, in die Kinderbetreuung, in Behördengänge, bei Sport und Übersetzungen. "Das kostet sehr viel Zeit und auch Kraft. Körperlich und auch mental", sagt Daniela Graser. "Und es kommt vor, dass Helfer auch aus Pflichtgefühl die Grenze der Belastbarkeit überschreiten. Aber es hilft niemandem, wenn man sich übernimmt." Für Diakon Stocker ist klar, dass die Supervision eben auch ein Teil der Seelsorge ist: "Wir müssen doch alle Menschen im Blick haben. Und wir sind auch diejenigen, die Integration am besten leisten können."

Diese nahezu bedingungslose Bereitschaft Hilfe zu leisten aber teilen nicht alle. Es ist erst ein paar Wochen her, da fanden viele Mitglieder des Helferkreises morgens ein Blatt Papier in ihren Briefkästen. Bedruckt mit der Anrede "Lieber Gutmensch". Da war schon klar, da wird nichts Gutes folgen, sagt Claudia Bernadoni mit einem Blick auf den Zettel, den sie natürlich aufgehoben hat. "Wenn deine Tochter vergewaltigt wurde, wenn dein Sohn zu Tode getreten wurde . . .", ist darauf zu lesen - dann müsse sich der "Gutmensch" nur eines selbst sagen: "Ich bin tolerant. Ich bin offen, Ich bin bunt. Ich bin kein Nazi. Ich bin gut."

Auch krude Anfeindungen gibt es, aber nur selten

Ja, auch mit kruden Anfeindungen bekämen es Mitglieder des Helferkreises zu tun, sagt Bernadoni. "Aber nur sehr selten. Davon lassen wir uns auch nicht beirren." Die überwiegende Mehrheit in Ottobrunn und Hohenbrunn habe großen Respekt vor der Leistung der Ehrenamtlichen.

In Ottobrunn, einer Gemeinde, die mindestens 572 Flüchtlinge bis Ende des Jahres wird unterbringen müssen, ist den Helfern auch schon Erstaunliches gelungen: 26 Wohnungen hat der Helferkreis mittlerweile für anerkannte Flüchtlinge gefunden - in einer Kommune, die unter einem notorischen Wohnungsmangel leidet. "Das ist schon eher sensationell. Denn es ist ein wahnsinniger Aufwand, der uns auch noch weiter beschäftigen wird", sagt Diakon Stocker.

Die drei Helfer wissen, dass sie standhaft bleiben müssen. Sie müssen den Überblick behalten - und dürfen sich dabei selbst nicht aus den Augen verlieren.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2844603
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.02.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.