Verein "Fairmieten":Wie Osman Ibrahim doch noch eine Herberge fand

Lesezeit: 4 min

Nina Hartmann und ihre Mitstreiter von Fairmieten konnten Osman Ibrahim eine Wohnung vermitteln. (Foto: Alessandra Schellnegger)

2015 flüchtete Osman Ibrahim aus seiner Heimat Eritrea über das Mittelmeer, er gelangte nach Italien, dann in eine Flüchtlingsunterkunft bei München. Eine Arbeit fand er, aber keine Wohnung. Bis ihm jemand half.

Von Yannik Schuster, Oberhaching

Für Osman Ibrahim hatte die Herbergssuche vor ein paar Monaten endlich ein Ende. Unterstützt durch den Oberhachinger Verein "Fairmieten" fand er eine Einzimmerwohnung im zehnten Stock eines Wohnkomplexes im Münchner Stadtteil Sendling. Weihnachtsplätzchen, selbstgebackene Baklava und arabischen Schwarztee hat er für den Besuch vorbereitet. Wo er herkommt, ist Gastfreundschaft ein hohes Gut. In der Oberhachinger Flüchtlingsunterkunft, in der er zuvor lebte und sein Zimmer mit anderen Männern teilte, konnte er Besucher nicht richtig bewirten.

Die Herbergssuche von Maria und Josef, dieses biblische Motiv in der Weihnachtsgeschichte, könnte man als Analogie zum Münchner Wohnungsmarkt betrachten. Egal wo man es auch versucht, die Chance, eine Bleibe zu finden, ist verschwindend gering. Erst recht, wenn man zu einer sozial schwachen Bevölkerungsgruppe gehört. Zu einer solchen gehört Osman Ibrahim.

2015 flüchtete Ibrahim aus seiner Heimat Eritrea. Dort drohte ihm der Militärdienst. Anders als in anderen Staaten ist die Wehrpflicht in Eritrea nicht zeitlich befristet, Lohn gibt es nicht. Amnesty International spricht von staatlicher Zwangsarbeit. "Man ist für immer in der Armee und wird wie ein Sklave behandelt", erzählt Ibrahim. Das wollte er auf keinen Fall. Übers Mittelmeer gelangte er zunächst nach Italien, dort traf er eine andere Eritreerin. Nachdem Ibrahim ihr erzählte, er wolle zur Schule gehen, empfahl sie ihm Deutschland als Destination.

Zunächst kam er in der Flüchtlingsunterkunft in Haar unter, 2016 wurde er nach Oberhaching verlegt. Selbstständig machte er den Realschulabschluss und begann schon ein Jahr nach seiner Ankunft eine Ausbildung im Hotelfach. Das Ausbildungszertifikat hängt gerahmt an der Wand über einem Regal mit Sach- und Wörterbüchern. Da er sich seine Wohnung in der Flüchtlingsunterkunft mit drei Mitbewohnern teilen musste, gestaltete sich das Lernen schwierig. Oft wich er daher auf die Stadtbibliothek aus, um in Ruhe zu pauken. Nicht selten übernachtete er zudem in der Arbeit.

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Dann kam Fairmieten ins Spiel. Der Verein hat es sich zum Ziel gesetzt, Menschen eine Wohnung zu vermitteln, die auf dem freien Markt kaum eine Chance haben. Inspiriert von den "Münchner Freiwilligen" adaptierten die sieben Gründungsmitglieder um Grünen-Gemeinderätin und Dritte Bürgermeisterin Nina Hartmann vergangenes Jahr das Konzept für Oberhaching. Vermieter schließen dabei einen Mietvertrag mit dem Verein. Dieser vermietet das Objekt an geeignete Kandidaten weiter. Fairmieten legt dabei Miete und Kaution aus und trägt die Risiken.

