Sie kommen alleine oder zu zweit, gerne auch in großen Gruppen. Und sie sind schnell. Zu schnell, wenn man die Oberhachinger fragt. Rennradfahren boomt ungebrochen, und wer in München mit seinem teuren, superleichten Sportgerät aus Carbon startet, fliegt geradezu Richtung Süden durch den gut asphaltierten Perlacher Forst und landet rasch an der Kugler-Alm. Sehr zum Leidwesen der Anwohner, Fußgänger und der gemächlichen Radfahrer. Denn bremsen ist bei vielen sportlich motivierten Rennradlern eher nicht vorgesehen. Jetzt greift die Gemeinde Oberhaching zu drastischen Maßnahmen, um das Tempo zu drosseln. Am Dienstagabend hat der Umwelt- und Verkehrsausschuss beschlossen: Wir bauen Bodenschwellen ein. Und zwar gleich drei hintereinander.
Es ist ein Pilotprojekt, so etwas gibt es laut Bürgermeister Stefan Schelle (CSU) bisher nur auf Mallorca. Doch der Ärger über die Rennradgruppen hat sich schon lange in den Gemeinden im Münchner Umland aufgestaut. Insbesondere dort, wo es Richtung Berge geht, hat man an schönen Wochenenden mitunter das Gefühl, als fänden dort gleichzeitig die Tour de France und der Giro d'Italia statt.
Der Unterschied zu den berühmten Radrennen ist nur: Die Straßen werden für die Ausfahrten von Hobbysportlern nicht gesperrt. Vor der Kugler-Alm sind auch andere unterwegs, es gilt rechts vor links und teils Tempo 30. Das scheint die Rücksichtlosen unter den Rennradlern aber nicht zu interessieren, weshalb dies seit Jahren zu Beschwerden und heiklen Situationen führt. Es entwickelt sich mitunter ein regelrechter Groll gegen die Radfahrer. Nicht nur in Oberhaching, sondern im gesamten Oberland.
Nun ist die Situation an der Kugler-Alm sicher noch etwas brisanter als weiter südlich. Denn dort kommen erst einmal alle zusammen, die an der Münchner Stadtgrenze entweder an der Säbener Straße oder an der Menterschwaige ihre Tour begonnen haben. Die Linienstraße vor dem Biergarten Kugler-Alm ist wie ein Flaschenhals, anschließend verteilen sich die Radfahrer Richtung Sauerlach, Ödenpullach und Straßlach. „Erst am Samstag habe ich es wieder live erlebt. Dort über die Straße zu gehen, ist eine echte Herausforderung“, sagt Bürgermeister Schelle.
Viele in Oberhaching berichten von persönlichen Erlebnissen mit Rennradfahrern. Und die tragen nicht zu einem größeren Verständnis bei. Da ist der Vater mit Kinderanhänger, der beschimpft und beleidigt wurde, weil er die Kurve im Kreisverkehr nicht weit genug ausgefahren ist. Das machte ihn offenbar so wütend, dass er der Gemeinde gerne 5000 Reißnägel spendieren würde. Oder die Autofahrer, die sich im Ort an Tempo 30 halten und dann von den Radlern überholt werden.
Diejenigen, denen zu 90 Prozent von den Rennradfahrern die Vorfahrt genommen wird oder Ältere, die sich nicht mehr auf das Rad trauen, weil sie Angst haben, quasi überrollt zu werden. Es ist auch nicht so, dass Radfahrer leise Verkehrsteilnehmer sind. „In großen Gruppen wird sich lautstark unterhalten“, weiß der Bürgermeister. All solche Beschwerden landen immer wieder im Rathaus. Seit Jahren. An Biertische gebe es wohl nur noch ein Thema. Der Bürgermeister sagt: „Wir sind etwas hilflos, was wir machen sollen.“
Geübte Radler machen einen Bunny Hop
Da das Problem sich zwar verschärft hat, aber nicht neu ist, hat Oberhaching bereits einiges ausprobiert, um zumindest vor der Kugler-Alm eine Entschleunigung durchzusetzen. Es wurde Kopfsteinpflaster verlegt und Tempo zehn angeordnet – mit mäßigem Erfolg, sagt Bürgermeister Schelle, „es hält sich eh keiner daran.“ Jetzt, da die Saison sowohl im Biergarten als auch in der Radsportszene wieder so richtig Fahrt aufnimmt, will man es also mit Bodenschwellen versuchen. Wohl wissend, dass eine alleine noch keine Wirkung hätte, weil der geübte Rennradfahrer da einfach drüberhüpft, mit einem sogenannten Bunny Hop. „Das trainieren die sogar extra“, weiß Erwin Knapek, SPD-Gemeinderat und seit Jahrzehnten selbst passionierter Radfahrer.

