Paul Klee in Oberschleißheim:Der Kunstmaler als Flugzeug-Anstreicher

Paul Klee

Besonders viel Freude hat die Arbeit in der Schleißheimer Flugwerft Paul Klee nicht bereitet.

(Foto: SZ Photo)

Vor 100 Jahren leistet Paul Klee bei der Flieger-Ersatzabteilung in Schleißheim seinen Militärdienst. Am Ort wird das Jubiläum mit verschiedenen Aktionen und einer Ausstellung gewürdigt.

Von Klaus Bachhuber, Oberschleißheim

Der große Krieg, der 1914 in Europa begann, wurde von vielen Künstlern als epochales geistiges Ereignis wahrgenommen: als Manifest einer tiefen Umbruchphase europäischer Kultur, wie sie von etlichen Malern und Literaten ersehnt worden war.

Franz Marc gehörte zu diesen, der Mitgründer der Gruppe "Blauer Reiter" fiel 1915 im Felde, August Macke ebenso, er bereits im Herbst 1914. Kandinsky musste als russischer Staatsbürger Deutschland verlassen. Etwas weniger dramatisch gestaltete sich der Weltenbrand für Paul Klee, der nie an die Front musste.

Eingezogen wurde der in der Schweiz geborene Sohn eines Deutschen mit Verzögerung allerdings auch, und nach der Grundausbildung trat er 1916 einen mehrmonatigen Kriegsdienst auf dem Militärflugplatz Schleißheim an. Er bemalte dort Flugzeuge. Dass der Maler vor hundert Jahren mehrere Monate in Schleißheim verbrachte, hat Spuren hinterlassen und am Ort selbst pflegt man sein kulturelles Erbe: im Dezember wird es eine neue Klee-Ausstellung mit dem Titel "Kunstflug" geben. Diesen Samstag, 15. Oktober, lädt der Kulturverein "Freunde von Schleißheim" zu einem Lichtbildervortrag über Klee in die Flugwerft des Deutschen Museums ein. Es geht dabei um seinen Aufenthalt vor 100 Jahren am Ort und um die Ausstrahlung des Malers bis in die Gegenwart.

Klee erfährt von Franz Marcs Tod und wird einberufen

Wie aber war nun Klees Einstellung zum Krieg und wie sehr hat ihn die Zeit in Schleißheim künstlerisch geprägt? In einer Reflexion in seinem Tagebuch 1915 spricht der Wahlmünchner davon, dass er "diesen Krieg in mir längst gehabt" habe, der reale Weltkrieg ihn "daher innerlich nichts" angehe. 1916, als der erhoffte schnelle Sieg in weiter Ferne lag, und die Verluste an den Fronten zur Rekrutierung weiterer Jahrgänge führten, ereilte auch den 36-jährigen Familienvater Paul Klee die Einberufung, bizarrerweise zugestellt mit der selben Postsendung, in der er vom Tod seines Freundes Marc informiert wurde. Er wird Rekrut in Landshut, schreibt spöttisch in seinen Aufzeichnungen von der "Generalkostümprobe", wenn alle in Uniform antraten. Lange bleibt er dort nicht. Eines Tages ruft ihn der Feldwebel: "Wollen's nicht fliegen? Nun damit Sie sich auskennen, wir haben Eana zu den Fliegern g'meldet. San's froh dass'S von dere windigen Infantrie wegkommen. Grüß Gott Klee, lassen sich's gut gehn!"

Wahrscheinlich auf Betreiben seiner Ehefrau Lily erhielt der angehende Prominente von August an einen geruhsamen Posten in der Etappe, am Flugplatz Schleißheim, dem Standort der Königlich Bayerischen Fliegerkompanie. "In Schleißheim angekommen, nahm uns ein greulich verlotterter Posten mit Filztschakko in Empfang", so sein erster Tagebucheintrag dort. Der Flugplatz Schleißheim war 1912 als erster Militärflugplatz des Königreichs Bayern für dessen neue "Luftschiffer- und Kraftfahrabteilung" begründet worden. In der Kriegsorganisation wurde er dann zum Standort einer Fliegerersatzabteilung, die für die Ausbildung des Personals und die Ausrüstung der Flugzeuge zuständig war.

