Süddeutsche Zeitung

Vulkanausbruch:"Das ist alles komplett weg"

Johannes Fagner ist 2018 von Oberhaching nach La Palma ausgewandert. Beim Ausbruch des Vulkans Cumbre Vieja verlor er sein Haus und all sein Hab und Gut.

Von Stefan Galler

Johannes Fagner ist beim Fischen. Er genießt die Idylle, danach kehrt er in einem kleinen Dorf an der Westküste der Kanareninsel La Palma ein. Dann bricht das Inferno los. Es beginnt ohrenbetäubend zu dröhnen. Fagner kann nicht sehen, was sich abspielt, ahnt nur, dass etwas passieren wird, etwas Außergewöhnliches. Der 51-Jährige, der vor drei Jahren aus Oberhaching nach La Palma ausgewandert ist, springt sofort in sein Auto und fährt zu seinem Haus in Todoque in der Provinz Santa Cruz, wo man den Lärm kaum mehr aushalten kann: "Es war so brutal laut, hat unglaublich gekracht, und dann sah ich schon die aufsteigende Lava-Fontäne in der Nähe", sagte er am Telefon und schildert die wohl schlimmsten Minuten seines Lebens: Die unnatürliche Dunkelheit, des Rumoren der Erde, der Krach: "Ich hatte wahnsinnige Angst."

Hektisch packt er die wichtigsten Dokumente zusammen, Pass, Bankkarte, Führerschein, und rettet seine drei erst gut acht Wochen alten Katzenbabys - das Muttertier war kurz nach deren Geburt gestorben, weil es ausgelegtes Rattengift gefressen hatte. Fagner schafft es sogar noch, den Hänger an sein Auto zu montieren, er nimmt ein Bild von der Wand und wirft ein paar Bücher über Bienen auf die Ladefläche, dann hält ihn nichts mehr.

"Wenn ich jetzt noch einmal in der Situation wäre, würde ich vermutlich anders handeln und andere Sachen mitnehmen als den Schmarrn", sagt er. Aber diese Angst, dass gleich ein Lavaregen einsetzen oder Gesteinsbrocken niedergehen würden, sei einfach zu groß gewesen. Und so sei er losgefahren und habe praktisch sein gesamtes Hab und Gut zurückgelassen: Persönliche Dinge, Kleidung, auch seine Imkerei-Ausrüstung und alle Gerätschaften, um den Honig aufzubereiten und Wachs herzustellen. Und natürlich seine Bienenvölker, zuletzt hatte Fagner damit begonnen, Königinnen zu züchten. Alles in allem seien alleine seine Utensilien zur Bienenzucht und Honigverarbeitung gut 50 000 Euro wert gewesen.

Es war der 19. September, als der Vulkan Cumbre Vieja ausbrach, und er hat seither noch immer nicht aufgehört zu toben und das Leben der Inselbewohner völlig aus den Angeln zu heben. Mittlerweile haben rund 7000 Palmeiros ihre Häuser verlassen müssen, mehr als 1800 Gebäude wurden zerstört, so gut wie jede Familie ist direkt oder indirekt von der Katastrophe betroffen. Die mehr als 1000 Grad heiße Lava hat eine Fläche von 680 Hektar in Mitleidenschaft gezogen, das entspricht etwa 950 Fußballfeldern.

Als Johannes Fagner am Tag nach dem Ausbruch von einem Nachbarn ein Foto geschickt bekommt, wird klar, wie dramatisch die Auswirkungen sind: "Schon da war die Lava an der Stelle, wo mein Haus stand, sieben Meter hoch, die Polizei hatte alles abgesperrt." Mittlerweile hat sich die heiße Gesteinsmasse an dieser Stelle über 20 Meter hoch aufgebaut. "Da ist alles komplett weg, der Zement wird so heiß, dass alles, was im Haus ist, egal ob Holz oder Plastik, einfach verbrennt."

