Oberschleißheim:Da lag was in der Luft

Hoben die Brüder Wright 1903 zum ersten Motorflug ab - oder war ein Deutscher früher dran? Ein Symposium in der Flugwerft hinterfragt ein zentrales historisches Ereignis

Von Klaus Bachhuber, Oberschleißheim

Was geschah im Frühjahr und Sommer 1901 an der Pine Street in Bridgeport im US-Bundesstaat Connecticut? Diese jahrzehntelang überhaupt nicht existente Frage elektrisiert die fliegerische Fachwelt mittlerweile so sehr, dass der bayerische Innenminister und das Deutsche Museum ein ganztägiges Symposium anberaumten, zu dem die historische Flugwerft in Oberschleißheim mit rund 400 Interessenten ausgebucht war. Auch wenn die so gestellte Frage außerhalb des Zirkels von Flugexperten niemandem den Schlaf rauben dürfte - in der Antwort liegt doch einige Brisanz. Je nachdem müsste die Fluggeschichte in einem zentralen Punkt neu geschrieben werden, den nun wiederum wirklich jedes Kind kennt.

Der kontrollierte Erstflug mit einem motorbetriebenen Flugzeug gelang den Brüdern Wilbur und Orville Wright im Jahr 1903. Doch dieser Meilenstein der Technikhistorie steht in Frage. Denn bereits 1901 soll der fränkische Auswanderer Gustav Weißkopf mit einem selbst konstruierten Motorflieger an der Pine Street einige Meter durch die Luft geflogen sein. Über Jahre war Weißkopfs Anspruch der Fachwelt kaum bekannt. Nach einer ersten wissenschaftlichen Diskussion wurden die Belege von Weißkopfs angeblicher Pioniertat, Zeugenaussagen und Zeitungsberichte, dann als zu wenig stichhaltig abgetan.

Auch das Deutsche Museum als zentrale Instanz der deutschen Technikgeschichte schreibt weiter den Brüdern Wright den Erstflug zu, Weißkopfs Geschichte wird dort als wissenschaftlich nicht belegbar eingeordnet. Angeführt von dem australischen Piloten und Publizisten John Brown hat sich jedoch eine immer stärkere Bewegung entwickelt, die Weißkopfs Erstflug durch die Zeugenaussagen durchaus als belegt ansieht. Auf dem Symposium in der Flugwerft hat er nun akribisch seine Auseinandersetzung mit den Berichten und Bekenntnissen dargelegt, von denen er mindestens 17 Zeugenaussagen als absolut plausibel anerkennen will.

Da sich das Deutsche Museum "nicht als Forschungsbürokratie" versteht, wie der Bereichsleiter Forschung, Helmuth Trischler, zur Einführung sagte, habe sich das Haus mit der neuen These auseinandergesetzt. Im fränkischen Leutershausen, wo der später nach Südamerika und dann in die USA ausgewanderte Weißkopf aufgewachsen war, soll ein Weißkopf-Museum entstehen. Doch welche Geschichte soll diese Erinnerungsstätte vermitteln? So wollte auch das Innenministerium zur Klärung beitragen, und Minister Joachim Herrmann eröffnete selbst in Oberschleißheim den wissenschaftlichen Austausch.

Peter Hanickel aus der Werkstatt der Flugwerft, der zuletzt auch den "Otto", den ersten 1912 in Schleißheim geflogenen Doppeldecker, rekonstruierte, hat sich ausgiebig mit Weißkopfs Flugapparat Nr. 21 befasst und dabei erhebliche Probleme mit Festigkeit, Antrieb, Startmethode und Steuerung festgestellt. "Die technischen Informationen aus den zur Verfügung stehenden Quellen sind mit einer Flugfähigkeit des Flugapparates Nr. 21 nicht in Einklang zu bringen", bilanzierte er unumwunden.

Der Tag von Schleißheim jedenfalls wird die Fluggeschichte nicht auf den Kopf stellen. "Meine Zweifel an der Weißkopf-Hypothese sind mit diesem Tag sogar noch gewachsen", bilanzierte der Präsident des Luftfahrt-Presseclubs, Peter Pletschacher, in der abschließenden Debatten-Runde. Und selbst wenn Weißkopf wirklich geflogen sei, müsse die Geschichte nicht umgeschrieben werden, trieb der anerkannte Experte seine Synthese noch weiter: "Er ist dann geflogen - aber er hat nichts bewegt." Die weitere Entwicklung des Motorflugs in Gang gebracht hätten in jedem Fall die Wrights.

So empfahl auch Ferdinand Kramer vom Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte an der Uni München dem künftigen Leutershausener Museum, Weißkopf, der sich in den USA dann Gustave Whitehead nannte, als "einen aus der ersten Generation" zu würdigen. Illustrieren ließe sich an ihm, wie fruchtbar Innovationsprozesse ablaufen könnten, die nicht wie heute propagiert in Clustern zentralisiert würden, sondern wie im Fall von Whitehead, Wright und vielen anderen Pionieren jener Tage völlig ohne Kenntnis voneinander. "Das Fliegen lag damals einfach in der Luft", sagte Pletschacher. Der Ort der Debatte selbst illustrierte diese Sicht der Zeit: der Flugplatz Schleißheim wurde vom bayerischen König 1912 angelegt, nur neun Jahre nach dem Flug der Wrights - oder elf nach dem Weißkopfs.

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