Geschichte:Überleben unterm Kanonendonner

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Die Musketiere geben eine Salve ab. Richtig laut wird es beim Schuss der Kanone. (Foto: Leonhard Simon)

Ein historisches Fest am Alten Schloss Schleißheim versetzt die Besucher in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Es sind Erzählungen über Butterstampfen, verzweifelte Bauern und lynchende Frauen.

Von Sabrina Proske, Oberschleißheim

„Anton, auf geht’s zum Buttern“, ruft Johanna Müller, 42, ihrem Sohn zu. Mit erkennbar geübten Handgriffen füllt sie die erwärmte Rohmilch in ein längliches Holzgefäß und beginnt zu stampfen. „Alles wie damals“, erklärt sie. „Außer dass wir heute aus Brandschutzgründen kein offenes Feuer haben können.“ Eine kleine Menschentraube bildet sich um die Frau und ihren sechsjährigen Sohn Anton, beide gekleidet in selbst genähten historischen Gewändern des 17. Jahrhunderts.

Zehn Minuten dauert es, bis sich die Flüssigkeit flockt und Butter entsteht, erklärt sie mit einem Lächeln. Johanna Müller ist Mitglied der „Schierlinger Gennßhenkher“ und als Marketenderin Teil der Inszenierung „Musketiere, Mönche, Marketenderinnen“.

Der historische Verein dient der Erhaltung und Förderung der Heimatpflege. Mehrmals im Jahr treffen sich bis zu 400 Vereinsmitglieder, um Schießübungen abzuhalten und das Lagerleben vor mehr als 380 Jahren aufleben zu lassen. An diesem Wochenende gewähren sie im Alten Schloss Schleißheim Einblicke in die höfischen, ländlichen und militärischen Facetten der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648). Denn dort lebte Maximilian I., Bayerns erster Kurfürst und wichtigster Verbündeter des Kaisers. Nicht weit von Schleißheim, im Dachauer Moos, schlug er im letzten größeren Gefecht des langen Krieges die Schweden.

Frauen waren fester Bestandteil der militärischen Einheiten. Marketenderin Johanna Müller und ihr Sohn Anton verarbeiten Rohmilch zu Butter. (Foto: Leonhard Simon)

 „In zehn Minuten marschieren wir los“, hallt es plötzlich durch den Renaissance-Innenhof. Corporal Manuel Kraus, 32, ruft zur Aufstellung. Wenige Minuten später stehen 20 Pikeniere und Musketiere in Reih und Glied, bereit, in die Schlacht zu ziehen. Im Dreißigjährigen Krieg irrten Tausende Soldaten mit ihren Trossen durch Deutschland, Frankreich und Italien. Hungernd, raubend, mordend – für viele eine Odyssee über 25 000 Kilometer. Der Tod war dabei stets präsent – entweder verlor man sein Leben in einer Schlacht oder man verhungerte, erklärt Kraus. Der Dreißigjährige Krieg gilt als einer der brutalsten in Europa. Denn: Jene Musketiere und Pikeniere waren allesamt Söldner, von Heerführern angeworbene und gegen Sold kämpfende Soldaten. „Alles alternativlose Bauern“, erklärt Kraus, „die hatten zunächst keine Ahnung vom Kämpfen.“

Heute führen sie den Besuchern im Schlosshof Waffentechniken und Formationen vor. „Zum Marsche! Herstellt, euch“, ruft der Corporal mit durchdringender Stimme. „Musketen ab! Lunten an.“ Die Truppe marschiert im Gleichschritt los, begleitet von treibenden Trommeln. Immer wieder ermahnt Kraus die Söldner und korrigiert einen falschen Schritt oder ein unerlaubtes Wort.

Viele arme Bauern suchten im Dreißigjährigen Krieg als Söldner bei den kämpfenden Einheiten ihr Glück. (Foto: Leonhard Simon)

„Achtung, Kanone“, hallt es jetzt durch den Innenhof. Frauen, Kinder, Hunde und Besucher gehen in Deckung. Dann folgt ein ohrenbetäubender Knall. „Getroffen“, grinst Stückmeister Markus Grimmer, 56, vom Verein Feldwache Tilly, und lädt sogleich die Kanone nach. Johanna Müller hält ihren Sohn Anton im Arm, das Butterfass zwischen den Beinen. Sie lächelt zufrieden. Als kleines Mädchen hat ihr Vater sie bereits zu historischen Veranstaltungen mitgenommen. „Meine Freundin und ich haben am Schießstand Barbie gespielt“, erzählt sie grinsend und tippt auf ihre Ohren, bevor die Kanone zum zweiten Mal gezündet wird.

„Die funktionieren aber noch“, ruft sie über den Knall hinweg. Mittlerweile nimmt sie ihre eigenen Kinder mit. Ihr Ältester ist elf Jahre alt und lag das erste Mal mit drei Monaten in der historischen Wiege im Lager, berichtet sie. Dann wirft sie einen prüfenden Blick ins Butterfass. „Jetzt wird’s was“, sagt sie stolz. Als Marketenderin zieht Johanna Müller mit ihren Kindern seit 25 Jahren im Tross dem Söldnerherr hinterher. Bei der Frage, ob sie in ihrer Rolle einen Mann hat, hält sie kurz inne. „Vermutlich nicht. Der ist tot.“ Historische Überlieferungen zeigten, dass die Frauen sich zur Kriegszeit dem Tross auch alleine angeschlossen hätten, erklärt sie. Am Ende des Krieges hätten sich 140 000 Menschen im Tross befunden, die für die Versorgung der Soldaten zuständig gewesen seien. Vor allem die Frauen seien wichtig gewesen, erklärt Jakob Kolbeck, 62, Musketier seit mehr als 25 Jahren. Damals habe es so etwas wie das Rote Kreuz nicht gegeben.

Landsknechte von Maximilian I. kämpften nicht weit von Oberschleißheim gegen die Schweden. (Foto: Leonhard Simon)

Marketenderinnen wie Johanna Müller umsorgten Verletzte oder kochten für die Familie. Allzu viel wisse man nicht über die Frauen im Tross, bemängelt die Marketenderin. Frauen solle man auf keinen Fall nur auf das schwache Geschlecht reduzieren, betont sie und verweist auf Mutter Courage von Bertolt Brecht. Im Dreißigjährigen Krieg betreibt dort die Marketenderin Anna Fierling im Tross der Regimenter ihre Geschäfte. „Die Trossweiber wollten überleben. Die hatten es faustdick hinter den Ohren“, so Müller. Marketenderinnen stahlen den Toten auf dem Schlachtfeld die Stiefel, plünderten und lynchten, um zu überleben.

Mittlerweile sind die meisten Soldaten in Schleißheim vom Schlachtfeld zurückgekehrt. Das Lager füllt sich wieder. „Wo ist mein Hut?“, ruft plötzlich Sohn Anton. Müller streicht ihm liebevoll über den Kopf. Dann schmiert sie die fertige Butter auf eine Scheibe selbst gemachtes Brot. Noch etwas Schnittlauch drüber und fertig ist das historische Abendessen.

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