Ortsgeschichte:Alle Namen

Ortsgeschichte: "Gehet hin zu den Gräbern, sie sind Lehrstühle heiliger Wissenschaft" rät auch das Denkmal auf dem alten Ismaninger Gemeindefriedhof.

"Gehet hin zu den Gräbern, sie sind Lehrstühle heiliger Wissenschaft" rät auch das Denkmal auf dem alten Ismaninger Gemeindefriedhof.

(Foto: Gemeindearchiv Ismaning)

Die Ismaninger Archivarin Anke von Leutsch erfasst die Daten alter Grabsteine und wertet sie aus

Von Irmengard Gnau, Ismaning

Wer auf Friedhöfen mit der Fotokamera herumstreicht, wird von den meisten Umstehenden eher skeptisch beäugt. So erging es auch Anke von Leutsch, als sie mit ihrer Kollegin auf dem alten Ismaninger Friedhof durch die Grabreihen ging. Dabei verfolgt die Verwalterin des Gemeindearchivs ein hehres Ziel: Sie will mithilfe der auf den Grabsteinen vermerkten Lebensdaten der Verstorbenen die Ismaninger Ortsgeschichte um ein weiteres Stück ergänzen.

Zu diesem Zweck sind Leutsch und ihre Kolleginnen in den vergangenen drei Jahren regelmäßig auf dem örtlichen Friedhof, erbaut 1873, gewesen und haben dort alle 898 Grabmale dokumentiert, mit Foto und dem genauen Standort versehen. Knapp 3600 Frauen, Männer und Kinder aus Ismaning waren und sind darauf verzeichnet mit ihren Geburts- und Sterbetagen. "Das Dokumentieren ist eine Fleißarbeit, aber man hat einiges davon", sagt Leutsch. Die Geburtsdaten auf den Grabsteinen reichen zurück bis ins Jahr 1813 - damals war die Dorfgemeinde Ismaning gerade in einer neuen politischen Selbstständigkeit mit einem eigenen Gemeindevorsteher angekommen.

Mithilfe der Daten auf den Grabsteinen lassen sich die Spuren der Familien, die in Ismaning gelebt haben, zurückverfolgen. Mitunter lassen sie auch Schlüsse auf Familienverbünde zu, wenn etwa die verheiratete Tochter nach ihrem Tod unter dem neuen Nachnamen im Familiengrab der Eltern beerdigt wurde. Erst seit 1876 werden in Bayern Daten wie Geburt, Heirat oder Todestag der Einwohner von den kommunalen Standesämtern erfasst. In den Jahrzehnten davor führten die Pfarreien über solche Ereignisse Buch. Für die Archivverwalterin sind die Daten daher ein kleiner Schatz - zumal die alten Gräber mehr und mehr verschwinden. "Wenn die alten Grabsteine ersetzt werden, sind die Namen jetzt zumindest im Archiv verewigt. So verschwinden die Menschen nicht einfach", sagt sie. Gleichzeitig sind Personenstandsdaten natürlich sensible Informationen. Anke von Leutschs Erkenntnisse werden deshalb ins Gemeindearchiv aufgenommen, nicht aber etwa online verfügbar gemacht. Wer sich der eigenen Familiengeschichte widmet und dabei auf Fragen trifft, dem wird im Ismaninger Archiv freilich geholfen.

Insgesamt beobachtet Leutsch, dass das Interesse der Menschen an ihrer eigenen Herkunft und dem Leben ihrer Ahnen wächst. Längst ist die Erforschung der Familienhistorie keine belächelte Marotte mehr, immer mehr Menschen würden sich dieser ihrer Vergangenheit bewusst und wollten mehr wissen. Zwei weitere Quellen haben Leutsch und ihre Kolleginnen dabei noch aufgetan. Einerseits haben sie die Inschriften des Kriegerdenkmals ausgewertet, auf dem alle gefallenen und vermissten Ismaninger Soldaten aus den beiden Weltkriegen verzeichnet sind. Andererseits rufen sie die Bürgerinnen und Bürger auf, alte Sterbebilder dem Archiv zu spenden. Zwischen 3000 und 4000 Bilder umfasst die Sammlung schon, schätzt Leutsch. Diese liefern wertvolle Daten, oft auch zu Beruf oder Sterbeumständen der Menschen. Für 2022 haben sich Leutsch und ihre Kolleginnen den neuen Friedhof vorgenommen. Dort warten noch einmal 900 Gräber und 200 Urnennischen auf ihre Dokumentation.

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