Olympia-Komitee testet München:Das große Schaulaufen

Bei der Vergabe der Olympischen Spiele sind die Berichte der IOC-Prüfkommission eher Makulatur. München hat trotzdem fleißig geprobt, um keine Fehler zu machen.

Dominik Hutter und Thomas Kistner

Der Trupp aus dem Bus hat Aufsehen erregt: gut 30 Leute, alle in weißen "München 2018"-Anoraks, und alle mit größtem Interesse für die Garmischer Sportstätten. Schnell kamen die ersten Gerüchte in Umlauf: War etwa die Evaluierungskommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) schon vor dem offiziellen Termin angereist, ganz still und leise, inkognito sozusagen? Tatsächlich klapperte die Delegation peu à peu alle für Olympia wichtigen Orte ab - nicht nur zu Füßen der Zugspitze, sondern auch in München. Nur hat es dort keiner bemerkt.

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Mit ihrem Ballon - wie hier in Lenggries - will die Bewerbungsgesellschaft die Bevölkerung in und um München für die Olympischen Winterspiele 2018 erwärmen. Jetzt nimmt erst einmal die Bewertungskommission des Internationalen Olympischen Komitees die Bewerberstädte unter die Lupe. Dann werden auch die Menschen, die dort leben, befragt.

(Foto: dpa)

Jochen Färber von der Bewerbungsgesellschaft amüsiert sich noch heute über den hektischen Anruf, der ihn damals aus Garmisch erreichte. Denn natürlich war das IOC nicht einfach zu früh angerückt. Nichts anderes als eine Generalprobe fand Ende Januar statt - nach dem Motto: Wir spielen IOC-Besuch, auf dass wir später nichts falsch machen. "Die Kommission war mit Dummies besetzt", berichtet Färber - mit fachkundigen jedoch, denn alles sollte realistisch ablaufen. Und so löcherten die IOC-Darsteller die Bewerbungsexperten mit Fragen zu Logistik, Finanzierung oder Umweltkonzept - mit dem, was vermutlich auch die echten Prüfer wissen wollen.

So eine Evaluierungskommission kommt eben nicht jeden Tag vorbei, und der Aufwand, der dafür betrieben wird, ist enorm. Der viertägige Besuch hat einen festen Platz in den Terminkalendern zahlreicher Politiker, unter ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Horst Seehofer. In den Büros der Bewerbungsgesellschaft, viele mit Blick aufs Olympiastadion, bereitet seit Herbst eine eigene Stabsstelle den IOC-Besuch vor.

Es gilt, Hotelzimmer zu organisieren (fürs IOC und die Presse), ein Besuchsprogramm zusammenzustellen (von dem keiner weiß, ob es eingehalten wird), die Experten fürs Frage-Antwort-Spiel zu reservieren, sachkundige Reaktionen auf jeden denkbaren Einwand vorzubereiten sowie das Empfangsteam am Flughafen zu koordinieren (alle Prüfer kommen einzeln, mit unterschiedlichen Maschinen). Und weil die Kommission bei ihren Fahrten durch München und das Oberland streng abgeschirmt wird, hat die Bewerbungsgesellschaft separate Bustouren für Journalisten organisiert, auf denen die kurz zuvor vom IOC abgegraste Route nachgefahren wird.

Lohnt sich dieser Aufwand wirklich? Ein Blick in die Vergangenheit lässt da Zweifel aufkommen. Im Dezember zum Beispiel packte in Zürich Andy Anson aus. Der Chef der englischen Bewerbung für die Fußball-WM 2018, die von den Konkurrenten die mit Abstand beste Bewertung hatte, offenbarte, was die Arbeit der Evaluierungskommission wert war: Nichts. "Nur drei Mitglieder" des Fifa-Vorstandes hätten das britische Bid Book überhaupt bestellt. Von der Ignoranz des Wahlgremiums profitierte hingegen der WM-Veranstalter 2022: Katar hatte die schlechtesten Noten, und dass es dort im Sommer bis zu 50 Grad heiß ist, fiel der Fifa erst nach der Wahl auf.

