Neue SZ-Serie - Oh, mein Gott!:Gemeinschaft der Ungläubigen

Neue SZ-Serie - Oh, mein Gott!: Auch in der Schäftlarner Klosterkirche bleiben die Bänke mittlerweile oft leer.

Auch in der Schäftlarner Klosterkirche bleiben die Bänke mittlerweile oft leer.

(Foto: Claus Schunk)

Die großen Kirchen verlieren auch im Landkreis immer mehr Mitglieder. Doch in den schrumpfenden Pfarreien und Gemeinden engagieren sich zahlreiche Ehrenamtliche - und schöpfen daraus viel Zuversicht

Von Daniela Bode

Irgendwann hat Peter Karafiat einen Schlussstrich gezogen - und ist mit 28 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten. "Ich war mit der Kirche als Institution nicht mehr einverstanden", sagt der heute 72-jährige Hohenbrunner. "Mir gefiel das Protzige nicht, dass die Priester Gewänder für Tausende von Euro tragen, aber Armut predigen." Er sieht sich heute als Agnostiker, der glaubt, was er sieht. Wenn andere etwas anderes glauben, ist das für ihn ebenso in Ordnung.

Diejenigen, die ihren Glauben im Christentum verankern, werden an den Osterfeiertagen wieder in großer Zahl in die Kirchen und Gottesdienste pilgern. Doch es werden auch zu den hohen Feiertagen immer weniger Gläubige - an normalen Sonntagen lässt sich dies besonders deutlich beobachten.

Wie Karafiat geht es auch im Landkreis immer mehr Menschen. Gerade in den vergangenen Jahren haben viele beiden Kirchen den Rücken gekehrt. Eine signifikante Steigerung bei den Austritten gab es im Jahr 2014. Da verließen im Erzbistum München und Freising laut kirchlicher Statistik 20 552 Menschen die Kirche (2011: 13 292). Im evangelisch-lutherischen Dekanat München, das die Region München umfasst, traten 6070 Menschen aus (2011: 3923), sagt Gabriele März vom Öffentlichkeitsreferat.

Viele Gründe für den Austritt bleiben im Verborgenen

Die Gründe, warum auch im Landkreis immer mehr Menschen die Kirche verlassen, sind vielfältig - bleiben oft aber im Verborgenen. Gläubige, die beim Standesamt ihren Austritt erklären, müssen schließlich keinen Grund nennen. "Das für Deutschland typische Kirchensteuersystem lässt nicht wenige der Kirche verärgert den Rücken zudrehen", sagt Pfarradministrator Markus Moderegger, Leiter des Pfarrverbands Vier Brunnen mit Sitz in Ottobrunn und des Pfarrverbands Ottobrunn.

Bei Trauerfeiern oder Familienfesten offenbaren ihm manchmal die Menschen ihre Motivationen für den Austritt. Moderegger nennt auch das Bekanntwerden der Missbräuche an Kindern, das der Kirche viel Glaubwürdigkeit gekostet habe. Johannes Streitberger, Pfarrer der Gemeinden St. Ulrich und St. Korbinian in Unterschleißheim, benennt auch gesellschaftliche Entwicklungen: "Es ist das Einfachste, aus der katholischen Kirche auszutreten. Wir leben in einer sehr profanisierten und kirchenfeindlichen Gesellschaft."

Auch die Neuerungen bei der Kirchensteuer haben viele verärgert

Mathis Steinbauer sieht die Abwendung von der Kirche zudem als "schleichenden Prozess". Er ist Dekan des evangelisch-lutherischen Prodekanats München-Südost, das neben südöstlichen Münchner Stadtvierteln auch die Pfarreien in Putzbrunn, Ottobrunn, Neubiberg, Taufkirchen, Höhenkirchen, Oberhaching und Unterhaching umfasst.

