Oberhaching:Annäherung an eine widersprüchliche Familie

Oberhaching: "Im Bann des Zauberers" haben Leslie Malton und Felix von Manteuffel ihre musikalische Lesung über Thomas Mann und seine Familie überschreiben.

"Im Bann des Zauberers" haben Leslie Malton und Felix von Manteuffel ihre musikalische Lesung über Thomas Mann und seine Familie überschreiben.

(Foto: Claus Schunk)

Leslie Malton und Felix von Manteuffel zeichnen beim Oberhachinger Festival ein präzises und faszinierendes Bild der Manns

Von Franziska Gerlach, Oberhaching

Die Fahrkarte? Hat sie gleich nach dem Aussteigen weggeworfen. Das versucht die junge Münchnerin dem Kontrolleur zumindest weiß zu machen. Der wiederum will sich natürlich nicht für dumm verkaufen lassen, und pocht mit der seinem Berufsstand ganz eigenen Beharrlichkeit auf einen Fahrschein. Beziehungsweise auf die Vorlage eines Billets, wie man damals noch sagte. Damals, als Katia Pringsheim und Thomas Mann sich bei dem Malheur in einer Trambahn an der Ecke Schelling- und Türkenstraße erstmals begegneten.

Ein Auge hatte Thomas Mann, Sohn eines Lübecker Kaufmannes und dem eigenen, nicht ganz uneitlen Verständnis nach der letzte große Erzähler deutscher Literatur, allerdings schon länger auf die aparte Professorentochter geworfen. Bei einer neuen, von der Münchner Gesellschaft mit reger Teilhabe gefeierten Konzertreihe hat er Katia, gerade einmal 20 Jahre alt, von der Balustrade aus beobachtet. Spätestens seit "dem Abenteuer" in der Tram, soll Mann, der in seinen Tagebüchern später recht offen mit seinen homoerotischen Neigungen umging, dann gewusst haben: diese oder keine. So jedenfalls erinnert sich Katia Mann an die Anfänge, und wenn die bekannte deutsche Theater- und Fernsehschauspielerin Leslie Malton aus den Memoiren der Schriftstellergattin vorliest, dann stehen die Bilder nahezu plastisch im voll besetzen Saal "Beim Forstner".

"Im Bann des Zauberers - Thomas Mann und seine Familie" war die musikalische Lesung überschrieben, mit der am Freitagabend das elfte Festival für Kammermusik, Literatur und Weltmusik in Oberhaching eröffnete. Das Valentin-Klavier-Quartett mit Festivalleiterin Isabel Lhotzky begleitete die Lesung virtuos mit Werken von Komponisten, die auch Musik-Liebhaber Thomas Mann zugesagt hätten: Robert Schumann, Richard Strauss und Gustav Mahler zum Beispiel. Wobei letzterer, auch das erfuhr man in Oberhaching, Thomas Mann seinerzeit zur Person des Gustav von Aschenbach in seiner Novelle "Der Tod in Venedig" inspirierte.

Im Februar 1905 heirateten Katia und Thomas Mann, das Paar bekam sechs Kinder, in den ersten Jahren führten sie in ihrer Villa am Herzogpark wohl das, was man als großbürgerlich-intellektuelles Leben bezeichnen darf. Die gute Gesellschaft eben. Für seinen Roman "Buddenbrooks" erhielt Thomas Mann 1929 den Nobelpreis für Literatur, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten emigrierten die Manns. Erst über Frankreich in die Schweiz, später in die USA. Es gibt sicher unspektakulärere Lebensgeschichten als jene der schillernden Großfamilie, in deren Zentrum sich Thomas Mann als kultivierter Repräsentant mit tadellosem Auftreten eingerichtet hatte. Doch auch die Kinder hinterließen ihre ganz eigenen Spuren im 21. Jahrhundert. Und dass die teils tragischen Schicksale der Manns später zum beliebten Sujet von Autoren und Filmregisseuren avancierten, liegt gewiss auch an dem umfangreichen und mitunter sehr persönlichem Textmaterial, das sie der Nachwelt hinterließen. Kurzum: Die literarische Annäherung an eine derart komplexe Familiengeschichte hätte auch schief gehen können. Doch Leslie Malton und Felix von Manteuffel, seit vielen Jahren verheiratet und auch auf der Bühne ein erprobtes Duo, gelang in Oberhaching Großartiges: Sie füllten die Tagebuchaufzeichnungen und Briefe der Manns mit Leben statt mit Betroffenheit, an manchen Stellen brachten sie das Publikum sogar zum Lachen. Malton nahm sich der Frauen an, Grimme-Preisträger von Manteuffel las die Männer der Familie, selbst Enkel Frido Mann kam zu Wort. Das Schauspielerehepaar fächerte die Manns gewissermaßen auf, ließen die Kinder und vor allem Katia Mann aus dem Schatten des berühmten Vaters herauszutreten, um durch die ganz eigene Sicht auf diesen ein Porträt zu zimmern.

Dass man trotz der vielen Stimmen stets wusste, wer da zu oder über wen sprach, lag an dem schlüssigen Textkonzept der Oberhachinger Kulturamtsleiterin Eva Hofmann. Auf Zitate folgten längere Passagen aus Tagebüchern oder Briefen, die sich durch eine kluge Dramaturgie zu einem großen Ganzen verdichteten. Dass sich die Aussagen teils widersprachen, störte nicht. Es offenbarte das Wesen der Familie. Denn widersprüchlich, das waren sie ganz augenscheinlich, die Manns. Gerade weil die Oberhachinger Eigenproduktion aber den Blick hinter eine Fassade erlaubte, die schon früh Risse zeigte, berührte sie tief. Dass Thomas Mann drei seiner Kinder - Erika, Elisabeth und Klaus - bevorzugte, hatte wohl schon mancher gehört. Doch als von Manteuffel die Episode mit der Feige vorlas, zog einem die Kälte, die Thomas Mann seinen Kindern gegenüber zu bringen im Stande war, doch bis in die letzte Zuschauerreihe hinauf. Der Erste Weltkrieg tobt, Lebensmittel sind knapp, am Abendbrottisch sitzen vier Kinder um eine einsame Frucht, hungrig und voller Zuversicht, ein Stück davon abzubekommen. Doch daraus wurde dann nichts. Denn mit der Begründung, es könne nicht schaden, Kinder früh an Ungerechtigkeiten zu gewöhnen, trug Thomas Mann seiner ältesten Tochter Erika auf. "Da Eri, iss!" Sie aß.

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