Süddeutsche Zeitung

Oberschleißheim:Die Sprache des Herzens

Die evangelische Pädagogin Gertrud Weinhold hat eine einzigartige Sammlung an Volkskunst aus aller Welt zusammengetragen. Darunter befinden sich auch Ostereier in allen erdenklichen Kreationen.

Von Klaus Bachhuber, Oberschleißheim

Die Ostereier liegen zu Dutzenden in Körben, in kleinen Nestern. Einige hängen an bunten Bändern, an glänzenden Kettchen oder thronen auf kunstvollen Podesten. Ostereier zu finden, ist hier nicht schwer; mit Naschen freilich geht da gar nichts. Diese Eier sind aus Gold oder Silber oder aus Wachs, sind mit Stickereien überzogen oder mit fein ziseliertem Strich bemalt. Und ein paar sind sogar aus Holz, bunt bemalt und können aufgeschraubt werden.

Was auch immer die Volkskunst in den Dörfern und Städten, den Stuben und Palästen des 20. Jahrhunderts an religiösen Motiven hervorgebracht hat, die Berliner Pädagogin Gertrud Weinhold hat es gesammelt.

Im Alten Schloss Schleißheim ist seit 1986 die weltweite unvergleichliche Sammlung über "das Gottesjahr und seine Feste" ausgestellt. Und weil eben Ostern und Weihnachten die christlichen Hochfeste sind, nehmen auch die Werke zu diesen beiden Themenkreisen den breitesten Raum ein.

Gertrud Weinhold (1899-1992) hat bis ins hohe Alter die Welt bereist, 48 Länder hat sie gesehen, und an jedem Ort planvoll Stücke für ihre Sammlung zusammengetragen. Jenseits der Hochkultur zur Ausschmückung und Gestaltung von Kirchen weltweit suchte sie "das Evangelium in den Wohnungen der Völker", wie der Titel der Ausstellung heißt.

Sie wollte darin die Gegenstände christlicher Rituale und Bräuche im weltweiten und im ökumenischen Vergleich darstellen. Weinhold ging es dabei nicht um das jeweilige Stück selbst, sondern um seinen Demonstrationswert in einem sozialen Gefüge, seinen Verweisungscharakter.

Nicht zuletzt steht das Werk Weinholds ohne Vergleich in der Dokumentation der Alltagskultur des 20. Jahrhunderts, besonders in Hinsicht auf das lokale Kunsthandwerk und die regionale Volkskultur, bevor sie in der zweiten Jahrhunderthälfte weitgehend von industrieller Massenfertigung abgelöst wurde. Während die ursprüngliche Volkskunst allmählich ausstarb, hat Weinhold sie noch in den Familien abgeholt, in lokalen Hand- und Hauswerkstätten, in denen nach altem Brauch geschnitzt, modelliert und gemalt wurde.

Prachtvoll bemalte Eier aus der Ukraine finden sich da, mit Perlen überzogene Wachseier oder Motive aus dem bäuerlichen Alltag in Russland auf hölzernen Schraubeiern. Bei all diesen extrem unterschiedlichen Gestaltungen und Materialien die gemeinsame geistliche Grundlage so vieler Kulturen weltweit zu zeigen, das war das tiefe Anliegen von Gertrud Weinhold.

"Hier redet die Sprache des Herzens", heißt es in einem älteren Aufsatz über die Sammlung, "hier will Freude erweckt sein, kann Identitätssicherung stattfinden, scheinen Lebenszusammenhänge auf". Die Mehrzahl der Objekte stammt auch noch aus dem eigenen Erlebniszeitraum der Besucher. Der Gang durch das Geistliche Jahr in den unterschiedlichen Kulturen soll dies dokumentieren. Der Anker für alle ihre Aktivitäten, beruflich als Leiterin einer Volkshochschule der Inneren Mission und privat als Sammlerin, waren für die evangelische Pädagogin Weinhold die Bibel und ihre Geschichten.

