Mitten in Oberhaching:Das Mikro denkt mit

Wer sich im Rathaus nicht kurz fasst, wird automatisch abgewürgt. Spinnt die Technik - oder ist sie besonders smart?

Kolumne von Iris Hilberth, Oberhaching

Dass viele Geräte heutzutage ein Eigenleben führen, ist unumstritten. Die Leute legen sich solche Helfer zu, in der irrigen Annahme, sie beherrschen zu können. Der Staubsauger, der so programmiert ist, dass er alles sauber macht, während man im Büro sitzt. Der Kühlschrank, der automatisch Milch bestellt, kurz bevor sie leer ist und vielleicht sogar die noch vorhandene Flasche um 3 Uhr nochmal extra runterkühlt, weil er sich gemerkt hat, dass der Bewohner nachts gerne Milch trinkt. Oder der Wäschetrockner, der genau weiß, was die Waschmaschine gemacht hat. Aber wissen wir, was Staubsauger und Wäschetrockner so tun, wenn wir nicht da sind? Eben. Schlauen Geräten sollte man nicht trauen.

Andererseits haben solche Dinge mit künstlicher Intelligenz den Vorteil, dass man alles Mögliche auf sie schieben kann, was irgendwie schief gelaufen ist. Ach ja, das Handy! Hat es doch automatisch all diese schicken neuen Schuhe bestellt. Und warum nur hat es zum Dachfenster reingeregnet? Muss wohl automatisch aufgegangen sein. So in etwa verhält es sich offenbar mit der Mikrofonanlage im Oberhachinger Rathaus. Kaum redet einer zu lange - schwupp ist der Ton weg. Na sowas!

Zuerst dachte man bei der Gemeinderatssitzung noch, es handele sich nur um einen kleinen technischen Defekt und betreffe nur den Bauamtsleiter, zumal das Bürgermeister-Mikro einwandfrei funktionierte. Doch egal, wer sonst noch die Stimme erhob: Sich kurz zu fassen, das war die Devise des Abends, denn lange Beiträge wurden von der Anlage einfach abgewürgt. Offenbar hat die sich an den Vorgaben der Herztagung 2019 im Berliner Maritim Hotel orientiert. In den Hinweisen des Vorsitzenden hieß es damals: "Nach Ablauf der zugewiesenen Redezeit wird der Vortrag unwiderruflich beendet, indem die Präsentation automatisch auf das Hintergrundbild der Tagung schaltet." Hat man sich sowas nicht immer schon gewünscht?

Der Unterhaching Gemeinderat hatte eine Redezeitbegrenzung tatsächlich mal angedacht, aber dann den Fehler gemacht, so lange darüber zu diskutieren, bis sie wieder vom Tisch war. Oberhaching war da smarter und hat dies einfach der künstlichen Intelligenz seiner Mikrofonanlage überlassen. Wie genau die berechnet, wem, wann das Wort abgeschnitten wird, ist schwer zu durchschauen. Der Bürgermeister will jedenfalls damit nichts zu tun haben und hat den Vollmond im Verdacht. Wer den wohl programmiert hat?

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