Als Klee antrat, gab es eine Schule, in der angehende Piloten in drei Monaten für den Fronteinsatz fit gemacht wurden, und die Werftkompanie als technische Einheit, in der die Flugzeuge gewartet und repariert wurden. Erhalten ist heute von dem, was Klee damals sah, nur mehr die damalige Kommandantur als Teil des Deutschen Museums. Die Flugwerft, die mit dieser Kommandantur den historischen Kern des Museums bildet, wurde erst 1918 gebaut. Die Werfthalle, in der Klee 1916 arbeitete, stand am Westrand des Flugplatzes, wo jetzt die 1992 errichteten gläsernen Ausstellungshallen des Museums liegen.

Einquartiert war der Gefreite Klee zunächst im sogenannten Kirchenspeicher, der im Alten Schloss als Schlafstatt für Soldaten geschaffen worden war. Oberschleißheim, das zu Kriegsbeginn 1380 Einwohner hatte, wuchs durch den Zuzug wegen des Flugplatzes rasch, so dass Notbehelfe eingerichtet wurden. Klee konnte sich dennoch bald an der Dachauer Straße in ein möbliertes Zimmer einmieten. Das Haus, das westlich der Feierabendstraße gestanden haben muss, existiert heute nicht mehr. Von hier hatte er fünf Gehminuten zum Bahnhof und wenig mehr zum Flugplatz. Hier konnte Klee auch von seiner Familie aus München besucht werden.

Abenteuerliches Dasein als Fabrikarbeiter

Nachdem er in der Werftkompagnie als 'Kunstmaler' registriert worden sei, habe ihm der Verwaltungschef gesagt, "wir würden jetzt gerade eine Arbeit bekommen, an der wir unsere Kunst erproben könnten". Nach dem ersten Diensttag in Schleißheim schrieb er an seine Frau: "Ich streiche Staffeleien mit Lack an. Gefährlich ist das ja nicht. Aber plötzlich Fabrikarbeiter zu sein, wie abenteuerlich!" In einem Brief an seinen Freund Alfred Kubin im September schrieb er: "Ich streiche Aeroplane samt Zubehör an." Und im Oktober hielt er im Tagebuch fest: "Zwei Wandtafelgestelle lasiert. An Aeroplanen die Nummern ausgebessert, neue vorn hinschabloniert". Aufgabe der Werftkompanie war es, Reparaturen und Korrekturen an eingesetzten Flugzeugen vorzunehmen oder Erkennungszeichen und Seriennummern mit Schablonen aufzutragen, deren Systematik sich während des Krieges mehrfach änderte.

Wohlgefühlt hat sich Klee in der Werft nicht. 1919 skizzierte er die Zeit in Schleißheim rückblickend: "Ende August Fliegerersatzabteilung als Handwerker versetzt. Zuerst Fabrikarbeiter an der Werft (Anstreicher). Die 'Kollegen' an der Werft schätzen mich nicht." Mehrmals erwähnte er in seinen Aufzeichnungen einen "sächselnden Herrn Werkmeister", ein Vorgesetzter, mit dem er wohl in gegenseitiger Abneigung verbunden war. An Kubin schrieb er Anfang 1917 über die Werftkompanie: "Dort ist so eine Art Hölle eingerichtet, man arbeitet aber mehr mit Intrigue als mit scharfer Munition."

Die höheren Ränge aber protegierten ihn offenbar weiter. Von November an erhielt Klee drei Aufträge, reparierte Flugzeuge per Bahntransport an die Front zu begleiten, mit denen er die Werft wochenlang verlassen konnte. Ende des Jahres wurde er als Teil der ersten Besetzung an die neu aufgebaute Fliegerschule in Gersthofen bei Augsburg versetzt. Diesen Marschbefehl erklärte er mit "meinem schlechten Verhältnis zur Werft". Grundsätzlich ziehe er aber gerne um: "Ein Abenteuer mehr, damit der Krieg nicht zu fad wird."

