Süddeutsche Zeitung

Oberhaching:Kritik nach SEK-Einsatz in Flüchtlingsunterkunft

Lesezeit: 2 min

Von Christina Hertel, Oberhaching

Der Terrorverdacht, der den SEK-Einsatz auslöste, erwies sich als unbegründet: Mehrere Dutzend Polizisten stürmten am Montag vor einer Woche kurz nach Mitternacht eine Flüchtlingsunterkunft in Oberhaching. Die Asylhelferin Gabriele Göttler kritisiert das Vorgehen der Polizei als unverhältnismäßig. Flüchtlinge seien zu Boden gedrückt und gefesselt worden, sie hätten Todesangst gehabt, sagt die 61-Jährige.

Den Alarm hatte eine Oberhachingerin ausgelöst, die am Sonntag, 11. August, gegen 10.15 Uhr an der Unterkunft vorbei radelte. Laut Polizei beobachtete sie, wie sich ein 26-jähriger Pakistaner in einem Kaftan vor eine Fahne kniete und sich dabei von einer zweiten Person mit einem Mobiltelefon fotografieren ließ. Die Frau gab auch an, eine Waffe gesehen zu haben. Die Polizei holte sich zunächst Rat bei einem Islamwissenschaftler. Dieser habe Parallelen zu einem Bekennervideo aus dem islamistischen Bereich erkannt. Die Polizei stufte daher die Situation als bedrohlich ein. In so einem Fall sei es üblich, dass das Spezialeinsatzkommando den Einsatz übernehme, sagt Polizeisprecher Ralf Etzel.

Von 14.20 Uhr an plante die Polizei den Einsatz, der Zugriff erfolgte jedoch erst um 0.20 Uhr. Dass so viel Zeit verging, lag laut Etzel daran, dass die Polizei zuerst ermitteln musste, wer der Verdächtige ist und in welchem Zimmer er lebt. Außerdem sei ein richterlicher Beschluss notwendig gewesen. Das SEK kontrollierte vier Zimmer in der Unterkunft, in der 16 Menschen leben. Dabei sprengten die Beamten mehrere Türen und öffneten ein Fenster. Der pakistanische Flüchtling habe sein Handy bereitwillig zur Verfügung gestellt. Der Islamwissenschaftler stufte die Bilder darauf jedoch als unbedenklich ein. Kurz vor 5 Uhr morgens war der Einsatz in der Unterkunft beendet.

Gabriele Göttler, die mit einem afghanischen Flüchtling befreundet ist, den die Polizei ebenfalls kontrolliert hat, kritisiert das Vorgehen als zu unsensibel. Der Pakistaner sei mehrere Tage krankgeschrieben gewesen, auch der Afghane habe am nächsten Tag nicht zur Arbeit gehen können. "Viele der Flüchtlinge sind vom Krieg traumatisiert", sagt sie. "So kann man nicht mit ihnen umgehen." Durch die Fixierungen seien die Geflüchteten an den Armen verletzt worden. Weil die Türen nicht mehr benutzbar seien, würden nun Stühle vor den Fenstern stehen, damit die Flüchtlinge in ihre Wohnungen kommen, sagt Göttler. Sie will den Flüchtlingsrat und einen Anwalt einschalten - "damit so etwas nicht noch einmal passiert".

Aus einsatztaktischer Sicht habe es keine weniger drastische Möglichkeit gegeben, den Einsatz zu bewältigen, sagt Polizeisprecher Etzel. Die Polizei habe durchaus Rücksicht genommen - zum Beispiel sei der Einsatz bewusst erst nach den Gebetszeiten erfolgt.

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Quelle:
SZ vom 20.08.2019
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