Süddeutsche Zeitung

SZ-Serie: Abgedreht - Filmkulissen rund um München:Freie Liebe im Kuhdorf

Die Komödie "Sommer in Orange" um eine Sannyasin-Kommune in der Provinz hat Marcus H. Rosenmüller auf einem Hof in Oberbiberg gedreht, der davor 50 Jahre lang leer stand. Heute ist er restauriert und bewohnt - und gegenüber steht der Kandlerwirt , wo der Regisseur Szenen für "Wer früher stirbt ist länger tot" gefilmt hat.

Von Annette Jäger, Oberhaching

Die besten Pointen schreibt das Leben oft selbst. Als Johanna Huber, die damals noch einen anderen Nachnamen trug, die Kinokomödie "Sommer in Orange" von Regisseur Marcus H. Rosenmüller 2011 mit einem Freund im Kino sah, gab der Drehort hinterher zu Gesprächen Anlass. Die Geschichte spielt Anfang der Achtzigerjahre auf einem Bauernhof in Talbichl, "in so einem kleinen Kuhdorf" in Bayern - Filmzitat -, in dem eine Berliner Sannyasin-Kommune ein Bhagwan-Therapiezentrum einrichten will. Johanna Huber fragte sich damals, wo man wohl so einen "Saustall" im Münchner Umland finden würde: Der Hof war im Film schlicht eine Bruchbude, umgeben von hüfthoher Wiese, Unkraut und Brennnesseln. Johanna Huber war sich sicher, dass man das Kraut extra eingepflanzt hatte, denn wo gibt's denn sonst so was.

So was gibt's in Oberbiberg, im Landkreis München, erfuhr sie ein paar Jahre später. Da lernte sie Johannes Huber kennen. Er war der Eigentümer von diesem "Saustall", und sie musste feststellen: Die Brennnesseln waren nicht extra angepflanzt. Die beiden wurden ein Paar. "Ich habe in einen Saustall eingeheiratet", sagt sie heute lachend - es ist ihre ganze persönliche Pointe. Eines muss man zur Verteidigung von Johannes Huber anmerken: Als der denkmalgeschützte Hof aus dem Jahr 1883 zum Drehort für den Rosenmüller-Film wurde, stand das Haus schon 50 Jahre leer. Huber hatte ihn 2009 als 19-Jähriger von einer entfernten Verwandten geerbt und ihn erstmal als Filmkulisse angeboten. Heute ist der Hof keineswegs mehr ein Saustall, sondern ein liebevoll restaurierter Bauernhof, in dem die Hubers mit ihren drei Kindern leben.

Dass Oberbiberg als Ortsteil von Oberhaching im Landkreis München mit seinen 384 Einwohnern zu Talbichl wurde, einer oberbayerischen Sannyasin-Oase, ist einer Zeitungsannonce geschuldet. Für einen Rosenmüller-Film wurde ein Bauernhof gesucht, wie es dort hieß. "Das wär' ja was", dachte Johannes Huber. Mit Filmdrehs haben die Oberbiberger Erfahrung, nicht umsonst wird das "Kuhdorf" von seinen Bewohnern auch Filmdorf genannt. Hier wurden schon etliche Szenen für Kinofilme und TV-Serien gedreht: "Meister Eder und sein Pumuckl" und "Forsthaus Falkenau" gehören dazu, vor allem aber Marcus H. Rosenmüllers Erfolgs-Komödie "Wer früher stirbt ist länger tot" von 2006, für die zentrale Szenen im Wirtshaus Kandler gleich gegenüber vom Huber-Hof gedreht wurden. Johannes Huber selbst hatte seinen frisch geerbten Hof damals schon als Kulisse für die Fernsehfilm-Komödie "Adel dich" vermietet, für "Sommer in Orange" kam dann Rosenmüller von Mai bis Juli 2010, mit Unterbrechungen, zurück nach Oberbiberg.

