Oberschleißheim:Alarmierende Zahlen aus dem Rathaus

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Fachleute haben bei einer Podiumsdiskussion in Oberschleißheim über die Altersarmut im Ort gesprochen. (Foto: Catherina Hess)

In Oberschleißheim steigt die Altersarmut. Viele Betroffene schweigen - auch aus Scham.

Von Klaus Bachhuber, Oberschleißheim

Armut ist relativ. Statistisch arm ist jener Oberschleißheimer Rentner sicher nicht, weil er mit seinen 68 Jahren noch auf 400-Euro-Basis jobbt und so die Rente aufstockt - aber kann das nach einem zehrenden Arbeitsleben überhaupt das Ziel sein? Wie verbreitet Altersarmut im Sinne bundesweiter Standards in Oberschleißheim tatsächlich ist oder wie diese Armut in einer der wohlhabendsten Regionen der Welt im globalen Vergleich zu definieren wäre, darüber mögen sich Statistiker auslassen; gefühlte Altersarmut ist in jedem Fall auch in Oberschleißheim kein Randphänomen - und sie schlägt den Betroffenen mindestens genauso auf die Seele.

Der Kranken- und Altenpflegeverein hat in seiner bemerkenswerten Gesprächsreihe "Alt sein in Oberschleißheim" nun auch dieses heikle Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Und das vielfältig besetzte Diskussionspodium am Mittwoch vor rund 150 Senioren im Pfarrheim Maria Patrona Bavariae machte unisono klar, dass eben dies das größte Problem an der Materie darstellt: dass sie so heikel ist. Denn objektiv müsste niemand in Oberschleißheim massive Not leiden. Ein "ganz dichtes soziales Netzwerk" ist vorhanden, wie nicht nur Bürgermeister Christian Kuchlbauer (Freie Wähler) bilanzierte: von einer aktiven Nachbarschaftshilfe über rührige Altenarbeit der Kirchen und vieler anderer Institutionen bis hin zum "Oberschleißheimer Tisch" oder eben dem Kranken- und Altenpflegeverein. Und wo es einmal ganz eng wird, da springt der Verein "Oberschleißheim hilft Oberschleißheimern" schnell und unbürokratisch ein. Dennoch sei eines festzustellen, so Kuchlbauer: Es herrsche eine immense Hemmschwelle bei Menschen, ins Sozialamt im Rathaus zu gehen, um überprüfen zu lassen, ob Unterstützungsangebote nicht ausgeschöpft seien. Von regelrechter "Scham" sprach der Bürgermeister. Gabriele Stark-Angermeier von der Caritas berichtete von Befragungen älterer Menschen auch in Oberschleißheim, bei der sich kein einziger selbst als arm bezeichnete.

Die Zahlen aber sehen anders aus. Die Armutsquote nach amtlicher Definition liegt bei Rentnern bei 15 Prozent, schilderte Georg Kalmer, Vorsitzender des Kranken- und Altenpflegevereins. Seit 2006 ist sie viermal so stark angestiegen wie in anderen Altersgruppen. "Bedrohlich" nannte er diese Zahlen; vom Sozialamt der Gemeinde wurden sie eindeutig bestätigt. Eine relevante Altersarmut sei in Oberschleißheim "durchaus gegeben", sagte die Sachgebietsleiterin Britta Janßens, allein die Zahl der Grundsicherungsansprüche steige rapide. Dazu gebe es viele um die 70, die sich mit einer Zusatzbeschäftigung über Wasser hielten, "und viele bescheiden sich, um nicht ins Sozialamt kommen zu müssen". Christine Fichtl-Scholl, als Versorgungsassistentin einer Oberschleißheimer Hausarztpraxis bei Hausbesuchen unterwegs, schilderte drastisch, dass Senioren in Not "oft den eigenen Kindern nicht sagen: Mir reicht's nicht". Um diese Leute dazu zu bringen, die ihnen zustehenden Hilfen aufzusuchen, müsse man "hochsensibel" vorgehen.

Pfarrerin Martina Buck nannte es eine Aufgabe für jeden, "ins Gespräch zu kommen und Barrieren abzubauen". Denn Armut "macht auch was mit der Psyche des Menschen", schilderte sie: "Armut greift die Würde an und das ist nicht mit Geld aufzuwiegen."

© SZ vom 27.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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