Vermieter haben unterschiedliche Motive für die Zusammenarbeit mit dem Verein

Aus einer umfangreichen Mieterdatenbank werden geeignete Kandidaten ermittelt und dem jeweiligen Vermieter vorgestellt. Alleinerziehende Mütter, ältere Menschen, Geflüchtete, große Familien und allgemein Menschen in Krisen zählt der Verein zu seinen Klienten. Die Bewerbung erfordert eine Selbstauskunft, zudem führt der Verein Auswahlgespräche. Die Liste an potenziellen Mietern ist dennoch um ein Vielfaches länger als die der Vermieter. Bislang konnten fünf Mietverträge geschlossen werden, zwei weitere sind in Arbeit. "Zunächst wussten wir nicht, ob das Konzept in der Oberhachinger Region funktioniert. Es ging dann schnell los, und wir hofften auf sechs Vermietungen im ersten Jahr. Mit der Bilanz sind wir überaus zufrieden", sagt Hartmann.

Ein soziales Engagement der Vermieter wird dabei vorausgesetzt. Ein Vermieter, der nicht genannt werden möchte, etwa sagt: "Ich hätte am Markt mehr Geld bekommen können. Ich möchte aber einen Ausgleich schaffen und Wohnraum zu einem vertretbaren Preis anbieten." Der Verein sei ein sehr angenehmer Mieter, beteuert er. Eine andere Vermieterin erklärt zwar auch, dass sie sozial Schwächeren eine Chance geben wolle, der Hauptgrund für ihre Kooperation mit Fairmieten sei jedoch die Sicherheit, die der Verein verspreche. Anstatt Bewerber auf dem freien Markt nach deren Vertrauenswürdigkeit zu beurteilen, vertraue sie lieber auf das Urteil der Ehrenamtlichen von Fairmieten, zumal der Verein für Einkommensausfälle haftet. Nina Hartmann sieht darin das Erfolgsrezept: "Es gibt durchaus Vermieter, die etwas Gutes tun wollen, aber eine Sicherheit brauchen."

Finanziert wird die Arbeit von Fairmieten durch Spenden. Für die vier Ehrenamtlichen sowie einzelne Unterstützer bedeutet eine Wohnungsvermittlung allerdings viel Aufwand. Man freue sich daher über Unterstützung und über weitere interessierte Vermieter. In Osman Ibrahims Fall war der Vermieter auf der Suche nach einem Single, der selbst Geld verdient und nicht auf Hilfen des Arbeitsamtes angewiesen ist. Da Ibrahim dem Verein schon länger bekannt war, traf er sich mit Nina Hartmann und besagtem Vermieter. Mit Erfolg: Seit September wohnt der Eritreer nun in seiner ersten eigenen Wohnung in Deutschland. In Sendling ist Ibrahim nach eigener Aussage sehr glücklich, auch wenn er gerne in Oberhaching geblieben wäre: "Es ist richtig gut gelaufen." Beim Frühstück genießt er gerne die Aussicht über München. Dann lässt er die Blicke schweifen über die Innenstadt bis zum Umadum-Riesenrad am Ostbahnhof. Dabei fühle er sich wie im Urlaub in der türkischen Stadt Alanya, sagt Ibrahim.

Osman Ibrahim engagiert sich für andere Geflüchtete

Ibrahim arbeitet in der Hotelbranche, derzeit als Barkeeper. Als nächstes möchte er das Fachabitur machen. Da es für ihn in Online-Lehre aber ungleich schwieriger wäre, hat er den Start fürs Erste verschoben. Im Hotelgewerbe möchte er bleiben, ein Studium im Bereich Hotelmanagement kann er sich vorstellen. Zugutekommen dürfte ihm dabei sein Talent für Sprachen: Ibrahim spricht neben Englisch und Deutsch drei eritreische Sprachen, Arabisch, Hindu sowie Amharisch, eine äthiopische Sprache.

Nebenher engagiert sich Osman Ibrahim ehrenamtlich als Kulturdolmetscher und hilft anderen Geflüchteten, sich in Deutschland zurechtzufinden. "Viele wollen etwas erreichen, aber haben keine Hilfe dabei. Ich möchte die Hilfe, die ich bekommen habe, weitergeben", sagt er.

Der Verein Fairmieten Oberhaching ist erreichbar unter der Telefonnummer 089/839 99 33 42 (Vorsitzende Susanne Kirchner) und per Mail an fairmieten.oberhaching@gmail.com.

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