Ortsgestaltung:Abschied von einem Lebensgefühl

Ortsgestaltung: Leider nicht zu retten ist die alte Apotheke in der Bahnhofsstraße. Hier wird ein Mietshaus mit 14 Wohnungen gebaut.

Leider nicht zu retten ist die alte Apotheke in der Bahnhofsstraße. Hier wird ein Mietshaus mit 14 Wohnungen gebaut.

(Foto: Claus Schunk)

Die alte Apotheke am Haarer Bahnhofsplatz und ein Gebäude aus den Vierzigerjahren müssen für den Bau von Wohnungen weichen

Von Bernhard Lohr, Haar

Der Abriss von zwei ortsprägenden Gebäuden in Haar hat eine Diskussion über die fatalen Auswirkungen der Verdichtung auf das Ortsbild ausgelöst. Gemeinderäte aller Fraktionen zeigten sich betroffen von den Plänen, die alte Apotheke am Bahnhofplatz abzureißen und durch ein Mehrfamilienhaus zu ersetzen. Ähnlich wurde aufgenommen, dass ein Wohnhaus aus den Vierzigerjahren des vorigen Jahrhunderts an der Bibingerstraße samt Baumbestand für vier Doppelhaushälften Platz machen soll. "Wir verlieren in Haar unsere Identität", beklagte Horst Wiedemann (SPD). Die Hoffnung ist allerdings gering, die Bauvorhaben verhindern zu können.

Bürgermeisterin Gabriele Müller (SPD) sprach angesichts des vorliegenden Bauantrags für die Bibingerstraße und der zunächst nur mal sondierenden Bauvoranfrage für die Apotheke von einer "emotional schwierigen Sitzung". Wiedemann warnte, das werde den Platz "erheblich verändern". Alexander Zill (SPD) beklagte, dass am Bahnhof ein prägendes Gebäude durch ein "recht langweiliges Zweckgebäude ersetzt" werde. Mit dem Verschwinden des Wohnhauses an der Bibingerstraße werde sich der "Charakter dieses Wohngebiets" ändern, sagte Zill und bekundete, egal was rechtlich geboten sei, dass er große Lust habe, die beiden Doppelhaushälften abzulehnen. Katharina Dworzak (SPD) sagte, Gebäude stünden für ein "Lebensgefühl".

Bisher hat Haar es an markanten Punkten geschafft, das Ortsbild zu erhalten und durch gezielte Sanierungsarbeit zu konservieren. Der Gasthof zur Post steht dafür, der Setzerhof, in dem die Nachbarschaftshilfe ihren Sitz hat, das Rathaus und vor allem auch der Poststadel als neue Heimat für Volkshochschule und Musikschule. Die alten Pflegerhäuser in der Ortsmitte wurden saniert und als Ensemble erhalten. Doch wenn Eigentümer andere Pläne verfolgen, Erbengemeinschaften einen Verkauf an Investoren planen, dann stößt eine Gemeinde an ihre Grenzen. Zumal dann, wenn sie eigentlich ja eine Verdichtung im Innenraum propagiert, so wie Haar es seit Jahren tut. Werner Kozlik (Grüne) sprach von einem "echten Dilemma". Man wolle schließlich verdichten, um die Natur draußen zu erhalten. "Aber genau solche Beispiele konterkarieren das natürlich."

Auf beiden betroffenen Grundstücken soll deutlich mehr Wohnraum entstehen. So ist laut Voranfrage geplant, dass die Apotheke am Bahnhof aufgegeben und stattdessen ein Mehrfamilienhaus mit 14 Wohnungen errichtet wird. In einer Tiefgarage sollen 17 Stellplätze eingerichtet werden, fünf Stellplätze sind auf der Oberfläche vorgesehen, was der Bauwerber damit begründet, dass so die Tiefgarage entsprechend kleiner gehalten und sämtliche Bäume erhalten bleiben könnten. Als Besonderheit treibt die Verwaltung und die Gemeinderäte bei diesem Vorhaben um, dass in dieser zentralen Lage, die durch das Einzelhandelskonzept geschützt wird, kein Geschäft mehr vorgesehen wäre. Mit einem Appell soll versucht werden, da noch etwas zu ändern. Alexander Zill (SPD) merkte an, dass der Eigentümer im Gewerbeverband sei und Verständnis dafür haben müsse. Der Verband könne ja seine Kontakte nutzen und eine interessante Vermietung in die Wege leiten. Am Rande der Sitzung wurde laut, dass ein Biomarkt Interesse haben könnte, dort in ein Geschäft reinzugehen.

Dass an der Bibingerstraße nur Wohnraum und bei vier Doppelhäusern mehr Wohnraum entsteht, ist aus Sicht der Gemeinderäte dagegen nicht zu beanstanden. Auch fand man sich schließlich damit ab, dass die 13 relativ mächtigen Bäume sämtlich gefällt werden sollen. Ein Gutachten bescheinigt, dass die Bäume wie etwa eine Kastanie, die von einem Pilz befallen ist, krank sind oder nicht besonders schützenswert. Die Birken etwa wurden so eingestuft, weil diese nur eine begrenzte Lebenserwartung bis 40 Jahre haben und in den vermehrten Trockenphasen ohnehin Probleme bekommen. Andreas Nemetz, Leiter des Umweltreferats, bestätigte den Befund des Gutachtens und sagte, die Bäume wären nur mit einem hohen Aufwand zu erhalten. Der Bauausschuss billigte bei vier Gegenstimmender SPD den Bauantrag für die Doppelhäuser. Sieben Bäume sollen ersatzweise neu gepflanzt und fünf durch eine Zahlung abgelöst werden. Auch die Voranfrage zur Apotheke wurde trotz aller Kritik positiv beschieden.

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