Oberschleißheim:Letztes Kapitel

Geändertes Kauf- und Leseverhalten: Ronald Hanke schließt nach 13 Jahren seinen Laden "Bücher am Schloss"

Von Gudrun Passarge, Oberschleißheim

Die Judenbuche von Annette von Droste-Hülshoff wartet ebenso noch auf einen neuen Besitzer wie diverse Bibeln, Romane, Sachbücher. "Alles muss raus", steht im Schaufenster des Oberschleißheimer Buchladens "Bücher am Schloss". Denn Ende März endet der Mietvertrag für den Laden an der Effner- straße. Ronald Hanke gibt nach fast 13 Jahren auf. Der 45-Jährige tauscht seine Selbständigkeit mit einem Angestelltenverhältnis und die Oberschleißheimer werden zum Bücherkaufen oder Schmökern oder Plauschen künftig anderswohin gehen müssen.

An mangelnden Parkplätzen kann es jedenfalls nicht gelegen haben, dass der 45-Jährige den Laden schließt, immerhin befinden sich etwa 100 gleich vor seiner Tür. Nein, natürlich nennt er das veränderte Einkaufsverhalten der Leute als Grund. Jeder habe ein Smartphone, da würden die Bestellungen schnell aufgegeben. "Unsere Gesellschaft ist sehr bequem geworden", sagt der Buchhändler. Die kleinen Einzelhändler, selbst wenn sie wie er einen Internetauftritt hätten, kämen kaum gegen die Großen in der Branche an. Amazon und andere hätten die Menschen an ihre Seiten gewöhnt, "und es ist schwer, die Leute da wegzulotsen", sagt Hanke. Und das, obwohl auch er in seinem Online-Shop von Büchern über CDs, DVDs bis hin zum Yogi-Tee etwa eine Million Artikel anbietet. "Das wissen die Leute oft nicht." Schon gar nicht, dass nicht nur Bücher zum Angebot gehören.

Oberschleißheim: Literatur in der Wurschtkuchl: der Buchladen in der alten Metzgerei.

Literatur in der Wurschtkuchl: der Buchladen in der alten Metzgerei.

(Foto: Catherina Hess)

Dass Ronald Hanke eines Tages eine Buchhandlung betreiben würde, war wohl nur konsequent. "Das liegt in den Genen", erzählt er. Schon der Vater habe gesagt: "Wir können nur Bücher." Bei ihm und seinen beiden Geschwistern habe sich das bestätigt. Hanke selbst war vor seiner Selbständigkeit bei einer Verlagsgruppe in München angestellt. Doch nach dem Verkauf des Verlags hätte er seinen Arbeitsplatz in Berlin gehabt, das wollte er nicht. 2004 eröffnete er deswegen mit seinen Eltern das Geschäft "Bücher am Schloss" in den ehemaligen Räumen einer Metzgerei. Graue Kacheln in dem Raum, in dem die meisten Bücher seines Antiquariats stehen, erzählen heute noch von der Vorgeschichte. Und nicht umsonst waren die Lesungen in diesem Raum mit "Literatur in der Wurschtkuchl" betitelt. Von Anfang an setzte Hanke auf Altes und Neues. Durch seine Kontakte zu Verlagen hatte er schnell eine ansehnliche Auswahl an antiquarischen Büchern beieinander, die er im Hinterraum aufgestellt hat. Vorne gehen die aktuellen Bestseller über den Tisch.

Nun muss alles raus. Etwa 10 000 Bücher stehen noch in den Regalen. Immer wieder kommen Kunden vorbei und stöbern. Der Turm ihrer gesammelten Bücher wird immer höher. Meist ist es ein Rundumschlag, der Titel wie "Körperintelligenz" genauso umfasst wie Skizzen von Günter Grass, Krimis und Kinderbücher. Eine Frau hat bestimmte Vorstellungen, was sie brauchen könnte. "Haben Sie etwas über Madeira? Da wollen wir dieses Jahr auch noch hin." Aber auch Antiquare schauen vorbei, erzählt Hanke. Einer berichtete, das beste Geschäft stets auf dem Flohmarkt zu machen, weil viele Leute Nachlässe verkauften und gar nicht wüssten, dass sich manche Kostbarkeit darunter verberge. Das ist die eine Seite der Medaille, die andere sind Angebote von Büchern für einen Cent. "Das möchte ich nicht mittragen", sagt Hanke. Es gehe um Bücher, auch wenn sie älter seien.

Oberschleißheim: Das Sortiment steht nun in der Kiste zum Ausverkauf.

Das Sortiment steht nun in der Kiste zum Ausverkauf.

(Foto: Catherina Hess)

Wobei es nicht allen Leuten auf Inhalte ankommt. Der Buchhändler hatte Kunden, die ihre Werke nach Farben aussuchten. So kam einmal ein Paar, das eine Villa gebaut hatte mit Lesesaal. Dafür brauchten sie Bücher in Rot. Hauptsache schön mit Ledereinband und Goldprägung. Der Mann habe das auch offen gesagt: "Es war ihm wurscht, was drin steht." Genauso wie den Einkäufern aus Möbelhäusern, denen es auch mehr um Optik als Inhalte ging.

Doch große Geschäfte seien mit Antiquariat nicht mehr zu machen gewesen, berichtet der Buchhändler. Dazu ist die Konkurrenz großer Händler zu stark. Hinzu kommt, dass die Leute inzwischen selbst ihre alten Bücher über das Internet verkaufen. Doch das wird Hanke ja bald nicht mehr kümmern, auch wenn er jetzt noch wehmütig erzählt, wie interessant es war, in manches Buch zu schauen, Widmungen zu lesen und in anderer Menschen Leben einzutauchen. "Natürlich hängt man dran", sagt er zu seinem Geschäft. Schließlich war es mehr als ein Bücherverkauf. Der Laden war auch Kommunikationszentrum im Ort. Hanke erinnert daran, dass er mit der örtlichen Bücherei zusammengearbeitet und auch viele Projekte im Ort unterstützt habe. Zum Beispiel mit Bücherbasaren. Einer kam den "Schloßpfeiffern" zugute. "Wir haben es zusammen mit anderen möglich gemacht, dass die Schloßpfeiffer nach New York fahren konnten zur Steubenparade."

Bis das unausweichliche Ende kommt, veranstaltet der Buchladen jeden Samstag seine Frühstückchen mit Kaffee und süßen Leckereien. Vielleicht finden die restlichen Bücher ja doch noch ihre Liebhaber. Auf jeden Fall lassen sich gute Ratschläge zuhauf in den alten Werken finden. "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Das sei die Denkungsweise eines jungen Menschen, der ins Leben hineintritt", steht in dem Werk "Worte und Winke zum guten Ton". Es stammt wohl vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Zeiten ändern sich.

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