Schleißheim findet kaum Niederschlag in Klees Kunst

Die Zeit in Schleißheim ist im Werk des heute weltbekannten Künstlers schwer fassbar. 1915 hatte er 255 Werke geschaffen, 1916 mit den fünf Monaten in Schleißheim gerade 81, 1917 schon wieder 162, 1918 dann 211 und 1919 wieder 265. Die einzigartigen Motive im Schlossensemble und der umgebenden Moos- und Heidelandschaft, für die Generationen von Künstlern von weither kamen, hat Klee in seiner Militärzeit kein einziges Mal gemalt oder gezeichnet. Die Federzeichnung der Schlossfassade datiert von einem Sonntagsausflug aus München 1910. Ganze zwei Bilder gibt es aus den Kriegsjahren, die Schleißheimer Motive erahnen lassen. So hat Klee in der Bleistiftzeichnung "Das Glöckchen" wohl den Uhrturm des Alten Schlosses zu Papier gebracht, und "Ein Schiff will aus dem Kanal" könnte den Blick aus Klees Zimmer an der Dachauer Straße über den Dachauer Kanal auf die damals neu erbaute Veterinäranstalt abbilden, die Urzelle des heutigen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit mit ihrem Türmchen. Dazu hat er Flugplatzutensilien wie eine Drachenwinde im Bild "Drachenwagen am Flugplatz" oder "Ballon, Windmesser, Fahne, Gestirne" in seiner Bildsprache festgehalten.

In Schleißheim gemalt hat Klee aber zweifellos. In einem Brief schrieb er von "circa 40 neuen Arbeiten, welche zeitlich in Schleißheim entstanden". Nachweisbar ist die Überarbeitung der 1915 entstanden Lithographie "Zerstörung und Hoffnung", die er nach der Farbgebung im Oktober 1916 als eigenständiges Werk publizierte. Interpretierbar sind im Werk Klees tiefe Anregungen und Motive aus seiner Militärzeit allgemein und den Schleißheimer Wochen speziell. Das Fliegen ist im Werk wie in seiner Gedankenwelt ein zentrales Motiv. So waren Abstürze an der Tagesordnung, auch mit tödlichem Ausgang. Am 10. November notierte Klee, er habe "den kaputten Aeroplan aufräumen helfen, auf dem zwei Flieger vorgestern ihr Leben ließen". Bilder wie "Vogel-Flugzeuge" von 1918 oder "Fliegersturz" von 1920 setzen diese Erlebnisse, wenn auch mit Zeitverzögerung, unverkennbar um.

Bei den vielfältigen Zeichen und schablonenhaften Symbolen in Klees abstrakten Werken lässt sich spekulieren, was daran von seinen Wahrnehmungen beim "Hinschablonieren" an die Aeroplane herzuleiten ist. Das Deutsche Museum hat Bilder aus diesem Themenkreis in einer Sonderausstellung 1997 unter dem Titel "Und ich flog. Paul Klee in Schleißheim" zusammengestellt. Er sei durch Krieg und Militärdienst "immer tiefer in eine Welt jenseits der Realität eingedrungen", schrieb Kuratorin Margareta Benz-Zauner dazu. Geflogen ist Klee aber nie, sein künstlerischer Durchbruch wird auf 1918 taxiert. In Oberschleißheim haben das Deutsche Museum, der Tourismusverein und die "Freunde von Schleißheim" den Jahrestag seines Militärdienstes aufgegriffen. Von Dezember an wird eine mehrmonatige Mitmach-Ausstellung über Paul Klees Werk in der Flugwerft präsentiert. Und dazu gibt es eine Aktion der Therese-Giehse-Realschule Unterschleißheim mit "Tourismus dahoam", bei der Schüler in der historischen Flugwerft einen Raum gestalten, der zur Erinnerung an den Militärdienst 1916 als Paul-Klee-Raum genutzt werden soll.

Der Lichtbildervortrag über Paul Klee in der Flugwerft des Deutschen Museums in Oberschleißheim ist diesen Samstag, 15. Oktober, Beginn 14 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: