München: Olympiabewerbung:Die Idee der Spiele

München hat das Bid Book abgegeben, der Kampf um die Winterspiele 2018 ist eröffnet. Doch im eigenen Land ist die Bewerbung umstritten. Eine "Empörungskultur" gefährdet die olympische Idee. Wo ist der Geist der Spiele von 1972?

Holger Gertz

In den Siebzigern gab es den Begriff "Wutbürger" noch nicht, aber dass die Gesellschaft schon damals nicht frei von ihnen war, belegt das Zitat des in München seinerzeit stadtbekannten Kolumnisten Sigi Sommer. Durch die Olympischen Spiele werde "das letzte Resterl Gemütlichkeit" verlorengehen, schrieb er, außerdem witterte er ein "olympisches Wettklettern der Preise und noch unfreundlichere Kellnerinnen". Es kam noch schlimmer, nicht nur die Preise für die Maß Bier zogen an, insgesamt kosteten die Spiele wesentlich mehr als ursprünglich kalkuliert, allerdings sind und waren die Kellnerinnen in München nie unfreundlicher als die in Hamburg und vor allem jene in Berlin.

Günther Zahn entzündet das Olympische Feuer bei den Olympischen Spielen 1972

Olympische Spiele 1972: Wenn man mit alten Athleten aus dem Ausland spricht, schwärmen sie noch immer vom Spirit der Spiele - trotz des Attentats.

(Foto: dpa/dpaweb)

Hätte man auf die Bedenkenträger gehört - auch auf solche, die argumentierten, Deutschland sei noch nicht wieder olympiawürdig, so kurz nach den Diktatorenspielen von 1936 -, dann hätte sich München kaum so entwickelt, wie es sich entwickelt hat. Es geht gar nicht in erster Linie um die neue U-Bahn, es geht um die Stimmung, die die Spiele einerseits nach München trugen und die andererseits von der Gastgeberstadt selbst geschaffen wurden. Wenn man mit alten Athleten aus dem Ausland spricht, schwärmen sie noch immer vom Spirit der Spiele, sie erinnern sich - trotz des Attentats - voll Wärme. An das Design, an das Stadion mit dem gläsernen Dach, an die Herzlichkeit der Menschen, an die Fairness des Publikums.

Deutschland war anders geworden, und München war nicht länger das große Dorf, für das es alle gehalten hatten. Großveranstaltungen sind wie Visitenkarten eines Landes: Keine teure Imagekampagne kann das Profil einer Stadt, eines Landes so schärfen wie Olympische Spiele oder Fußballweltmeisterschaften. Und weil das Fernsehen inzwischen ganztägig und flächendeckend überträgt, ist dieser Effekt nach außen eher noch stärker geworden.

München bewirbt sich, gemeinsam mit Garmisch, erneut um Olympia, mit der Abgabe des sogenannten Bid Books ist der Kampf um die Winterspiele 2018 in die entscheidende Phase getreten. Im eigenen Land ist die Bewerbung umstritten, Bauern in Garmisch wollen ihre Äcker nicht zur Verfügung stellen, Naturschützer fürchten, dass die strapazierte Bergwelt noch stärker beansprucht wird.

Es gibt handfeste Argumente, die die Gegner ins Feld führen - und es gehört zu den großen Versäumnissen der Münchner Olympiaplaner, diese Argumente nicht rechtzeitig ernstgenommen zu haben. Manches an diesem Protestpotential speist sich aber auch aus einer gesellschaftlichen Strömung, die als "Empörungskultur" bezeichnet wird - auch den Begriff gab es nicht in den Siebzigern. Wutbürger, die gegen alles sind, sind auch gegen die Spiele. Sie wollen keinen neuen Bahnhof, keine neue Startbahn am Flughafen, keine Großveranstaltung. Wutbürger können sehr egoistische Menschen sein, sie fragen sich: "Was genau bringt mir das persönlich?" Und wenn sie keine Antwort finden, rufen sie zu einer Demonstration auf.

Spiele als Kitt für das Gemeinwesen

Die Münchner Bewerbung hat ihre Stärken. Viele Sportanlagen sind schon vorhanden. Und es wäre bei aller Kritik, bei allem Einsatz für Nachbesserungen ungerecht, den Planungen ihre auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Philosophie absprechen zu wollen. Das zu einer gewissen Schläfrigkeit und Selbstzufriedenheit neigende München könnte einen belebenden Impuls gut vertragen. Eine Gastgeberstadt muss Tausende Freiwilliger stellen, die die Hallen sauber halten, Platzeinweiser spielen, den Gästen den Weg von da nach dort erklären. Olympische Spiele sind deshalb ein Ereignis, an dem viele Bürger beteiligt sind, und wenn es am Ende ein Fest war, können viele sagen: Ich war dabei. Das ist der Kitt, den ein Gemeinwesen braucht.

Es gibt im Moment eine Tendenz bei Sportfunktionären, Großveranstaltungen dorthin zu vergeben, wo mit Protest und Demonstrationen nicht zu rechnen ist. Die Spiele von Peking 2008 waren ein Beispiel, die von Sotschi 2014 werden eines sein. Eine der Protestbäuerinnen aus dem Werdenfelser Land hat neulich in einem ihrer zahlreichen Interviews gesagt: "Sollen's die Spiele halt in den Osten vergeben, die brauchen's dringender." Das ist zu einfach gedacht. Aber wenn die Skepsis im freien Teil der Welt dazu führt, dass die Spiele nur noch an Diktatorenregimes vergeben werden, die dann die Bühne nutzen, um sich als geläutert darzustellen - dann wäre die olympische Idee erledigt.

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) wird seine Entscheidung über den Ausrichter im Sommer bekanntgeben, es wird bis dahin seine Emissäre öfter nach Bayern schicken, die hier kontrollieren sollen, wie sich die Dinge entwickeln. Es sind Abgesandte einer Institution, die nichts garantiert und nur fordert; die abkassiert, während die Gastgeberländer oft überschuldet zurückbleiben. Die Herren der Ringe werden - gerade in Deutschland - von vielen Menschen als Schwindelbande gesehen. Wären die Oberolympioniken lernfähig, würden sie begreifen, dass viele Münchner Revoluzzer nicht gegen München 2018 sind. Sondern gegen das IOC, dessen Philosophie vielem widerspricht, für das München steht, seit 1972.

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