Schwere Erkrankung zwingt zur Frührente

Für Fagner sind die Konsequenzen des Unglücks fatal: Sein Haus hatte keinen Versicherungsschutz, weil die Sekretärin des Maklers, von dem er das Gebäude 2018 erworben hatte, es wohl aus Krankheitsgründen verschwitzt hatte, eine entsprechende Police abzuschließen. Damit hat er nicht nur seine Bleibe verloren, sondern sitzt auch auf 25 000 Euro Schulden, die er noch nicht abbezahlt hatte.

Der gelernte Bootsbauer hatte einst in der Bootswerft Rambeck in Starnberg gearbeitet und ließ sich später zum Systemtechniker bei Siemens umschulen. Wegen einer schweren chronischen Erkrankung musste er, der bärenstarke Naturbursche, der auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, zwölf Mal per Fahrrad die Alpen überquert und geschätzte hundert mal den Starnberger See durchschwommen hatte, seine berufliche Laufbahn beenden.

Der gebürtige Wolfratshauser baute in Oberhaching eine Imkerei auf, bekam dafür von seinem Freund und Nachbarn, dem Getränkehändler Klaus Trimmel, eine tausend Quadratmeter große Brachfläche zur Verfügung gestellt und säte eine Blumenwiese an. Bis zu 50 Kilogramm Honig erwirtschaftete Fagner, den er bei den Wochenmärkten in Unterhaching und Ottobrunn verkaufte. 2018 wagte er den großen Schritt auf die Kanareninsel, weil das milde Klima dort seine Krankheit erträglicher machte: "Ich bin mit meinem gesamten Equipment für die Imkerei hierher gekommen, habe mir das kleine Häuschen gekauft und mir hier wieder ein Leben aufgebaut."

Keine Rückkehr nach Deutschland

Das liegt nun in Trümmern, ausgerechnet ihm, dem Naturschutz und Nachhaltigkeit so wichtig sind, spielt die Natur einen so bitterbösen Streich. Dass er in einer gefährdeten Gegend lebte, sei ihm schon klar gewesen, dennoch habe niemand ahnen können, dass so etwas passiert: "Die letzten Ausbrüche waren vor 50 und vor über 70 Jahren, und beide fanden im Süden bei San Antonio statt", sagt er.

Nachdem sein Haus zerstört wurde, kam Fagner erst einmal in der Wohnung eines Freundes im etwa zehn Kilometer entfernten Tazacorte unter, mittlerweile nutzt er das Ferienhaus eines anderen Bekannten in El Paso, das weiter im Landesinneren liegt. Bis Dezember kann er dort bleiben, weshalb er nun darauf hofft, eine möglichst günstige Mietwohnung zu finden. Was sich als nicht leicht erweisen dürfte. Schließlich gibt es auf La Palma nach dem Vulkanausbruch Tausende Obdachlose. Und der 51-Jährige bekommt nur eine schmale Rente, von der er nun seine Schulden tilgen, sich einen neuen Hausstand und eine Imker-Ausrüstung anschaffen muss. Eine Rückkehr nach Deutschland komme schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht infrage. "Hier ist das Leben deutlich günstiger als daheim", erklärt Fagner.

Die letzten Wochen hätten ihn an die Belastungsgrenze gebracht, vor allem psychisch: "Ich bin normalerweise ein großer Kämpfer, aber aus dieser Situation komme ich mit meinen gesundheitlichen Einschränkungen alleine nicht mehr heraus", sagt er. Deshalb hat er eine Kampagne bei www.gofundme.com gestartet und hofft, dass sich alte Kunden und Weggefährten aus der Heimat an ihn erinnern und ihn mit ein paar Euro unterstützen.

Diesen Montag ist nun auch noch eines seiner drei kleinen Kätzchen an einer Infektion gestorben, die beiden anderen sind beim Tierarzt in Behandlung. "Ein Unglück kommt eben nie allein", sagt Fagner.

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SZ vom 20.10.2021/vewo
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