Somit sprach sich der Ausschuss einstimmig für drei Schwellen aus, die in einem Abstand von 2,50 Meter nach den Pfingstferien installiert werden sollen. Denn zu eng sollen die Hindernisse auch nicht aufeinanderfolgen, sonst bekommen die Fahrräder mit Anhänger womöglich ein Problem. „Wir wollen nicht, dass ein Kind aus dem Anhänger fliegt“, sagt Schelle. Zusätzlich sollen 150 und 100 Meter vorher Warnschilder aufgestellt werden. Die Botschaft sei klar. „Spezi, da kommt was“, formuliert es Anton Sontheimer aus der Bauverwaltung.
Nun ist Oberhaching ja keine Gemeinde von Fahrradfeinden. Im Gegenteil, sie ist sogar als fahrradfreundliche Kommune zertifiziert. Weshalb man den Rennradlern nicht nur die Speedbreaker vor die Reifen knallt, sondern auch mit ihnen ins Gespräch kommen will. „Demo“ will Schelle es nicht nennen, was für den 28. Juni geplant ist, vielmehr soll es ein Aktionstag werden, sogar mit Verpflegung für die Radsportgruppen, die an der Kugler-Alm vorbeikommen. Man will vor allem um Verständnis werben.
Auch Thomas Vieweg wird an dem Samstag nach den Ferien dort sein. Er kennt die Problematik von zwei Seiten. Der Taufkirchner ist Leitender Polizeidirektor, und er ist Radsportler. Als Vorsitzender des RSV Hachinger Tal und Koordinator Verkehr im Bayerischen Radsportverband will er versuchen, die Wogen etwas zu glätten. „Die Rennradler werden hier immer als Buhmänner hingestellt, das führt in der Rennrad-Community zu viel Unmut“, sagt er. Insbesondere auch deshalb, weil der Perlacher Forst als Radschnellverbindung ausgebaut wurde.
Vieweg versteht natürlich auch, dass der Rennradboom bei Anwohnern in ruhigen Straßen auf großes Unverständnis stößt. Genauso, dass die Radsportler im Pulk fahren, bei anderen Verkehrsteilnehmern oft Verärgerung auslöst, wird als Provokation wahrgenommen. Aber die dürfen das. Nebeneinander oder in der Gruppe zu fahren ist erlaubt, wenn es die Verkehrssituation zulässt. „Das ist eine unklare Rechtsnorm“, gibt Vieweg zu, im Verein empfehle er es nur dort, wo es sicher sei. „Und oft ist es sicherer in der Gruppe zu überholen als hintereinander wie an einer Perlenschnur“, sagt er.

Besonders viele Unfälle mit Rennradlern gab es bisher in Oberhaching nicht. Bei dem Thema spiele auch viel Gefühl eine Rolle, sagt Vieweg. Das Polizeipräsidium München bestätigt: „Das Unfallgeschehen im Bereich der Kugler-Alm kann derzeit als unauffällig bezeichnet werden.“ Daher sieht die Münchner Polizei den Einbau von Schwellen für die Verkehrssicherheit eher negativ. Ebenso wie der ADFC, der findet, dass so nur neue Gefahren geschaffen würden. Auch Vieweg betrachtet die Maßnahme eher kritisch, weniger wegen der Rennradler, sondern eher für Senioren, die auf E-Bikes unterwegs sind. In seinem Verein würde man darauf achten, rücksichtsvoll zu fahren. Viele Rennradfahrer allerdings seien heutzutage in freien Gruppen unterwegs, die sich über eine App verabreden.
Rein in die Ortschaft, runter mit dem Tempo
Heiko Wild bietet in seinem Radsportgeschäft „Bikedress“ in München solche Ausfahrten an. Er wohnt selbst auch in Oberhaching und nutzt den Radschnellweg durch den Perlacher Forst für die Fahrt zur Arbeit. Auch er sagt: „Es sind viele Rennradfahrer rücksichtslos unterwegs.“ Daher befürworte er den Einbau der Schwellen. Wegen des hohen Aufkommens an Rennradlern und anderen Verkehrsteilnehmern sei eine gewisse Etikette gefragt. Wenn es in die Ortschaften reingehe, da müsse man eben runter mit dem Tempo.
Seit Corona habe die Zahl der Rennradfahrer stark zugenommen. Sehr viele Jüngere hätten diesen Sport entdeckt, das Rennrad ist inzwischen auch ein Statussymbol. Und dann gebe es diese App namens Strava, die die Strecken aufzeichnet und die Geschwindigkeit misst. Viele nutzten sie, um ihre Trainingserfolge dort mit anderen zu teilen. Auch Otto Schiller, Storemanager von Rapha Clubhouse in München, das regelmäßig Touren ins Umland organisiert, begrüßt den Einbau der Schwellen. „Es ist unverantwortlich, wie manche Gruppen rasen“, sagt er. „Am besten sollte man noch eine Schwelle mitten im Perlacher Forst einbauen“, findet er. Seine Gruppen meiden inzwischen diese Strecke.
Bürgermeister Stefan Schelle sagt ganz klar: „Unser Verkehrsraum ist kein Fitnessgerät.“ Und damit steht er nicht alleine. In Straßlach-Dingharting hatte man schon jahrelang die Abfahrt ins Mühltal gesperrt, um Rennradler zu bremsen. Bis ein Gericht das Verbot aufhob. Weiter östlich in Sauerlach überlegt Bürgermeisterin Bogner (Freie Wähler) wie sie die rasenden Radler auf der Deisenhofener Straße in den Griff bekommt. Denn am anderen Ende befindet sich ein Kinderspielplatz. „Wir haben schon auch über Schwellen nachgedacht“, sagt sie. Doch befürchtet man, dass dann wirklich jemand stürzen könnte.

Auch in Münsing, am Ostufer des Starnberger Sees, hätten die Anwohner der Seestraße am liebsten wohl solche Speedbreaker gegen die „Kampfradler“. Bürgermeister Michael Grasl (Freie Wähler) erhält jedes Jahr die gleichen Beschwerden, doch für jegliche Maßnahmen sind ihm die Hände gebunden. „Ich kann noch nicht einmal Schilder aufstellen, da es sich um eine Kreisstraße handelt“, sagt er. Demnächst wird die Zuständigkeit wohl geändert, dann könne Münsing erneut darüber nachdenken. Und bis dahin erst einmal schauen, wie das Pilotprojekt in Oberhaching funktioniert.