Flucht und Migration:"Der soziale Friede ist gefährdet"

Lesezeit: 2 Min.

Zu einem Integrationsgipfel haben sich 33 Kommunalpolitiker aus ganz Oberbayern am Donnerstag im Oberhachinger Rathaus getroffen. (Foto: Claus Schunk)

Die oberbayerischen Landräte und Vertreter des Gemeindetags fordern angesichts der anhaltend hohen Flüchtlingszahlen mehr Unterstützung von Bund und Land. Dabei geht es ihnen weniger um Geld als um Personal und Grundstücke.

Von Patrik Stäbler, Oberhaching

Bei der Bürgerversammlung in Grünwald ging es kürzlich hoch her. Von "schrecklicher Angst" sprach eine Bürgerin angesichts der Pläne für eine Flüchtlingsunterkunft direkt neben der Polizeiinspektion. Und eine andere Frau mahnte: "Die Sorge der Anwohner muss gehört werden." Dabei sei die Debatte in Grünwald noch "gemäßigt" abgelaufen, findet Oberhachings Bürgermeister Stefan Schelle (CSU) - im Vergleich zu etlichen anderen Bürgerversammlungen in Oberbayern, bei denen es um neue Unterkünfte ging. Dort seien Politiker mitunter persönlich angegriffen und beleidigt worden, sagt Schelle. Wie angespannt die Situation vielerorts ist, sei nun auch beim Integrationsgipfel der oberbayerischen Landräte und der Kreisvorsitzenden des Gemeindetags thematisiert worden.

Zu diesem haben der Landräte-Sprecher Thomas Eichinger aus Landsberg am Lech sowie Stefan Schelle, der Bezirksvorsitzende des Gemeindetags, am Donnerstag nach Oberhaching geladen. Nach dreistündiger Aussprache präsentieren die zwei CSU-Politiker ein Positionspapier als "dringenden Appell" an die Bundesregierung, die bei der Asylpolitik laut Schelle "vernünftige Rahmenbedingungen" schaffen müsse. "Wir kommen an die Grenze der Belastungsfähigkeit", konstatiert Eichinger. Er warnt: "Der soziale Friede ist gefährdet, wenn die Integrationsfähigkeit der Gemeinden überschritten wird." Zwar fordere er keine fixe Obergrenze, sagt der Landsberger Landrat. "Aber die Zielsetzung des Bundes muss ganz klar eine Reduzierung des Zulaufs sein."

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Laut Eichinger hat die Zahl der ankommenden Asylbewerber in Oberbayern mit 120 Menschen pro Tag im Oktober einen Höchstwert erreicht. Aktuell liege man bei täglich 60 Personen. Ein großes Problem bei der Unterbringung all dieser Menschen sei der angespannte Wohnungsmarkt. Er führe dazu, dass viele anerkannte Asylbewerber keine Wohnung finden, weshalb sie dauerhaft in den Unterkünften blieben. "Wir sind ständig in der Situation, dass wir neue Unterkünfte generieren müssen", sagt Eichinger, zumal abgelehnte Asylbewerber wegen rechtlicher Hindernisse oder fehlender Pässe kaum abgeschoben würden: "Im Kreis Landsberg hatten wir 2022 eine einzige Abschiebung." Demgegenüber seien 1000 ankommende Geflüchtete gestanden.

Mit ihrem Positionspapier wollen Stefan Schelle, Bürgermeister von Oberhaching und zugleich Bezirksvorsitzender des Gemeindetags, sowie der Landsberger Landrat Thomas Eichinger (links) einen "Hilferuf" nach Berlin senden. (Foto: Claus Schunk)

Diese Zahlen seien ein Grund für die veränderte Gemütslage in Teilen der Bevölkerung, glaubt der Landrat. "Die Stimmung hat sich verändert, weil vieles nicht mehr begründbar ist." Als die Flüchtlingszahlen 2015 anstiegen, habe er bei Bürgerversammlungen eine "große Bereitschaft" gespürt, die Herausforderung zu meistern. Heute hingegen würden bei derlei Veranstaltungen vor allem Ängste und Protest laut. Und auch bei den Helferkreisen sei anders als 2015 inzwischen ein "gewisser Erschöpfungsgrad" spürbar, ergänzt Stefan Schelle.

"Die finanzielle Ausstattung ist bei uns in Bayern kein Riesenthema", sagt der Oberhachinger Bürgermeister Stefan Schelle

Das nun beim Integrationsgipfel verfasste Positionspapier will der Bürgermeister als "Hilferuf" verstanden wissen - vor allem in Richtung Berlin. "Die finanzielle Ausstattung ist bei uns in Bayern kein Riesenthema", sagt Schelle. Das viel größere Problem sei der allgegenwärtige Personalmangel - etwa in Kindergärten, in Ausländerämtern oder Gerichten. Entsprechend wird in dem Positionspapier eine "verbesserte Besetzung staatlicher Stellen im Bereich Asyl- und Ausländerwesen" gefordert. Im Weiteren müssten Freistaat und Bund mehr Liegenschaften für Unterkünfte zur Verfügung stellen sowie die Beschaffung von Containern und Zelten zentral organisieren.

Generell sprechen sich die 33 Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, die zu dem Integrationsgipfel gekommen sind, für eine gerechtere Verteilung der Geflüchteten aus, bis hinunter auf die Gemeindeebene. Zudem müssten die Kommunen bei der Anschlussunterbringung entlastet werden. Dazu heißt es in dem Positionspapier: "Nur Asylbewerber mit einer hohen Bleibeperspektive sollen in die dezentrale Unterbringung verlegt und dort in die Gesellschaft integriert werden."

Er sei prinzipiell guter Dinge, dass die Kommunen die Herausforderungen bewältigen könnten, sagt Schelle. "Wir brauchen Gelassenheit, viel Ehrenamt und die Bereitschaft, das zu stemmen." Zugleich müsse die Bundesregierung nach den Ankündigungen beim Asylgipfel "schnell und realistisch ins Handeln kommen", fordert der Bürgermeister. "Denn sonst fliegt uns der Laden um die Ohren."

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