Oberhaching:Historische Fundgrube

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Bei der Sanierung der Münchner Straße gibt der Boden zahlreiche Zeugnisse aus früheren Jahrhunderten frei. Römer, Karolinger und Bajuwaren haben ihre Spuren hinterlassen

Von Michael Morosow, Oberhaching

Es muss vor etwa 1700 Jahren gewesen sein, als vermutlich ein römischer Staatsbürger hier lange verzweifelt in seinen Taschen gegraben und schließlich aufgegeben hat. Die Münze ließ sich nicht mehr finden. Ein paar Amphoren Wein hätte er wohl bekommen dafür. Das römische Reich ist schon lange untergegangen, als die Münze wieder auftauchte. Vor wenigen Monaten war es, da das Bronzestück erstmals wieder in der Sonne blitzte. Gefunden von Archäologen der Grabungsfirma Reve aus Bamberg, die im Auftrag des Bayerischen Denkmalamtes die Sanierung der Münchner Straße in Oberhaching begleiten.

Scherben aus der Karolingerzeit. (Foto: privat)

Für Autofahrer mögen die Straßenarbeiten lästig und nervig sein, für Archäologen wie Grabungsleiter Michael Jandejsek sind sie eine Eintrittskarte zu einer historischen Fundgrube. Reiche Beute haben er und seine Leute insbesondere im ersten Bauabschnitt von der Tankstelle bis zur Kreuzung Kirchplatz gemacht, der inzwischen abgeschlossen ist. Die Funde stammen dabei aus ganz unterschiedlichen Epochen, aus der Spätantike, der Völkerwanderungszeit im fünften und sechsten Jahrhundert sowie aus der Karolinerzeit (achtes, neuntes Jahrhundert). Sie stehen für eine kontinuierliche Besiedelungsgeschichte auf beiden Seiten des Hachinger Bachs, die freilich bereits weit vor unserer Zeitrechnung begonnen hat, wie Reste einer steinzeitlichen Siedlung am Kyberg oder auch zahlreiche Keltenschanzen auf Oberhachinger Flur belegen.

Über mehrere Jahrhunderte unter der Erde, nun entdeckt und freigelegt: Der Hauseingang eines frühmittelalterlichen Fachwerkhauses. (Foto: privat)

Auch die Römerstraße von Salzburg nach Augsburg (Via Julia) querte das Gleißental an dieser Stelle. Hier an der Aufweitung des Gleißentals auf der Münchner Schotterebene fanden die Menschen immer schon ideale Lebensbedingungen vor: Fließend Wasser vom Hachinger Bach, wildreiche Wälder drumherum sowie einen festen, trockenen, nährstoffreichen und vor allem überschwemmungssicheren Boden, so dass kein Hochwasser die Totenruhe auf den Friedhöfen stören konnte. In den Fünfzigerjahren war in einem Bereich vor der heutigen Tankstelle an der Münchner Straße ein frühmittelalterliches Gräberfeld entdeckt worden, in den Siebzigerjahren ein zweites im oberen Bereich der Holzstraße. Archäologe Jandejsek vermutet, dass die Toten aus beiden Gräberfeldern aus ein und derselben Siedlung aus der Karolingerzeit stammen. Und wie für Dorothee Ott vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege ist es auch für ihn denkbar, dass hier einst eine Furt durch den Hachinger Bach gegeben hat, zumal der Name des Ortsteils bis heute "Furth" laute.

Eine circa 306 nach Christus geprägte Römermünze. (Foto: privat)

Fund für Fund tragen die Archäologen nun zu einem Gesamtbild der menschlichen Besiedelung des Hachinger Tals vor allem während der Karolingerzeit zusammen. Ein großes Puzzlestück fanden sie nun aktuell an der Münchner Straße im Bereich einer Baugrube für die Straßenentwässerung auf Höhe der Hausnummer 22: Die Arbeiter legten einen dreiviertel Meter unterhalb des heutigen Straßenniveaus den Hauseingang eines frühmittelalterlichen Fachwerkhauses frei. Deutlich zu sehen sind dunkle Stellen im Kiesboden, verbliebene Rest von Schwellbalken und drei Pfostengruben der einst aufgehenden Holzkonstruktion des Gebäudes. Das Spannende an diesem Fund: Das Haus und die Gräberfelder stehen offenbar in Bezug zueinander, Archäologe Jandejsek sieht einen Beleg dafür an der Ausrichtung der Gebeine. "Würden die Toten aufstehen, würden sie direkt auf dieses Haus schauen", sagt der Bauleiter. Er vermutet, dass sich die Siedlung im Laufe der Jahrhunderte nach und nach in südwestliche Richtung verlagert hat, hin zur Kirche Sankt Stephan, die im Frühmittelalter ein bedeutendes Seelsorgezentrum im Hachinger Tal war.

Nur eine Hausnummer weiter, an der Münchner Straße 24, legten die Mitarbeiter der Bamberger Grabungsfirma die Reste eines so genannten Grubenhauses frei und fanden außerdem Keramikscherben, vorwiegend aus dem achten und neunten Jahrhundert, sowie eine Knochennadel aus dieser Zeit, woraus die Archäologen die Vermutung ableiten, hier am Hachinger Bach in Oberhaching könnten karolingische Weberwerkstätten gestanden haben. An gleicher Stelle fanden sich auch Spuren aus einer anderen Zeit: verlagerte Scherben aus dem fünften und sechsten Jahrhundert. Aus einer Epoche also, da die Bayern noch gar nicht sesshaft waren und es bis zur ersten urkundlichen Erwähnung von Haching 806 noch dauerte. Die Scherben deuten laut Jandejsek auf einen Siedlungsbeginn entlang der Münchner Straße in der ausgehenden Spätantike und der Völkerwanderungszeit hin. "Das könnten die ersten Bajuwaren gewesen sein", sagt der Grabungsleiter. Immerhin wird in Oberhaching auch der Fürstensitz aus bajuwarischer Zeit vermutet, und zwar an der Stelle des heutigen Rathauses, wo ein "Fürst" der Neuzeit das Sagen hat, Bürgermeister Stefan Schelle.

Und dann haben Michael Jandejsek und sein Grabungsteam aus einem weiteren Grubenhaus auf Höhe des Anwesens an der Münchner Straße 18 noch ein Zeugnis von einem anderen Monarchen gefunden: eine sehr gut erhaltene römische Bronzemünze, überzogen mit einem dünnen Silberfilm, einen so genannten Follis. Sie wurde um das Jahr 306 nach Christus geprägt und stellt Constantin I. dar, Patriarch von Konstantinopel und Vater von Konstantin dem Großen. "Die ist prägefrisch", schwärmt Jandejsek, der auch eine gute Nachricht für die geplagten Autofahrer hat. Die Bauarbeiten werden sich durch die Grabungen zwar um zwei Wochen verzögern, aber momentan sehe es so aus, dass die Münchner Straße Ende September fertiggestellt sei.

© SZ vom 19.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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