Anreise

Die Schlösser sind täglich außer Montag von 9 bis 18 Uhr geöffnet, die Flugwerft täglich von 9 bis 17 Uhr. Anfahrt mit der S-Bahn auf der S1 zum Halt Oberschleißheim, etwa zehn Minuten Fußweg. Die Buslinien 292 oder 295 ab den U-Bahn-Haltestellen Garching und Am Hart halten direkt am Schloss. Bei Anfahrt mit dem Pkw aus Süden empfiehlt sich der Parkplatz der Flugwerft, der ab der Autobahnausfahrt Neuherberg beschildert ist. Im Schlosspark selbst hat die "Schlossalm" Biergartenbetrieb, in fußläufiger Nähe gibt es Cafés und Speiselokale. Einkehrtipps gibt es auf www.tourismus-schleissheim.de und im Tourismusbüro in einem Flügel des Alten Schlosses, Telefonnummer 089/37558958, tourismus@t-schleissheim.de. kbh

In Berlin präsentierte sie ihre Stücke schon zwischen 1951 und 1983 bei jährlichen gigantischen Hallenausstellungen unter dem Funkturm. Für ihre Lebensleistung ist Weinhold von der Stadt Berlin mit einer Ehrenprofessur ausgezeichnet worden. Kurz vor ihrem Tod übereignete sie ihre Sammlung dem Volkskundemuseum in Berlin und dem Bayerischen Nationalmuseum in München.

Die Ausstellung im Alten Schloss wurde noch von Gertrud Weinhold persönlich aufgestellt, die Erläuterungen in den einzelnen Vitrinen von ihr verfasst. Entsprechend ihrer Intention sind diese Begleittexte vorwiegend ein persönliches Bekenntnis der Sammlerin und mehr auf die Bedeutungsebene der dargestellten Gegenstände und damit das subjektive Empfinden des Betrachters ausgerichtet.

Mehr als 6000 Objekte dokumentieren nun auf 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche im Alten Schloss die Kalenderfeste des religiösen Jahres mit ihren Ritualgegenständen aus aller Welt. "Ein einzigartiges Archiv der internationalen Volkskulturen" nannte das Marianne Stößl einmal, als Oberkonservatorin im Bayerischen Nationalmuseum lange Jahre für die Sammlung zuständig.

Das heute im Schleißheimer Schlossensemble als "Alte Schloss" bezeichnete Gebäude war eine Landvilla, die sich der Bayerische Herzog Maximilian I. Anfang des 17. Jahrhunderts auf den Fundamenten einer Vorgängervilla des Vaters, Herzog Wilhelm V., errichten ließ. Für die Innenausstattung beschäftigte Maximilian unter anderem Peter Candid oder Peter Paul Rubens. Die Jagdmotive, die heute in der Alten Pinakothek in München ausgestellt sind, fertigte Rubens für Schleißheim an.

Von Maximilians Sohn Ferdinand Maria in Details umgestaltet, wurde das Schloss Nebengebäude, als dessen Sohn Max Emanuel Anfang des 18. Jahrhunderts nebenan das imposante Neue Schloss erbauen ließ. Mit der Ansiedlung der Königlich Bayerischen Fliegertruppen von 1912 an auf dem Schleißheimer Flugplatz wurde das Gebäude zum Schlafplatz für Soldaten, auch der Rekrut Paul Klee nächtigte hier.

Nach einem Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg blieb das Alte Schloss Ruine, bis es im Vorfeld der Münchner Olympischen Spiele 1972 äußerlich wiederhergestellt wurde. Ein Bild des jahrelangen Zustandes vermittelt der weltberühmte Film "Wege zum Ruhm" von Regisseur Stanley Kubrick mit Kirk Douglas, der in Schleißheim gedreht wurde und wo das Schloss in seinem Zustand der späten 1950er Jahre als Weltkriegsruine diente.

Nach dem Wiederaufbau zog dort 1986 noch unter der Ägide von Gertrud Weinhold der Münchner Teil ihrer Sammlung in den Nordflügel ein. Im Südflügel wird die Ausstellung "Es war einmal Land" der Ost- und Westpreußischen Landsmannschaften gezeigt, die aber wegen Bauarbeiten an Ostern nicht geöffnet ist.

Neben den beiden Ausstellungen im Alten Schloss zeigt das Neue Schloss neben den Interieurs aus der Zeit des Kurfürsten Max Emanuel mehr als 200 Werke des Barock aus den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen. Im ehemaligen Jagdschloss Lustheim am Ostende des Schleißheimer Schlossparks, das nach Entwürfen Enrico Zuccallis gebaut wurde, wird die Sammlung Ernst Schneider gezeigt, die weltweit bedeutendste Sammlung Meißner Porzellans außerhalb Meißens. Nur einen Steinwurf entfernt liegt zudem die Flugwerft Schleißheim, das Luft- und Raumfahrtzentrum des Deutschen Museums.

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Quelle:
SZ vom 20.04.2019
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