So ungeniert wie im Weltfußballverband läuft es zwar nicht mehr ab im IOC. Doch weil hier 110 Mitglieder abstimmen, fallen die paar, die auf die Fachbenotung achten, kaum ins Gewicht. So machte 2007 in Guatemala bei der Wahl des Winterspielortes 2014 Sotschi das Rennen. Konkurrent Salzburg hatte die viel besseren Noten, am Schwarzen Meer konnte der IOC-Prüfstab sowieso nur besichtigen, was auf Reißbretter gemalt wurde. Kurz vor der Wahl flog Sotschi mit staatlichen Frachtmaschinen einen kompletten Eislaufpalast nach Zentralamerika, der neben dem IOC-Hotel mit ausschweifendem Nachtleben lockte. Hilfreicher als der dünne Evaluierungsbericht war für Sotschi auch, dass Russlands Präsident Wladimir Putin vor der Wahl IOC-Leute zum Nachtmahl lud.

Man darf nicht patzen, wenn die Prüfer kommen

Man darf nicht patzen, wenn die Prüfer kommen, klar. Doch die wichtigste Note für München wird die Bevölkerung abgeben: bei einer IOC-Umfrage, wie sehr Deutschland diese Spiele will. Ansonsten werden Evaluierungsberichte zwar mit Akribie erstellt, taugen aber nur als Feigenblatt. IOC-Mitgliedern ist seit der Salt-Lake-Bestechungsaffäre untersagt, Kandidatenstädte zu besuchen; die Prüfung gibt dem Verfahren einen seriösen Anstrich. Doch ist kein IOC-Mitglied gebunden, den Report zu lesen. Und für die diskrete Lobbyarbeit gibt es all die Berater, die lieber ungenannt bleiben möchten: Wen sie wo in welcher Mission aufsuchen, zählt zu den tiefen Geheimnissen des Olymps.

Dass Evaluierungsberichte am Wahltag Makulatur sind, ist auch anderweitig belegbar. Für den Winter 1992 wurde ein gesichtsloses Nest in Frankreich namens Albertville gekürt - als Ausgleich: Denn für den Sommer 1992 gewann Barcelona, die Heimatstadt des IOC-Bosses Juan Antonio Samaranch; Paris hatte da weichen müssen. Die Winterspiele 1994 fanden in Lillehammer in Norwegen statt. Samaranch hatte eine PR-Agentur angeheuert, die dem IOC den Friedensnobelpreis verschaffen sollte - zufällig wird der in Norwegen vergeben.

In Nagano (1998) wollte der Milliardär Yoshiaki Tsutsumi Privatländereien mit seiner Eisenbahn verbinden lassen - auf Staatskosten. Dafür brauchte er die Spiele. Tsutsumi finanzierte mit 20 Millionen Dollar Samaranchs Hobby, das Olympische Museum in Lausanne. Als nach dem drögen Nagano-Event der Korruptionsgestank Japans Behörden alarmierte, brannte plötzlich das olympische Archiv Naganos ab. Tsutsumi übrigens wanderte 2005 ins Gefängnis, wegen Bilanzfälschungen. Seit Nagano, wo Bauern zuhauf enteignet wurden, sind Grundbesitzerproteste keine Petitessen mehr im IOC.

Die Vergabe der Spiele 2002 an Salt Lake City brachte eine Bestechungsaffäre mit sich. Das IOC musste einige Hinterbänkler rauswerfen und nahm ein paar Reformen vor - en passant ließ es in der Bewerbung für 2006 den Schweizer Topfavoriten Sion fallen. Schließlich war es der Schweizer IOC-Vorständler Marc Hodler, der die Salt-Lake-Affäre publik gemacht hatte. Stattdessen fand das IOC plötzlich Gefallen an der faden Industriemetropole Turin und seinen in die Alpen gerammten Skistationen.

Für 2010 siegte Vancouver hauchdünn vor Pyeongchang, das erstmals antrat und dem IOC eine letztlich zu bizarre Zukunftsperspektive bot mit der damaligen Galionsfigur der Bewerbung, Un Yong Kim; der Ex-Geheimdienstler wanderte wenig später in der Heimat hinter Gitter. Dann kam Sotschi, der Palmensprengel im kaukasischen Unruhegebiet. Von den IOC-Prüfern seinerzeit, deren Bericht letztlich unbedeutend war, werden einige kommende Woche auch in München dabei sein.

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