Der Hof entpuppte sich als genialer Drehort. Die vielen großen Zimmer, vor allem die Küche, die im Film mit dem großen Esstisch zu Diskussionsrunden der Sannyasin-Kommune über freie Liebe einlädt, konnten glaubwürdig vermitteln, dass hier viele Menschen wohnten, und außerdem konnte man sich mit der Kamera gut darin bewegen, wie sich Mitarbeiter der Filmproduktionsfirma Roxy Film in München erinnern. Das Bruchbuden-Image sei von der Filmcrew nochmal "verschlimmert" worden, sagt Huber. Heute ist die Küche immer noch tanzsaalgroß, aber längst keine Bruchbude mehr. Statt des Esstischs bildet eine moderne Kochinsel mit integriertem Holzofen jetzt das Zentrum. Andere Szenenorte auf dem Hof haben sich weniger verändert: Der Dachboden, auf dem die beiden Filmkinder Lili und Fabian sich ihr Reich eingerichtet haben, und die Hofeinfahrt, in dem die in Orange gekleideten Bhagwan-Jünger ihr Therapiezentrum zusammennageln, sind noch im Rohzustand. Die Filmleute haben den Eigentümern ein Denkmal gesetzt: im Film ist vom "Huber-Hof" die Rede.

Beeindruckt war Johannes Huber damals von der kleinen Filmstadt, die um sein Haus entstand: das Aufgebot an Fahrzeugen, die Wohnwagen für die Maske, die Generatoren und das eigene Catering. Viele Oberbiberger und Spaziergänger hätten die Dreharbeiten im Sommer 2010 genutzt, sich das Haus mal genauer anzuschauen, erinnert er sich. Der Hof stand jahrzehntelang leer, die Türen waren fest verschlossen. Jetzt war die Gelegenheit, der Neugier freien Lauf zu lassen. Bei dem Trubel sei gar nicht aufgefallen, dass so mancher am Filmset gar nichts mit dem Dreh zu tun hatte.

Die Oberbiberger seien eigentlich gar nicht so begeistert, in einem Filmdorf zu leben, sagt Sonja Heigl, sie ist die Nachbarin der Hubers. Jahrelang wurde "Forsthaus Falkenau" im Dorf gedreht, immer musste man leise sein, oft war die Straße gesperrt, wenn man die Kinder eilig zur S-Bahn fahren musste. "Das hat alles eher genervt." Doch dann stand "der Rosi", Regisseur Rosenmüller, mit einem Aufgebot der Filmcrew bei ihr vor der Tür und fragte, ob sie als Film-Nachbarn bei "Sommer in Orange" mitmachen wollten. Sie sagte kurzentschlossen ja, aber auch nur, "weil der Rosi so sympathisch war".

"Wir waren Teil der Filmcrew", erzählt die Nachbarin

Wenig später fuhren zwei 40-Tonner-Lkw vor, räumten das ganze Wohnzimmer aus, nahmen auch noch Küche und Esszimmer in Beschlag und gestalteten ein spießiges Achtzigerjahre-Heim: das Film-Zuhause der Bürgermeister-Familie, bei der die kleine Lili aus der Bhagwan-Kommune Zuflucht im geregelten Haushalt mit Würsteln und Kartoffelsalat zum Abendessen sucht. Bis heute haben die Filmleute einen "Riesenplatz" im Herzen von Sonja Heigl: "Wir waren Teil der Filmcrew." Die Kinder durften damals als Geburtstagsgäste in der Bhagwan-Kommune mitspielen, der ganze Abgang zum Keller ist heute noch voller Fotografien vom damaligen Dreh. Als die Filmleute fertig waren, auch die Kamasutra-Szene des Bürgermeister-Ehepaars auf dem Wohnzimmerteppich abgedreht war, wurde alles wieder zurückgebaut. "Die Farbe für die Wohnzimmerwände durfte ich aussuchen", erinnert sich Heigl.

Ihren Hof haben die Hubers noch ganz oft für Filmdrehs vermietet, auch "Sophie kocht" mit Annette Frier wurde hier gedreht und der Münchner-Tatort "Freies Land" von 2017. Seitdem die Familie selbst im Hof wohnt, seit 2018, wollen sie keine Filmleute mehr im Haus haben. Aber Außendrehs seien schon möglich, sagt Johanna Huber. Zuletzt sind Szenen für den Tatort 2020 hier entstanden. An der Wand neben der Haustür kleben noch ein paar Blutspritzer. Aber die irritieren keinen im Filmdorf. Sind ja nicht echt.

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