Mitten in Neuried:Kein Anschluss ohne Nummer

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Das einzige verbliebene öffentliche Telefon in Neuried wird abgebaut. Das weckt nostalgische Gefühle - doch aus einem letzten Anruf wird nichts.

Kolumne von Annette Jäger, Neuried

Wo gibt es hier im Ort ein öffentliches Telefon? Es wäre interessant, ob Passanten in Neuried bei einer Straßenumfrage darauf eine Antwort wüssten. Denn die letzte öffentliche Telefonsäule in der Gemeinde ist gut versteckt. Sie steht auf dem Marktplatz im Ortszentrum, auf der Rückseite der Schaukästen, in denen die Kommune Gemeindenachrichten veröffentlicht. Die Stellwände sind im Zickzack aufgestellt und in einem dieser Zackenspitzen steht die Telefonsäule mit dem magentafarbenen "T" der Telekom und dem farbgleichen Hörer. Wer das bis jetzt nicht wusste, muss es sich auch nicht mehr merken. Die Säule wird im Frühjahr abgebaut.

Öffentliche Telefone sind überflüssig geworden, das Handy hat sie abgelöst. Die Säulen kosten nur noch Geld, die Telekom setzt deshalb in Neuried und in vielen anderen Orten auch einen Schlussstrich unter ein Kapitel Kommunikationstechnik. Möglich macht es das Telekommunikationsgesetz, das seit Dezember 2021 in Kraft ist, und mit dem die Selbstverpflichtung der Telekom endet, öffentliche Telefonstellen zu betreiben.

Da schwingt Wehmut mit. Jeder, der seine Jugend ohne Handy in der Tasche verbracht hat, hat seine spezielle Erinnerung an öffentliches Telefonieren. Es fand in gelben Telefonhäuschen statt, die seit Mitte der Neunzigerjahre nach und nach weiß-grau-magenta wurden. Immer hat es übel gerochen darin, häufig mussten abgezählte Zehn-Pfenning-Stück am Metallgehäuse des Münzfernsprechers gerubbelt werden, damit er sie auch behielt. Kommunikation hatte einen Wert, der sich in Einheiten bemaß, 20 Pfennig kostete eine bis 1984, danach 30 Pfennig. In den knappen zur Verfügung stehenden Minuten musste das Nötigste gesagt werden, was man unterwegs unbedingt loswerden oder wissen musste. Oder wofür zuhause die Privatsphäre fehlte, weil das einzige Telefon mit Wählscheibe im Wohnzimmer stand, wo alle mithören konnten. Und leider viel zu oft, bevor die ersehnte Antwort durch den speckigen Hörer am Ohr ankam, waren die Zehn-Pfennig-Stücke schon durchgerutscht. Worte konnten Gewicht haben.

Aus Nostalgiegründen noch einmal öffentlich telefonieren in Neuried. Der Grind der Vergangenheit hat den Plastikhörer und die Tastatur überzogen, spitze Finger sind eine Empfehlung. Das Ding in Betrieb zu nehmen, ist gar nicht so einfach. Münzen lassen sich nicht mehr einwerfen, eine EC-Karte auch nirgends reinstecken. Die Betriebsanleitung fordert auf, die Taste mit dem "T" zu drücken, danach ist die Bezahlmethode zu wählen. Mit der "2" fällt die Entscheidung auf "Kreditkarte", weil die Alternative "Calling Card", eine unbekannte ist. Die Kreditkarte hat man jedoch gar nicht dabei. Und eigentlich weiß man auch gar keine Handynummer auswendig, die man wählen könnte, ans Festnetz geht ja kaum einer mehr. Das ist vermutlich das nächste, das abgebaut wird.

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