"Wenn die Bindung zur Kirche nicht mehr stark ist, braucht es nur einen kleinen Anlass", sagt er. Etwa, dass Kirchensteuer nachgezahlt werden muss. Genauso kennt er auch Fälle, in denen die Menschen mit der Position der Kirche, beispielsweise im Hinblick auf Flüchtlinge, nicht einverstanden waren und sind.

Für den starken Anstieg bei den Austritten im Jahr 2014 hat Johannes Minkus, Pressesprecher der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, eine Erklärung parat: Er sieht die Ursache in der Neuerung bei der Erhebung der Kirchensteuer auf Kapitalerträge. Seit dem 1. Januar 2015 wird die Steuer direkt abgeführt, sie muss nicht mehr in der Steuererklärung angegeben werden. "Das hätte man den Leuten vielleicht besser erklären können", sagt er.

Ohne Spenden und Kollekten geht es nicht

Die vermehrten Austritte dürften nicht folgenlos bleiben für die Pfarreien - was die pastorale Arbeit angeht sowie die Finanzen. "Die Pfarreien sind in erster Linie auf die Hilfe der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter angewiesen, deren Engagement unbezahlbar ist", sagt Moderegger. Dennoch müsse ehrlich gesagt werden, dass die jährlichen Zuschüsse aus den Kirchensteuern für das Gemeindeleben nötig seien: "Wie bisher wird es wichtig sein, mit vorhandenen Ressourcen sparsam umzugehen." Ähnlich sehen das Vertreter der evangelischen Kirche. "Allein mit der Kirchensteuer können wir unseren Haushalt nicht bestreiten, ohne Spenden und Kollekten geht es nie", sagt Dekan Steinbauer.

Nicht zuletzt wegen der rückläufigen Zahl der Gläubigen müssen sich die Kirchen immer mehr Gedanken machen, wie sie das Interesse der Menschen halten und wieder wecken können. Die katholische Kirche versuche ständig, die Seelsorge weiterzuentwickeln und die Qualität aller Angebote hochzuhalten, sagt Christoph Kappes, stellvertretender Sprecher der Erzdiözese. Zur Verbesserung der Seelsorge sollen Verwaltungsleiter eingestellt werden, um die Priester bei den Managementaufgaben zu entlasten. Gleichzeitig arbeitet die Kirche daran, ihre Präsenz zu verstärken, beispielsweise durch den Ausbau des Pullacher Schulzentrums.

Auch die evangelische Kirche ist auf vielen Ebenen aktiv. Im Prodekanat wird etwa über neue Angebote für Familien und Kinder nachgedacht, da die Familiengottesdienste nicht mehr so gut besucht sind, wie Dekan Steinbauer sagt. Als neue Aktion funktioniere beispielsweise ein Brunch für Teenager in Oberhaching und Neuperlach schon ganz gut. Ebenso soll durch manch bauliche Veränderung mehr Attraktivität geschaffen werden.

Das Ehrenamt wird aktiv gelebt

So soll zwischen dem Gemeindehaus und der Michaelskirche in Ottobrunn ein Foyer gebaut werden, das Raum für Begegnungen bietet. Pfarrer Streitberger aus Unterschleißheim derweil plädiert dafür, dass die Pfarreien viel deutlicher kommunizieren sollten, was sie mit dem Geld aus der Kirchensteuer alles Positives bewirken, etwa bei der Unterstützung der Flüchtlinge.

Ein Blick in die Zukunft ist schwierig. Vielleicht wird es immer weniger Gläubige geben, die sich dafür umso engagierter einbringen. Anzeichen dafür gibt es bei Evangelen im Dekanat München. Dort hat sich trotz der Austritte die Zahl der Ehrenamtlichen in den vorigen Jahren vermehrt. Während es im Jahr 2002 noch 11 590 waren, stieg die Zahl bis 2014 auf 12 770 Ehrenamtliche. "Leute, denen Kirche wichtig ist, leben es intensiv. Leute, die in der Kirche waren und nicht so viel damit anfangen konnten, treten aus", sagt Sprecher Minkus.

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