Zunächst fragt Nico Rosberg augenzwinkernd, ob Niederländer unter den Zuhörern sind im Rudolf-Diesel-Saal der Technischen Universität München (TUM) in Garching, denn er will ja niemanden beleidigen. Dann erzählt er vom wohl wichtigsten Moment seiner Sportlerkarriere: Als er beim Grand Prix von Abu Dhabi 2016 um den Weltmeistertitel in der Formel 1 kämpfte und plötzlich den Funkspruch seines Team-Ingenieurs erhielt, dass er den vor ihm fahrenden Holländer Max Verstappen innerhalb der nächsten zwei Runden überholen müsse, sonst sei die WM futsch. „Das war die erschreckendste Nachricht, die ich je bekam“, sagt der 38-Jährige, schließlich sei die Chance bei diesem Überholmanöver – gegen den damals brachialen Verstappen, der heute die Formel 1 dominiert –, rauszufliegen, bei 50 Prozent gelegen. Sein Gasfuß habe vor Aufregung „unkontrolliert gezittert“, schildert er, erst dann konnte er sich fokussieren und am Konkurrenten vorbeiziehen. „Max hat mir den Raum gelassen, dafür bin ich ihm bis an mein Lebensende dankbar, denn sonst würde ich heute nicht als Weltmeister hier stehen.“ Dass er dieses Lob für den früheren Gegner dann noch mit einer kleinen Gehässigkeit würzt, macht gar nichts, es sind ja keine Niederländer da.
Die etwa 800 Studentinnen und Studenten der TUM hängen gebannt an den Lippen des ehemaligen Rennfahrers. Anlässlich des „Sustainability Days 2024“, an dem Studierende ihre nachhaltigen Forschungsprojekte präsentieren, ist Rosberg am Mittwoch als Stargast geladen. Und er übt auf seine Zuhörerschaft an der Uni schon deshalb eine enorme Anziehungskraft aus, weil er mittlerweile in 35 bis 40 zukunftsorientierte Start-Ups investiert, die der Erderwärmung entgegenwirken sollen. Dabei fördert er zum Beispiel ein E-Scooter-Projekt, einen Flugtaxi-Hersteller, eine US-Jungfirma, die sich auf virtuelle Testfahrten spezialisiert hat, und das Start-Up „Planetly“, mit dem Unternehmen ihren CO2-Abdruck messen können. Die von ihm gegründete Firma Rosberg Ventures sammelt zudem Kapital von vermögenden Familien ein für einen Dachfonds, der ebenfalls innovative Jungunternehmer fördert.
„Can I see the energy?“, ruft er im Stile eines Fernsehpredigers
Dass er eine enorme Ausstrahlung und ein gewinnendes Wesen hat, beweist Nico Rosberg in Garching: „Can I see the energy?“, ruft er zu Beginn seines Auftritts im Stile eines Fernsehpredigers ins Plenum. Und die Studenten reagieren mit tosendem Applaus. In fließendem Englisch – der Wahl-Monegasse spricht übrigens auch Französisch, Italienisch und Spanisch – erzählt er, unterstützt von einem Moderator aus der Studentenschaft, eine Stunde lang unterhaltsam und voller Verve von seiner Sportlerkarriere und seinem Engagement für Nachhaltigkeit. So zum Beispiel, dass er an einem Konzept mitarbeite, wie man den Grand Prix im englischen Silverstone umweltverträglicher gestalten könnte. Doch er gewährt auch private Einblicke, etwa über seine beiden Töchter, sechs und acht Jahre alt. „Es ist unglaublich, wie unterschiedlich Geschwister sein können. Das ist für Eltern eine enorme Herausforderung.“
Auch die enge Freundschaft zu seinem früheren Teamkollegen Michael Schumacher, dessen Familie seit dem Ski-Unfall im Dezember 2013 „eine schwere Zeit“ habe, thematisiert Rosberg. Schumacher sei schon fast 40 gewesen, als sie gemeinsam bei Mercedes waren, „er hatte 700 Millionen auf der Bank und sieben Weltmeistertitel eingefahren – und war immer noch sehr professionell“. So habe er die Namen aller 90 Mitarbeiter und deren Funktion im Team auswendig gelernt. „Das war eine großartige Inspiration für die ganze Gruppe.“
Immer wieder streut der gebürtige Wiesbadener, dessen finnischer Vater Keke bereits 1982 Formel-1-Weltmeister gewesen ist, Tipps für die Studentinnen und Studenten ein. „Fokus ist das allerwichtigste, der Schlüssel zum Erfolg, wenn du entsprechende Fähigkeiten und die nötige Disziplin hast.“ So habe er in der entscheidenden Phase beim Gewinn des Weltmeistertitels über einen längeren Zeitraum E-Mails, soziale Medien und auch Nachrichten komplett ausgeblendet. Und dann hat ihm auch noch Max Verstappen die entscheidenden Zentimeter Platz gelassen.