NS-Beschäftigungspolitik:Der Tag der 10 000 Spaten

Vor 85 Jahren, am 21. März 1934, begann bei Unterhaching und Taufkirchen die sogenannte "Arbeitsschlacht": der von den Nazis inszenierte Auftakt zum Bau der Autobahn München-Salzburg. Das Versprechen und der Mythos vom Beschäftigungswunder wurden nie erreicht

Von Bernhard Lohr, Unterhaching/Taufkirchen

Kaum war die Rede beendet, hielt es einen der Zuhörer nicht mehr auf seinem Platz. Er schlüpfte an den SS-Männern vorbei, stand plötzlich an der improvisierten Bühne und schlug die Hacken zusammen. Das "Heil, mein Führer" blieb ihm vor Aufregung fast im Hals stecken. Der durchinszenierte Auftritt, bei dem Adolf Hitler am 21. März 1934 auf der Reichsautobahn-Baustelle den Beginn der "Arbeitsschlacht" gegen die Arbeitslosigkeit verkündete, erzielte die gewollte Wirkung. Und das nicht nur für den Moment bei 10 000 jubelnden Arbeitern. Das Ereignis bei Unterhaching begründete vor 85 Jahren den Mythos vom Beschäftigungswunder und von den Autobahnen, die dem NS-Regime zu verdanken seien.

Die Propaganda-Schau, über die die Münchner Neuesten Nachrichten am 22. März 1934 in allen Details berichteten, sollte auch über den Ort hinauswirken. Man hatte Tausende Arbeiter herangekarrt und ließ diese mit geschulterten Spaten antreten, um eindrucksvolle Bilder zu bekommen. Es war ein mediales Großereignis. Im gesamten Land hatte die Arbeit zu ruhen. In Behörden, Betrieben und Schulen waren auf Anordnung Radiogeräte anzuschalten. 180 Journalisten ausländischer Zeitungen waren anwesend. Für die Wochenschau wurde alles auf Zelluloid gebannt. Um 11 Uhr signalisierten die Pfiffe der Baulokomotiven den Beginn der Feier auf dem Baufeld südlich von Unterhaching auf Taufkirchner Flur, wo sich heute bei Ikea junge Familien mit Möbeln eindecken.

Bau der Reichsautobahn ('Arbeitsschlacht') 1934 zur Zeit des Nationalsozialismus

Ein mediales Großereignis - die "Arbeitsschlacht" am 21. März 1934.

(Foto: Scherl/SZ Photo)

Der 21. März sollte nach dem Willen der Nationalsozialisten als "Großkampftag der Arbeitsschlacht" in die Annalen eingehen. Parteifunktionäre traten an 21 weiteren, in ganz Deutschland verteilten Autobahnbaustellen zum Spatenstich an. Es sollte das Bild einer zupackenden NS-Herrschaft vermittelt werden, die Menschen mit dem Bau der "Straßen des Führers" schnell in Arbeit bringt. Dabei war bereits 1921 die Avus bei Berlin als erste autobahnähnliche Straße eröffnet worden. 1932 übergab der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer die erste Autobahn von Köln nach Bonn dem Verkehr. Die ersten Pläne für ein Autobahnnetz in Deutschland erstellte die Gesellschaft Hafraba, benannt nach den Endpunkten der Autobahnen in Hamburg, Frankfurt und Basel, bereits im Jahr 1926. Auch weil sie auf diese Vorarbeiten zurückgriffen, konnten die Nazis nach 1933 mit dem Bau der Fernstraßen schnell loslegen. Noch kurz davor hatte die NSDAP diese als "Luxusstraßen für Reiche" verteufelt.

Bereits im Oktober 1933 begannen im Brunnthaler Forst Fällarbeiten für die Autobahn München-Salzburg, wie Roland Gabriel und Wolfgang Wirth in ihrem Buch "Mitten hindurch oder außen herum - Die lange Planungsgeschichte des Autobahnrings München" schreiben. Unter Zeitdruck wurde geplant, ausgeschrieben und am 15. November 1933, ohne Zeremoniell, der Bau begonnen. Das folgte im darauffolgenden März, als 2700 Arbeiter der Münchner Autobahn-Baustelle antraten sowie 200 von der an der Innbrücke bei Pfraundorf. Vertreter der übrigen zwölf Autobahn-Baustellen waren da und 5000 Arbeiter der Deutschen Arbeitsfront. Auch 2000 Mann des "Freiwilligen Reichsarbeitsdiensts" folgten der Hitler-Rede, die eigentlich in München geplant war. Doch weil die Vorarbeiten am Autobahnanfang bei Ramersdorf noch nicht so weit waren, musste man raus an den Rand des Hofoldinger Forsts.

Arbeiter an der Baustelle im Hofoldinger Forst, 1934

Zu dem Anlass karrten die Nazis 10.000 Arbeiter an, damit diese Adolf Hitler auf der Bühne zwischen Unterhaching und Taufkirchen zujubelten..

