SZ-Serie: Bier von hier, Folge 9:Brauen wie der bayerische Herzog

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Bier hergestellt wurde in Oberschleißheim schon vor mehr als 400 Jahren. Doch erst vor einem Jahr setzte eine Gruppe um Schlossgärtner Alexander Bauer aus einer Bierlaune heraus den ersten Sud für das neue Remonte Bräu an.

Von Christina Hertel, Oberschleißheim

Drei Stufen, eine Holztür, dahinter alte Karren, alte Balken, altes Viehgeschirr, Spinnweben, Dunkelheit. In dem Gebäude mit der Nummer 22 auf dem Schlossgelände in Oberschleißheim befand sich früher eine Brauerei, dann ein Lager für landwirtschaftliche Geräte, heute ist es einsturzgefährdet und mehr als den Kopf durch die Türe stecken und kurz hineinspitzen, geht nicht. Alexander Bauer, der Schlossgärtner, hat einen Schlüssel dazu und einem Traum: Eines Tages würde er dort gerne wieder Bier brauen lassen - so wie vor mehr als hundert Jahren, als bei dem Schloss Züge hielten, um Hopfen und Gerste zu bringen und ein Bier abzuholen, das damals weit über die Gemeindegrenzen hinweg bekannt war.

Dass in dem verfallenen Gebäude tatsächlich einmal Sudkessel und Abfüllanlagen stehen könnten, sei freilich unrealistisch, sagt Bauer. Dennoch hat sich sein Traum bereits zu einem Teil erfüllt: Seit gut einem Jahr hat Oberschleißheim wieder ein Bier. Remonte Bräu heißt es, ist bernsteinfarben und hat eine leichte Hopfennote, angelehnt an das historische Rezept.

Das Bier wird zwar nicht mehr im Landkreis München, sondern in Forsting im Kreis Rosenheim gebraut, komme aber gut an. In den Oberschleißheimer Getränkemärkten werde nur Augustiner besser verkauft, sagt der Oberschleißheimer Bürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der Remonte-Brauereigenossenschaft, Christian Kuchlbauer (FW).

Eine eigene Brauerei auf dem Schlossgelände

Die Geschichte des Oberschleißheimer Biers beginnt vor 421 Jahren. Damals lässt Herzog Wilhelm V. auf dem Schlossgelände in einer Schwaige eine Brauerei errichten. Etwa zehn Jahre zuvor hatte der bayerische Herzog, der den Beinamen "der Fromme" trug, das Münchner Hofbräuhaus gegründet - weil ihm, so sagt man, das bayerische Bier nicht gut genug war und das Bier, das er sonst aus Niedersachsen importierte, zu teuer wurde. Je nach dem, wer Bayern gerade reagierte, hieß die Oberschleißheimer Brauerei herzoglich, kurfürstlich oder königlich. Von 1840 an lautete der volle Name "Königliche Remonte Depot Brauerei", weil das Militär so genannte Remonte-, also Ersatzpferde auf dem Gutshof bei dem Schloss ausbildete.

Das Remonte Urhell wird als bernsteinfarben mit einer natürlichen Trübung beschrieben (Foto: N/A)

Das Bier aus Schleißheim sei damals sogar in München gern getrunken worden, sagt Schlossgärtner und Remonte-Pressebeauftragter Alexander Bauer. "Bis 1912 Hacker die Brauerei kaufte, nur um die Gastronomien zu übernehmen, wo die Wirte bis zu dem Zeitpunkt das Schleißheimer Bier ausschenkten." Denn gleich nach dem Kauf stellte Hacker das Brauen in Schleißheim ein.

Mehr als hundert Jahre später ging nachts auf einem Sonnwendfeuer in Oberschleißheim das Bier aus. Wie wäre es? Was wäre? Könnte man nicht? So habe man damals an dem Biertisch geredet, erzählt Sandra Kunstwadl, eine Hotelmanagerin aus Oberschleißheim, die zum Vorstand der Brauereigenossenschaft gehört. Doch als sie am nächsten Morgen ihr Handy anschaltete, sei ihr klar geworden, dass das eben nicht nur lustige Stammtischgespräche waren: "Wir brauen uns was", hieß eine neue Whatsapp-Gruppe.

Mit der Zeit fanden sich immer mehr Menschen, die bei der Gründung einer Oberschleißheimer Braugenossenschaft mitmachen wollten: Steuerberater, Banker, Informatiker, Manager, der Bürgermeister. Nur einer fehlte: ein Brauer. Zu dieser Zeit schrieb Florian Trost gerade an einer Masterarbeit. Er studierte Brauereiwesen in Freising, wohnte in Oberschleißheim und hatte, bis ihn der spätere Vorstand fragte, ob er sich nicht das Bier ausdenken wolle, viel über chemische Prozesse gelernt, aber noch nie alleine gebraut.

Ein Rezept gibt es nicht mehr

Einig waren sich alle schnell, dass das neue Oberschleißheimer Bier zumindest an das alte angelehnt sein sollte. Doch ein Rezept von dem königlichen Remonte-Bier gab es nicht mehr. Nur noch alte Bestelllisten, einen alten Zeitungsartikel und all das Wissen, was Trost über historische Biersorten in seinen Vorlesungen an der Uni gelernt hatte. Um auf das Rezept zu kommen, zeigte Trost den 23 Gründungsmitgliedern der Brauereigenossenschaft Farbskalen auf seinem Handy - so ähnlich wie im Baumarkt, wenn man das Wohnzimmer neu streichen möchte.

Sie einigten sich auf 18 bis 24 EBC, der European Brewery Convention, der Einheit, die die Farbstärke von Bier beschreibt. Bei zirka vier liegt ein Helles, bei 80 Schwarzbier. Das Oberschleißheimer Bier sollte etwas dazwischen sein. Der Herzog ließ früher auf dem Schlossgelände Braunbier herstellen, doch weil das heute höchstens ältere Herren in Franken trinken, taucht dieser Name nirgends auf. Die Oberschleißheimer nennen ihr Bier "Urhell", beschreiben es als "bernsteinfarben mit einer natürlichen Trübung" und einer "mild dezenten Hopfennote". Um die zu erreichen gibt Trost am Ende des Brauvorgangs etwas Hopfen in den Kessel. "So wie wenn man beim Kochen ganz zum Schluss noch ein paar Kräuter reinmischt", sagt er.

Ein Wochenende lang habe er das Verhältnis von Hopfen, Malz und Wasser am Computer errechnet, bevor er den ersten Sud von 5000 Litern in Forsting brauen ließ. Angst, dass er am Ende alles in den Abfluss kippen muss, habe er nicht gehabt. Denn: "Bier schmeckt eigentlich immer." Und dieses Mal schmeckte es so gut, dass Trost sein Rezept nie anpassen musste. Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass Trost den ersten Sud Remonte-Bräu aufsetzte. Seitdem hat die Genossenschaft, die bis heute bloß aus Ehrenamtlichen besteht, 100 000 Liter brauen lassen.

521 Mitglieder in der Genossenschaft

Trost lebt mittlerweile in Frankfurt, dort arbeitet er bei einem Mineralwasserhersteller. Nach Oberschleißheim kommt er an den Wochenenden, beim Brauen ist er nur noch selten dabei. Doch das sei gar nicht notwendig. Brauereien bestünden heutzutage hauptsächlich aus Edelstahlwänden und Computern, von der Vorstellung, dass dickbäuchige Männer wie Miraculix in großen Kesseln herumrühren, müsse man sich verabschieden.

Inzwischen gibt es das Oberschleißheimer Bier in elf Läden und Getränkemärkten und in zwölf Lokalen in Ober- und Unterschleißheim sowie Feldmoching, so steht es auf der Internetseite der Brauerei. Sandra Kunstwadl aus dem Vorstand sagt, sie sei stolz auf das, was ihre Genossenschaft geschafft habe, vor allem, dass so viele Menschen ein Teil davon sein wollen: 521 Mitglieder hat die Genossenschaft heute. "Manche", sagt Kunstwadl, "verschenken einen Anteil gleich zur Geburt."

© SZ vom 05.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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