(Foto: Scherl/SZ Photo)

Das Areal dort wurde gezielt als Bühne eingesetzt, um bildlich zu vermitteln, wie dort im martialischen Jargon die "Mobilmachung" zur "Arbeitsschlacht" verkündet wurde. Hitler sprach neben einer dampfenden Lokomotive auf einem hölzernen Kippwagen eines Feldbahnzuges stehend, umgeben von Mitgliedern der Reichsregierung, unter anderem Vizekanzler Franz von Papen und Propagandaminister Joseph Goebbels. Hitler schrieb die sechs Millionen Arbeitslosen der globalen Wirtschaftskrise zu Beginn der Dreißigerjahre "einem dem Zusammenbruch entgegentreibenden System und seiner Wirtschaft" zu und verkündete, Deutschland liege nun bei der "Bekämpfung der Weltkrise an vorderster Front". In Wahrheit wurde das offiziell verkündete Ziel, 600 000 Arbeiter mit dem Bau von Autobahnen zu beschäftigen, nie auch nur annähernd erreicht. Eine Ausstellung, basierend auf dem Aktenbestand der Autobahndirektion Südbayern, die 2012 im Hauptstaatsarchiv gezeigt wurde, machte deutlich, dass im Jahr 1936 insgesamt 125 000 Menschen an den Reichsautobahn-Baustellen beschäftigt waren - die Zulieferindustrie mitgerechnet allenfalls 250 000. Diese Zahlen wurden in keinem anderen Jahr mehr erreicht.

Auch Arbeiter aus dem Münchner Umland verdingten sich beim Autobahnbau. Wie der frühere Unterhachinger Heimatpfleger Rudolf Felzmann in seiner Ortschronik berichtet, war die wirtschaftliche Not am Ort "bedrückend". 67 Prozent der Ausgaben der Gemeinde hätten 1933 aus Fürsorgeleistungen bestanden. Bis 1936 habe der NS-Staat tatsächlich die "Arbeitslosigkeit ganz abgebaut", schreibt er. Diese Wende allerdings hatte wenig mit den Autobahnen zu tun und noch weniger mit der wirtschaftspolitischen Kompetenz der Machthaber. Der Staat nahm viel Geld in die Hand, um im großen Stil im Sinn der Konjunkturtheorie von John Maynard Keynes "Deficit spending" zu betreiben und öffentliche Investitionen in Gang zu setzen. Zwei Milliarden Reichsmark flossen alleine in die "Förderung der nationalen Arbeit". Der zunächst freiwillige Reichsarbeitsdienst wurde 1935 verpflichtend. Dadurch verschwanden 800 000 Männer aus der Arbeitslosenstatistik. Und es liefen, finanziert über Schuldscheine, die Vorbereitungen auf den Krieg. Bis 1939 steckte das Regime laut Hombach/Telgenbüscher 62 Milliarden Reichsmark in Panzer, Flugzeuge und Granaten. Die Militärausgaben machten bald fast ein Viertel des Bruttosozialprodukts aus. Das Land stand kurz vor Kriegsbeginn vor dem Ruin.

NS-Beschäftigungspolitik: Die "Arbeiterschlacht" wurde in Fotos und einem Aquarell festgehalten. Letzteres ist dem Buch "Mitten hindurch oderaußen herum. Die lange Planungsgeschichte des Autobahnrings München" entnommen.

Die "Arbeiterschlacht" wurde in Fotos und einem Aquarell festgehalten. Letzteres ist dem Buch "Mitten hindurch oderaußen herum. Die lange Planungsgeschichte des Autobahnrings München" entnommen.

(Foto: OH)

Der Krieg machte schließlich jegliche Arbeiten an den Fernstraßen unmöglich. 1941 wurden sie vollends eingestellt. An den letzten der bis dahin errichteten 3600 Kilometer an Straßen hatten Kriegsgefangene und jüdische Zwangsarbeiter geschuftet. Unmenschliche Bedingungen auf den Baustellen hatten schon vor ihnen Arbeiter erlebt. Die Nationalsozialisten setzten, um Arbeit zu schaffen, auf die Muskelkraft der Männer mit Spaten. Maschinen wurden nur begrenzt genutzt. Wie Marion Hombach und Joachim Telgenbüscher 2012 im Magazin Geo Epoche ("Märchen von der Autobahn") schreiben, verfluchten Arbeiter die Autobahnen als "Elendsbahnen". Sie hätten in engen Unterkünften kaum besser als Strafgefangene gelebt. Wer desertiert sei, dem habe das Internierungslager gedroht. Als "Schipperkrankheit" wurden Ermüdungsbrüche der Wirbelsäule bezeichnet, die schlecht ernährte Arbeiter erlitten, die über Monate hinweg Erdmassen schaufelten. Auch zu Todesfällen kam es.

Der erste Abschnitt der Reichsautobahn München-Salzburg von München bis Holzkirchen wurde schließlich am 29. Juni 1935 eingeweiht. Im August des Folgejahres war die Betonpiste, die sich nach dem Willen der NS-Planer als Panoramastraße in die imposante Voralpenlandschaft einfügen sollte, bis nach Siegsdorf durchgehend befahrbar. Im Mai 1944 wurde laut Gabriel/Wirth der Abschnitt zwischen Ramersdorf und Hofolding gesperrt, um die Piste in den Betrieb des Fliegerhorsts Neubiberg einzubeziehen. In Sichtweite der Kirche Maria Ramersdorf wurden Schlagbäume errichtet. Die Fahrer Hitlers bekamen Schlüssel für die Schlagbäume, um die Autobahn nutzen zu können. Im April 1945 rollten darauf US-Panzer gen München.

Adolf Hitler redet an einer Autobahnbaustelle, 1934

Das Ereignis wurde im Radio übertragen und in der Wochenschau gezeigt.

(Foto: Knorr und Wirth)

Roland Gabriel, Wolfgang Wirth: "Mitten hindurch oder außen herum. Die lange Planungsgeschichte des Autobahnrings München", München 2013, Franz Schiermeier Verlag.

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